: Kriminalistik und Abenteuer
■ Auf dem Puppentheater-Festival: „Die Dreigroschenoper“ von Brecht/Weill
Das Verbrechen ist ungeheuer bunt. George Grosz wußten–s und Otto Dix und Brecht natürlich auch. An seiner „Dreigroschenoper“ richtig populär sind die schreienden Abenteuerfarben. Schon der Vorhang im Packhaus- Theater ist köstlich damit bepatzt: ein Milieu-Tableau, Puff oder so, grosz-artige Dreckschweine; dschungulös ist die Welt und para-dixisch wild. So spielt, am Donnerstag, das Puppentheater Berlin, eines von sechzehn aus der gewesenen DäDeRä, den Brecht. Ein bißchen verzweifelt kraftvoll. Schön.
Zwei Spieler, zwei Spielerinnen, in schwarzem Glanz-Stretch kokonisiert (hochgefährlicher Batman-Erotik-Zauber), diese vier führen an Stab und Fäden affig plumpe Puppen von greulicher Häßlichkeit. Zugleich singen sie, wo die Oper es vorschreibt, und einer sitzt dann immer rechtzeitig schon am Klavier. Ein Wunder allein, daß alles klappt.
Puppen sind sowieso leicht gruselig, sind Verpuppungen von womöglich Unsäglichem, verbergen in mechanischer Anmut was bloß? Hier sind sie manchmal gänzlich entleerte Hülsen, Spielzeug, spazierengeführte Zweit- Personen. Im Falle eines Handge
hierhin bitte
die Puppe im Käfig
mit Bodenmenschen
menges hängt man sie schon mal, die augenblicklich Entseelten, in das Gitter des Kastens, der die Bühnenwelt ist. Oder spielt kaltblütig Konflikt mit ihnen. Nie wissen wir, wo gerade Leben ist auf der Bühne: singt die Pollypuppe oder die Pollypuppenspielerin? Oder spielt die Pollypuppenspielerin dem Mackie-Messer-Puppenspieler mit der Pollypuppe eins vor oder aus oder doch irgendwie ganz umgekehrt? Aber wir kriegen es schon heraus und sind am Ende erkenntnisgymnastisch so trainiert, daß wir nicht mehr so sehr auf das Opern-Handeln der Puppen achten, sondern auf das Spiel mit ihnen, was das
kriminalistisch eigentlich Interessante ist.
Das Spielerspiel setzt sich in die Puppenwelt fort, wird dort Modell, Maskerade, Austausch von Gesten in harter Währung. Da sind die Figuren oft eckig, ferngesteuert und untot. Das macht des Spielerspiels Zombie- Natur. Dabei ist das, wie gesagt, enorm witzig, nämlich farbenfroh, wo es nur geht, und pointillistisch mit tausend kleinen Ideen betupft, was so ein gewisses geistreiches Schillern macht. Passend zu Verbrechen und Gaunerei, wo es, wie wir sehen, spritzig, schnellebig und ganz schön knorke hergeht.
Der kluge Wurf der Inszenierung aber ist, in all der übermütigen Turbulenz, die kalte Zerlegung des Spiels, das Mitschleppen der starren, ungelenken Puppen, die aus der guten alten Dreigroschenoper wieder eine kreischende und bedenkliche Angelegenheit machen. Wir sehen in ihnen ein nagelneues Stück mit zeitgenössischen Mutationen. Manfred Dworschak
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