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Nur laue Wahlkampfstimmung im ICC

■ SPD beschloß Wahlprogramm für den 2. Dezember/ Momper wurde einstimmig zum Spitzenkandidaten nominiert/ Rückfall in der Verkehrspolitik: Bau von Autobahnen wieder möglich

Berlin. Es mußte beschworen werden, woran keiner so ganz glaubt: Auf dem Wahlparteitag der Berliner Sozialdemokraten am Samstag im ICC wurde den GenossInnen in mehreren programmatischen Reden das Wahlziel »Alleinregieren« mit auf den Weg gegeben. Die rechte Wahlkampfstimmung konnte sich in dem riesigen raumschiffartigen Saal des ICC, in dem die Parteitagsdelegierten etwas verloren herumsaßen, nicht einstellen. Walter Momper, einstimmig zum Spitzenkandidaten für das Amt des Regierenden Bürgermeisters nominiert, zeigte sich in seiner fast einstündigen Eröffnungsrede kratzbürstig gegenüber möglichen Koalitionspartnern: »Ich wünsche mir keine Koalition«, so der Regierende. Der CDU warf er »anhaltende geistige Unbeweglichkeit« vor, der AL »derzeitige Unzuverlässigkeit und Entscheidungsschwäche«. Die schärfsten Worte galten der PDS: »Sie hat keine Zukunft, weil sie eine böse Vergangenheit hat.« Für ein Bündnis mit den DDR- Bürgerbewegungen plädierte dagegen der ehemalige Chef der DDR- SPD, Wolfgang Thierse, der dafür nur mäßigen Beifall erhielt.

In stundenlangen Beratungen verabschiedeten die Sozis schließlich ihr Wahlprogramm für den 2. Dezember — Motto »Berlin ist Freiheit — Berlin ist Hauptstadt«. Leitlinie des Wahlkampfs soll die Angleichung der Lebensverhältnisse in beiden Teilen der Stadt sein, Schwerpunkte sind Mieten, Wirtschafts- und Verkehrspolitik. Nach heftiger Debatte wurde ein Absatz aus dem Programm gestrichen, wonach die Berlin-Förderung auch auf den Ostteil der Stadt ausgedehnt werden sollte. Statt dessen fordern die Sozis ein Förderungsprogramm für Ost-Berlin und die östlichen Bundesländer.

Die zwei wichtigsten Beschlüsse des Parteitages konnten nur mit den Stimmen der neuen Ost-Delegierten und den traditionell rechten West- Berliner Bezirken gefaßt werden: Aus dem Programm wurde die Passage getilgt, die auf einen Beschluß der West-SPD zurückgeht, in Berlin keine Autobahnen und Schnellstraßen mehr zu bauen. Mit 140 zu 118 Stimmen wurde statt dessen ein Antrag angenommen, nach dem Autobahn- und Schnellstraßenbau insofern weitergeführt werden soll, als er zur »Entlastung von Wohngebieten dringend erforderlich ist«. Ebenfalls abgelehnt wurde die ursprüngliche Forderung, die Buga auf dem Gebiet des Zentralen Bereichs zu belassen. Die Mehrzahl der GenossInnen folgte darin einem Antrag des Regierenden, der diese Fixierung streichen lassen wollte. Die Parteilinke zeigte sich über diese Beschlüsse entsetzt und bedauerte diesen politischen Rückschritt.

Nach der Debatte über das Programm wurde es am Abend noch einmal spannend, ging es doch ans Pfründe-Verteilen. Zum ersten Mal mußten sich die Kandidaten für den Bundestag einem Parteitag vorstellen und sich dort nominieren lassen. Spitzenkandidat der Berliner Landesliste wurde Hans-Jochen Vogel, auf Platz 2 steht mit dem besten Abstimmungsergebnis Wolfgang Thierse. Um die Verteilung der Listenplätze war bereits im Vorfeld gekungelt worden, stießen doch zwei Prinzipien aufeinander: Nach dem Quotierungsbeschluß der SPD muß jeder zweite Platz mit einer Frau besetzt werden, und neuerdings sind auch die Ost-GenossInnen »angemessen« zu berücksichtigen. Auf den aussichtsreichen ersten 13 Plätzen stehen jedoch nur vier Frauen. Kordula Doerfler

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