: Friedenspolitik und Ökologie sind ein Thema
In Bonn tagte am Wochenende der Internationale Kongreß „Ärzte gegen den Atomkrieg“/ Über nahezu alle Themen schob sich der Konflikt am Golf/ Ost-West-Annäherung, so Till Bastian, schafft nicht automatisch eine neue, bessere Weltordnung ■ Aus Bonn Gerd Nowakowski
In diesem Konflikt „between wrong and wrong“, mahnte der norwegische Friedensforscher Johan Galtung die nahezu 2.000 Zuhörer in der Bonner Beethovenhalle, bleibe nur die grundsätzliche Ablehnung jeglicher militärischen Lösung. In seiner Analyse führte Galtung aus, daß Iraks Despot Saddam Hussein zwar „widerlich“ sei, der Westen aber die „schmutzigsten Hände“ habe — nicht nur wegen der vorherigen Aufrüstung des Iraks und dessen Öl- Gier. Die Basis der Konflikte liege auch in der vom europäischen Imperialismus willkürlichen Grenzziehung im arabischen Raum.
Galtung sieht als einzige Lösung für den Golf-Konflikt Verhandlungen — für die er einen Zeitraum von mindestens fünf Jahre ansetzt. Saddam, so der Friedensforscher, könne Katalysator einer Nah-Ost-Lösung sein — wenn ihm einen solche Rolle zugestanden würde. Eine Verhandlungslösung aber könne es nur geben, wenn nicht nur über die Kuwait- Besetzung, sondern auch über den Libanon, die Schaffung eines Palästinenser-Staates und das kurdische Problem gesprochen werde.
Mit einem spontanen Schweigemarsch zum nächtlichen Münsterplatz unterstützten anschließend über 1.000 Menschen die Forderung nach einer friedlichen Beilegung des Konflikts, Verhandlungen ohne Vorbedingungen und Abzug der Massenvernichtungsmitteln einschließlich der über 400 Atombomben aus der Golf-Region. In einer Abschlußerklärung wurde auch ein sofortiger Atomteststopp, Verbot von Waffenexporten und jeglicher Verzicht auf die Modernisierung der Waffenarsenale gefordert.
Der Golf-Konflikt gab dem ersten gesamtdeutschen Kongreß der Ärzte gegen Atomkrieg eine nicht vorhersehbare Aktualität und prägte die dreitägige Veranstaltung. Nicht die erwarteten 1.000 Teilnehmer kamen zu dem hervorragend organisierten Kongreß, sondern über 2.000.
Der Psychologe Horst-Eberhard Richter sprach befriedigt von einem „heilsamen Schock“ für die Friedensbewegung. Schließlich hat das Ende der Ost-West-Konfrontation der Friedensbewegung auch das Feindbild genommen. Scheinbar ist vieles erreicht worden: Die rasanten Schritte hin zu einem vor wenigen Jahren noch unvorstellbaren Abau von Waffen und Truppen im Zentrum Europas haben die Abrüstung wieder zu einem Geschäft der Regierenden gemacht, dank Gorbatschow sei die Abrüstung in besten Händen, der Druck der Straße hinfällig. Der Abschwung der Friedensbewegung war wohl ein Moment für die deutsche Sektion der Internationalen Ärzte zur Verhinderung des Atomkriegs (IPPNW) gewesen, neue Aktionsfelder zu suchen und die ökologische Katastrophe zu einem Schwerpunkt des umfangreichen Programms zu machen. Dabei, das machten zahlreiche Beiträge deutlich, haben sich die Abrüstungsaufgaben nicht verkleinert, höchstens verändert.
Das Gefühl der Bedrohung hat sich offenbar verändert. Waren es früher die Pershings im Vorgarten, die die Menschen auf die Straße trieben, so ist es jetzt die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen, was sie umtreibt — verstärkt durch das Schuldgefühl, teilzuhaben an dem drohenden Kollaps des Erdballs.
Doch auch in diesem Punkt zog sich der Golf-Konflikt wie ein roter Faden durch die Vorträge. Die Lehre der Golf-Kriese sei die Erkenntnis, daß es einen untrennbaren Zusammenhang zwischen Friedenspolitk und Ökologie gebe, vertrat der ehemalige IPPNW-Vorständler Till Bastian. Unversehens werde deutlich, daß ein Zusammenrücken von Ost und West nach dem Ende des Kalten Krieges noch keineswegs bedeute, „daß da plötzlich eine neue, bessere Weltordnung heraufzieht“.
Die zerstörerische Wirkung von Hochrüstung ist auch offenkundig in den Atomtests, die seit 1945 durchschnittlich alle neun Tage stattfinden und deren radiaktivem Fallout — verantwortlich für den Krebstod von Hunderttausenden von Menschen.
Immer deutlicher werde auch, daß die Naturzerstörung die Quelle künftiger Verteilungskriege sein werde. „Das Feuchtbiotop auf Kunststoff- Folie im deutschen Wohlstandsgarten reicht nicht“, spöttelte deswegen Prof. Altner, Mitbegründer des Öko- Instituts Freiburg. Nötig sei vielmehr ein radikales Umdenken, so auch der Physiker Hans-Peter Dürr auf dem Abschlußplenum, das anerkennt, daß nicht nur der Sozialismus, sondern auch der Kapitalismus obsolet geworden sei.
Daß die Deutschen nach der Vereinigung am Scheidewege ihrer künftigen Rolle in der Welt stehen, hatte der Psychologe Horst-Eberhard Richter in seinem Eröffnungsvortrag deutlich gemacht. Deutschland dürfe sich nicht „länger drücken“. Das Land sei zu groß und international zu wichtig, als daß es sich weiter unter die „amerikanische Vormundschaft“ als „rettende Zuflucht aus der eigenen Indentitätskrise und Verdrängung der Vergangenheit“ flüchten dürfe. Die „Abkehr vom Stärke-Kult“ mit seinen unverantwortlichen ökologischen und militärischen Risiken und destruktiven Rivalitäten sei die neue friedenspolitische Aufgabe.
Richter plädierte für ein globales Verantwortungsbewußtsein unter ausdrücklichem Rückblick auf die deutsche Geschichte und erinnerte an die psychoanalytische Erkenntnis, daß „Offenheit für schuldbelastete Erinnerungen den Verzicht auf Feindbilder erleichtere“.
Welche Widerstände einem Umsteuern entgegenstehen, machten die Vorträge über die Perspektiven der Abrüstung deutlich. Zwar gebe es ermutigende Zeichen, doch habe der Westen noch kein einziges großes Waffenprojekt gestoppt, und auch nach einer Reduzierung der deutschen Armee auf 370.000 Mann bleibe Deutschland weltweit die höchstgerüstete Region.
Abrüstung sei lediglich Umrüstung, vertrat der von der Bundesregierung kaltgestellte Flottillenadmiral Schmähling, der eine neuen Runde der Hochrüstung prognostziert. Gegen die von ihm gewünschte „langsame Genesung aus einer schweren Geisteskrankheit namens Militarismus“ stehe die Suche der Nato nach neuen Feidbildern. Ulrich Albrecht, ehemaliger Berater des DDR-Außenministers Meckel, hält die Abschaffung der Militärblöcke für unvermeidlich, zu reformieren sei da nichts.
Das herrschende Denken deutlich zu machen, blieb dem Obersten im Generalstab der Bundeswehr, Horst Prayon, überlassen. Streitkräfte stabilisieren den Abrüstungssprozeß, führte er aus und forderte dazu auf, mit „der Dämonisierung des Militärischen“ aufzuhören.
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