: Asiens Musterwirtschaften sollen Sowjetunion sanieren
■ Die sowjetische Öffnung nach Japan und Südkorea markiert eine weitere Etappe in Moskaus Schwenk in Richtung Marktwirtschaft
Zwischen Japan und der UdSSR liegt die Inselgruppe der Kurilen — nicht nur geographisch. Noch auf dem jüngsten Wirtschaftsgipfel in Houston meinte Nippons Ministerpräsident Kaifu, wirtschaftliche Hilfe könne die Sowjetunion nur dann erwarten, wenn sie Japan die Rückgabe der Kurilen zusichere. Michail Gorbatschow erklärte japanischen Parlamentariern Ende Juli in Moskau, daß er von seinem geplanten Besuch im April 1991 absehen werde, wenn es in Tokio nur um dieses eine Thema ginge. Der Volksdeputierte Gulij aus dem Gebiet Sachalin-Kurilen gab sich da kompromißbereiter. Die UdSSR sollte ihre Militärbasen abbauen, die umstrittenen Inseln mit Japan gemeinsam verwalten, sie für den Tourismus öffnen und eine Freihandelszone daraus machen. Mit einem ähnlichen Vorschlag wartete auch die Parteizeitung 'Prawda‘ wenig später auf. Ihr Asienexperte Owtschinnikow — er hatte vor zwei Jahren treffsicher den Moskauer Wandel in der Afghanistan-Frage „orakelt“ — schlug vor, die Inseln unter Treuhandschaft der UNO zu stellen und eine sowjetisch-japanische Wirtschaftszone mit Sonderstatus einzurichten.
Nun hat also die sowjetische Regierung im Vorfeld des Gorbatschow-Besuchs in Japan — dem ersten Besuch eines sowjetischen Staatschefs seit 1917 — ihre Bereitschaft zur Rückgabe signalisiert. Dies ist ein bedeutender Schritt im Prozeß der Veränderung der sowjetischen Außenpolitik in Asien, der von Gorbatschow seit Mitte der 80er Jahre eingeleitet wurde. Und er läuft parallel zu der Annährung zu Südkorea. Das Packeis zwischen der Sowjetunion und Seoul schmilzt unaufhörlich. Zum ersten Mal ging Moskau im April dieses Jahres auf Tuchfühlung mit dem offiziellen Südkorea — so wird es zumindest in Moskau kolportiert. Als der stellvertretende Vorsitzende der südkoreanischen Regierungspartei Kim Jung Sam im Frühjahr in der sowjetischen Hauptstadt weilte, klingelte sein Telefon, und die russische Stimme am anderen Ende überschlug sich mehrmals, bis sie schließlich doch die „message“ rüberbrachte: „Beeilen Sie sich — in den Kreml.“ Eine Viertelstunde später stand er Gorbatschow gegenüber, und schon ein halbes Jahr danach einigten sich beide Seiten, diplomatische Beziehungen aufzunehmen.
Technologiehilfe gegen Rohstoffe
Ganz im Sinne Lenins verspricht sich jede Seite davon nur Vorteile. Friedliche Koexistenz eben. Handel haben beide schon vorher miteinander getrieben, 1989 mit einem Volumen von 600 Millionen US-Dollar. 1990 hofft man schon auf das Doppelte. Die Russen kaufen in Korea Pelzmützen, wie die Griechen in Dänemark ihren Schafskäse. Gorbatschow rechnet damit, daß die Tage des nordkoreanischen Verbündeten Kim Il Sung gezählt sind und hofft auf massive Technologiehilfe aus Südkorea. Im Gegenzug wird Moskau das ressourcenarme Land mit Rohstoffen versorgen. Anfang Juni traf Gorbatschow am Rande seiner US- Visite den südkoreanischen Präsidenten Roh Tae Woo in San Franzisco. Tags drauf wedelten die Koreaner schon mit einer Liste mit 100 High-Tech-Produkten, die die Sowjets bisher wegen der Cocom-Beschränkungen nicht beziehen konnten.
Nordkorea auf absteigendem Ast
Während in den sowjetisch-südkoreanischen Beziehungen offenbar der Frühling einkehrt, verursacht die Annäherung im Norden des geteilten Landes eher empfindliche Klimastörungen. Nordkorea machte dem Erzfeind den Schwenk allerdings ziemlich leicht. Neben der unverhohlenen Ablehnung des neuen Kurses in der UdSSR lieferte Pjönjang seit längerem nicht mehr die vereinbarten Warenmengen und blieb seine Zahlungen schuldig. Natürlich weiß auch Moskau, daß im Falle einer Wiedervereinigung der kapitalträchtige Süden das Land dominieren wird. Schon jetzt schlägt der Süden zu, wenn die Schulden des ungeliebten Bruders bei ausländischen Banken zur Disposition stehen. Die sowjetische Spitze baut auf die Investitionsfreudigkeit südkoreanischen Kapitals in der UdSSR, vor allem um Sibirien zu erschließen.
Indes vergilben die Pläne des zweitgrößten Konzerns Südkoreas, Hyundai, in den Schubladen irgendeiner Moskauer Ministerialbürokratie. Hyundai hatte sich schon vor geraumer Zeit um ein Holz-Joint-venture in Sibirien bemüht. Diplomatische Beziehungen könnten den „Bearbeitungsvorgang“ jetzt etwas verkürzen. Darüber hinaus versprechen sich die Sowjets Hilfe bei der Konversion ihrer Rüstungsindustrie, wohingegen man Südkorea beim Aufbau der pharmazeutischen Produktion behilflich sein will. Auch anderes ist im Gespräch: Bisher verschlossene Seewege sollen der UdSSR geöffnet werden, die dafür Südkorea in ihren Gewässern fischen läßt.
Kommt es den Sowjets in erster Linie aufs Materielle an, schielt Südkorea nach Höherem. Bisher verstellte ihnen das Veto-Recht der UdSSR im Sicherheitsrat der UNO die volle diplomatische Anerkennung. Nordkorea wehrte sich gegen eine Aufnahme des Südens in die UNO, weil es immer noch hoffte, das Land unter seinem Vorzeichen wiedervereinigen zu können. Gehört das erst der Vergangenheit an, so wohl in Kürze auch das sowjetische Veto.
Ist die Annäherung nur ein Flirt?
Mißtrauische Südkoreaner raten indes, den Brautwerber aus Moskau noch etwas zappeln zu lassen. Sie hegen den Verdacht, die UdSSR könnte mit Südkorea nur einen Flirt treiben, um Japan für die Wünsche der Sowjetunion gefügiger zu machen. Bisher hat sich die fernöstliche Wirtschaftsmacht nämlich nicht zu entscheidenden Investitionen in der UdSSR durchringen können. Und daran ist nicht allein die unsichere Rechtslage für ausländische Kapitalanleger schuld.
Südkoreas Entwicklung mit Beispielcharakter
Südkorea ist für die UdSSR noch aus einem anderen Grund interessant. Das vormals unterentwickelte ostasiatische Land kann auf erfolgreiche Bilanzen beim Übergang zur „regulierten Marktwirtschaft“ verweisen, wie er jetzt in der UdSSR erprobt werden soll. Das Beispiel Südkorea hat gezeigt, daß Unternehmen in weniger entwickelten Ländern beim Übergang zur Marktwirtschaft auf staatliche Protektion angewiesen sind, die sie gegenüber den zerstörenden Kräften des Marktes anfangs abschottet. Der Staat schuf solange günstige Bedingungen, bis der Technologierückstand aufgeholt und Wettbewerb mit ausländischen Konkurrenten möglich wurde. Bis dahin entschied er, ob sich ausländisches Kapital ansiedeln durfte oder nicht. Selbst die Zahl der Firmen in der jeweiligen Branche wurde von oben festgelegt, um „optimale“ Wettbewerbsbedingungen zu schaffen. Und im Gegensatz zur Politik des „richtigen Preises“, die Osteuropa heute verfolgt, hielten die ostasiatischen Regime gerade an „falschen“ Preisen fest, um Investitionen und Handel zu stimulieren. Ausgeliehene Technologien und Niedriglöhne reichen auf Dauer nicht aus, so die Erkenntnis, um den Produktivitätsrückstand gegenüber den Industrieländern aufzuholen. Der wirtschaftliche Erfolg wurde innenpolitisch durch eine autoritäre Entwicklungsdiktatur erkauft. Auf der verzweifelten Suche nach einem Ausweg ist es kein Zufall, daß die UdSSR ihr Interesse nach Südkorea wendet. Klaus-Helge Donath, Moskau
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