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Die Revolution erfaßt die Autoindustrie

Ein Bummel durch die Berliner Automobilausstellung AAA/ Neue Trends? Allrad für alle, Jeeps für den Dschungel zwischen Wanne-Eickel und Botropp und Turbogeschosse für den täglichen Stau/ Nicht zuletzt: das vollautonome Auto  ■ Von Manfred Kriener

Berlin (taz) — Auf der Videoleinwand rast diesmal kein „ultrakompakter Lancia Y 10“ dahin und auch kein „Vollblut-Cabrio“ von Golf, sondern die Revolution. Eine bekannte Rüsselsheimer Firma hat in perfekter Spottechnik die wichtigsten Etappen des Umsturzes in der DDR zusammenmontiert. Menschen fallen sich nach der Maueröffnung unter Tränen in die Arme, Mauerspechte hämmern, die Leipziger demonstrieren, Schlangen stehen nach harter D-Mark an, der erste Einkauf mit neuem Geld wird gefeiert, schließlich die Vereinigung mit Böllern und Weizsäcker. Und ganz am Schluß, als einsamer Höhepunkt kommt der Heiland himself: der neue Opel. Die Vereinigung, so wird uns bedeutet, bringt nicht nur Demokratie und Wohlstand nach Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen- Anhalt, sondern auch den neuen Calibra 16 V mit 150 PS.

Die Revolution als Verkaufsschlager, die Vereinigung als Turbo für die Automobilindustrie. Eine widerliche Show, zugegeben. Aber hat Opel denn nicht recht? Ist der Traum von einem anderen Leben für die meisten Zonis etwa nicht mit dem Wunsch nach einem neuen, schönen und schnellen Auto verknüpft? Auf der Berliner Automobilausstellung AAA ist diese Frage längst beantwortet. Wie kleine Kinder sitzen die Besucher in den ständig neu polierten Flitzern und wiegen ergriffen das Lenkrad zwischen den Händen. Fehlt nur noch das mit feuchten Lippen hervorgesprudelte brrrmmm und tüt-tüüt.

Und wenn schon Auto, dann auch richtig. Der neue Trend: Eine Mischung aus Ei und Rakete, gedrungen und flach, am besten knallerot und mit sagenhaftem „Temperament“. Da ist zum Beispiel der Nissan 300 ZX Twin Turbo mit 283 PS für 91.500 D-Mark. Selbstverständlich mit bester Traktion und Spurtreue, mit höchster Stabilität auch bei großen Geschwindigkeiten. Aber: „Wann kann ich schon mal mehr als 120 fahren“, mäkelt ein Spielverderber dazwischen.

Wer solche Probleme hat, darf sich vertrauensvoll an den Nissan- Berater wenden. „Also mit dem 200er und 300er müssen Sie immer zackig-spritzig fahren“, gesteht er ein, „da stehen Sie an der Ampel immer unter Druck, ich hab' ständig Strafmandate.“ Und deshalb empfiehlt er als Alternative einen der handlichen Kleinlaster, auch Offroadfahrzeuge genannt oder schlicht Jeeps. Sie machen den zweiten wichtigen Trend aus und sind die neue Seuche der Automobilisten. Der Camel-Mann hat einen, jeder anständige Förster hat einen, und jetzt sollen auch Krause und Lehmann einen kriegen. Aber warum gleich so riesengroß mit Omnibusreifen und Panzerbrecherfront. „Also wenn Sie mal einen Teppichboden transportieren müssen oder einen Kühlschrank.“ Oder einen entsprungenen Elefanten?

Die Geländewagen seien halt „was für die Freizeit“, erklärt der Nissan-Mann weiter: „oder wenn sie mal querfeldein fahren, da haben Sie dann die geballte Kraft.“ Aber wir fahren doch hauptsächlich in der Stadt? Da könne man dann einfach die Stadtreifen draufmontieren, sekundiert ein stolzer Besitzer fachkundig, „sonst verstehen Sie bei achtzig sowieso das eigene Wort nicht mehr.“ Und außerdem: Der Mann hat schon zweimal einen Wohnwagen aus dem Schlamm gezogen, „außer mir kam da keiner mehr durch.“

Der schickste Offroadrenner kommt übrigens von Daihatsu. Er präsentiert sich gut getarnt im schwarzgelben Leopardenlook, falls mal jemand zwischen Wanne-Eickel und Bottrop durch ein Stück Dschungel fahren muß. Allrad für alle — alle mit Allrad, heißt jedenfalls die neue Philosophie, und da kann kein Hersteller zurückstehen. Auch Lada schließt mit seinem Riesenjeep die Lücke in der Modellpalette. Und er ist mit 18.890 D-Mark sogar das mit Abstand billigste Seuchenfahrzeug. Überhaupt Lada: Die neuen, an den westlichen Einheitslook angeglichenen Schrägheckmodelle und die konkurrenzlos niedrigen Preise sorgen für einen ständig überlaufenen Messestand. In der DDR galt der Lada lange als das Traumauto. Jetzt ist der beliebte Vopo-Kasten Marke „Nova Junior“ schon für 8.990 D-Mark zu haben. Wer 2.000 D-Mark mehr drauflegt, bekommt dafür im neuen Design einen Samara 1100 LS mit 53 PS. „Aber der klappert vorne schon ein bißchen“, beschwert sich ein Messebesucher nach einer mittels Faustschlägen vollzogenen Materialprobe am Armaturenbrett.

Was gibt's noch? Kein Besucher sollte sich die Opel-Lifestyle-Show 1990 entgehen lassen. Fünf geklonte Mannequins tanzen hier den Beat zusammen mit dem netten Opel-Pinguin, der jetzt noch umweltfreundlicher ist. Doch dann kommen plötzlich drei böse Araber und Türken mit hochgeschlagenen Kragen und häßlichen Absichten. Sie wollen in den Opel der Mannequins einbrechen. Doch da haben sie die Rechnung ohne die neue „Diebstahl-, Sicherungs- und Alarmanlage mit Ultraschall“ gemacht. Es hupt und piepst und schon liegen die schwarzhaarigen Halunken gemeuchelt am Boden. Ist es wirklich so schlimm? Es ist noch schlimmer.

Bei Rolls Royce und Jaguar gibt's wenigstens was zu lachen. Einer liest den Preis vor, die anderen kringeln sich. 275.000 D-Mark für einen Bentley. „Man gönnt sich ja sonst nix.“ Wesentlich preiswerter — 50.000 bis 60.000 D-Mark — sind da die ebenfalls rapide zunehmenden Kleinbusse. Vor allem von kinderlosen Ehepaaren werden diese Sieben- bis Achtsitzer gerne gekauft, „damit man mal jemand einladen kann.“

Am Schluß der Blick in die Zukunft: Ford, VW und die Japaner präsentieren als „Studien“ jeweils ein Fahrzeug fürs nächste Jahrtausend. Am konkretesten ist der VW- Futura gediehen: One-Box-Design mit Glaskuppel, mitwachsende Kindersitze, vollautomatische Ratgeber, die die jeweils passende Geschwindigkeit ermitteln und „vorschlagen“, Sensorköpfe mit gepulsten Infrarotlasern, die den Abstand zum Vordermann regulieren. Das Wichtigste aber: Das Fahrzeug kann auf Fahrer und Fahrerin verzichten. Zumindest das Einparken geht schon mal sensorgeregelt und ganz ohne Lenker vor sich. Wer weiß: Vielleicht sitzen wir in zehn Jahren alle zu Hause in unseren Sesseln, während unsere Autos vollautomatisch im Stau stehen.

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