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Jugendcliquen sind scharf auf Luxusjacken

Lichtbildkartei der Frankfurter Polizei als „Präventivmaßnahme“ umstritten/ Überfälle auf Passanten/ Multinationale Gruppen haben es auf teure Jacken abgesehen/ Fanklubs: Damit haben wir nichts zu tun  ■ Aus Frankfurt Heide Platen

Freitag abend, 22 Uhr. Rund um die Konstablerwache in der Frankfurter Innenstadt ist es totenstill, ein leerer Platz, so häßlich, daß sich namhafte Architekten weigerten, ihre Skulpturen und Brunnen hier aufstellen zu lassen. Am westlichen Rand des Platzes gröhlt eine Gruppe Jugendlicher vorüberhastenden Passanten nach. Ähnliche Szenen spielen sich zur gleichen Zeit an ähnlichen Plätzen ab. Die B-Ebene der Hauptwache, Zentrum der Mainmetropole, ist leer bis auf die Grüppchen türkischer, jugoslawischer, marokkanischer Jugendlicher — fast nur junge Männer, die sich vor der Hamburgerbraterei drängen. An den U-Bahn-Stationen Bockenheimer Warte und Bornheim-Mitte fast das gleiche Bild.

Multikulturell auf Jackenklau

Diese Cliquen, „Banden will ich nicht sagen“, stellt der Pressesprecher der Polizei, Karl-Heinz Reinstädt, fest, „haben einen losen Zusammenhang“. Sie wechseln untereinander und setzen sich aus den verschiedensten Nationalitäten zusammen. Rund 40 Prozent deutsche Jugendliche gehören dazu. Auch Aussiedler aus Osteuropa, Rumänen und Albaner seien dabei. Wer mithalten will, muß wenigstens ein bißchen von der Umgangssprache, derzeit Türkisch, verstehen.

Die Irritation, die diese multikulturellen Jugendcliquen seit einigen Wochen in der Stadt verursachen, ist komplett und erstreckt sich auf viele Ebenen. Verwirrt sind die Polizei, die alteingesessenen Fußballfans und Jugendbanden, die die Randale bis jetzt für sich gepachtet hatten, die Grünen und der Datenschutz, Soziologen und Sozialarbeiter. Von den FrankfurterInnen gar nicht zu reden. Sie lesen fast täglich von Überfällen, die rabiat ausgeführt werden und bei denen es den TäterInnen ganz offensichtlich vor allem um die Jacken der Opfer geht, die diesen buchstäblich vom Körper geprügelt und gerissen werden. Geld, Kleinigkeiten wie Schlittschuhe und Armbanduhren scheinen als Beute eher Nebensache zu sein.

Warum Jacken? M., Fußballfan und in der „Adlerfront“, ist einfach empört. Das mit den Jacken, den „Kutten“ nämlich, das war immer ihr Ding. Rivalisierende Fußballfans hatten sich die mit den jeweiligen Emblemen dekorierten Kleidungsstücke in legendären Schlachten gegenseitig als Trophäen abgenommen. Diese Keilereien waren Ehrensache und hatten mit Bereicherung nichts zu tun. „Aber jetzt“, schimpft „Adlerfront“-Veteran B., „ist das einfach schlimm geworden.“ Niemand sei sich mehr sicher, „Unbeteiligte“ seien die Opfer. Und, vor allem, es ginge „denen“ nicht mehr um „Kutten“, sondern nur noch um „Jacken“. Teuer müßten sie sein, vor allem Chevignon-Jacken „für ein paar hundert Mark“, aber auch grüne, schwarze, blaue Bomberjacken seien gefragt.

Als die größte der buntgemischten Gruppen nennt er die „Lamina“: „Die Überfallenen sind keine rivalisierenden Banden mehr, sondern einzelne, bei denen sie nicht mit Gegenwehr rechnen müssen.“ „Das Sportliche ist weg!“ Ein bißchen Neid und Generationskonflikt schwingt schon mit, als er vermutet: „Die wollen erst noch bekannt werden.“ Er möchte gleich betonen, daß die „Adlerfront“ auch noch wer ist. Stadionverbot und 70 bis 80 Festnahmen hätten sie in der jüngsten Zeit wieder zu verzeichnen gehabt.

Teure Jacken für die kalte Jahreszeit

Polizeisprecher Karl-Heinz Reinstädt steht dem, was er „Phänomen“ nennt, ebenfalls ratlos gegenüber. Warum auf einmal multinational? Reinstädt: „Ich versteh's nicht.“ Warum Jacken? Seine Erklärung klingt erst mal ganz pragmatisch: „Es wird kalt!“ Können sich die Jugendlichen denn keine Jacken leisten? Doch, das schon. Aber, meint er, zur Mutprobe, zum Gruppendruck, zur Identitätssuche der vorwiegend 14- bis 16jährigen komme eben ein der Jahreszeit angemessenes Beutestück dazu.

Sein Kollege Peter Borchart zitiert die Statistik. Das Delikt Straßenraub sei mit rund 1.000 Anzeigen im Jahr 1989 um 50 Prozent angestiegen. Eigentlich hätten sie diese Zunahme schon „seit zwei bis drei Jahren“ bemerkt. Als „Tatzeitaufkommen“ nennt er die Zeit nach 19 Uhr und vor allem die Wochenenden von Freitagabend bis Sonntag: „Da geht die Post ab.“

Fotokartei alarmiert Datenschützer

Kopfzerbrechen werden Pressesprecher Karl-Heinz Reinstädt demnächst allerdings nicht nur die Motive der Jugendlichen bereiten, sondern auch ein Besuch, den das Amt des hessischen Datenschutzbeauftragten am Dienstag ankündigte. Stein des Anstoßes sind die Fahndungsmethoden des für Straßenraub und Jugendkriminalität zuständigen Kommissariats 14, deren Ergebnis eine Lichtbildkartei ist. Reinstädt hält es nach Strafprozeßordnung und Polizeigesetz nicht nur für gerechtfertigt, Jugendliche, die „auf frischer Tat ertappt“ wurden, bei der Personalienfeststellung abzulichten.

Die Beamten gingen einen Schritt weiter. „Wenn“, schildert er den fiktiven Fall, „jemand eine rothaarige Täterin mit Nasenring beschreibt“, dann seien die Beamten beauftragt, an den Treffpunkten der Jugendlichen nach solchen Personen Ausschau zu halten und sie abzulichten. Diese Fotos werden zum ersten den Opfern vorgelegt, zum zweiten an die Polizeireviere, in deren Einzugsgebiet die Jugendlichen sich treffen, weitergegeben und ansonsten „nach vier Wochen“ vernichtet, wenn sie nicht bei „schon straffällig Gewordenen“ zu deren Kriminalakte geheftet werden. Dieses Verfahren habe der hessische Datenschutzbeauftragte, Spiros Simitis, bereits im April 1989 abgesegnet.

Dessen Mitarbeiter Wolters sah das der taz gegenüber erst einmal nicht ganz so: „Wir prüfen das.“ Die von Reinstädt genannte rechtliche Grundlage fand er auf den ersten Blick nicht hinreichend. Der innenpolitische Sprecher der Grünen im Landtag, Rupert von Plottnitz, nannte die Ablichterei inzwischen „derzeit illegal“. Sie sei aber auch durch das neue Polizeigesetz, das erst am 1. Januar 1991 in Kraft tritt, nicht gedeckt, da die „Verhältnismäßigkeit der Mittel“ nicht gewahrt werde.

Von der präventiven Fotografiererei weiß der Jugendliche N. ein Lied zu singen. Schon etliche Male sei er „aus dem Streifenwagen heraus mit dem Teleobjektiv“ aufgenommen worden. Das habe zur Folge gehabt, daß er mehrmals von der Polizei als potentieller Täter „wegen Raubes“ vorgeladen worden sei und deshalb „tierischen Krach mit meinen Eltern“ hatte. Bei der polizeilichen Vernehmung, zu der er brav gegangen sei, „damals war ich noch dümmer“, sei er dann gleich noch einmal fotografiert worden.

Die Öffentlichkeitsreferentin im Frankfurter Amt für Multikulturelle Angelegenheiten, Irene Khateeb, führt das Problem unter anderem auf eine lokale Jugendfernsehsendung zurück. Da seien zwei „unheimlich lockere und coole Jungs“, ein Spanier und ein Türke, aufgetreten, die „so richtig sympathisch“ von ihren Überfällen erzählt hätten.

Ein neues Phänomen, das nachgerade New Yorker Zuschnitt hat, zeichnet sich am Rande der öffentlichen Wahrnehmung ab. Am Sonntag, den 7. Oktober gegen 18 Uhr 30, meldet der Polizeibericht, überfiel eine Gruppe von einen guten Dutzend Mädchen, alle um die 15 Jahre alt, zwei Gleichaltrige und nahmen ihnen eine Armbanduhr und ein Paar Schlittschuhe ab.

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