: Kessel um den Kiez
Polizei und eine Anti-Hooligan-Demo auf der Hamburger Reeperbahn verhinderten Krawalle zwischen Hertha-Hools und autonomen Hafenstraßen-St.Pauli-Fans/Schutzkonzept umstritten ■ Aus Hamburg Jan Feddersen
Kleider schänden Leute. In Hamburg beispielsweise war es am Sonntag ziemlich gefährlich, sich im Hertha BSC-Look auf der Reeperbahn zu zeigen oder in der Nähe der St. Pauli- Hafenstraße. Nachmittags, wenige Stunden vor dem Spiel des HSV gegen die Berliner Auf- und Abstiegsmannschaft, wagte es einer dennoch — und wurde von zwei bunthaarigen Männern öffentlich entkleidet und mit Knüffen traktiert. Die Polizei griff ein — und registrierte damit den einzigen Fall direkter Konfrontation zwischen Berliner Fußballfans und dem Klientel der Hafenstraße, das sich in Hamburg dem FC St. Pauli verbunden fühlt.
Sonst blieb es ruhig an diesem lauen Herbstabend, an dem einige autonome Fans des Millerntorvereins sowie meist dunkelgewandete, gelegentlich haßkappenversehene Menschen dazu aufriefen, den Kiez, das Eldorado der noch nicht saturierten alternativen Szene, vor Überfällen von HSV- und Hertha-Hooligans zu schützen. Knapp 2.000 Leute beteiligten sich an diesem Umzug, der zeitgleich zum Spiel im Volksparkstadion stattfand. Auf dem Hans-Albers-Platz traf man sich zur Kundgebung, zu einer „Feier, wie wir sie gerne haben“ (O-Ton Lautsprecherwagen).
Pikant die Szenerie. Man fand sich auf jenem Platze, auf dem sich sonst nach HSV-Heimspielen das „gewaltbereite Potential“ (Eigenbezeichnung), also die Hooligans, einfinden und dabei in den letzten Monaten oft alternativ aussehende Leute verprügelt hatten. Die Hooligans selbst, äußerlich meist kaum von gewöhnlichen Bankangestellten unterscheidbar, hassen die Hafenstraße, alles, was nach Chaos, Buntheit und einer skeptischen Bewertung Deutschlands aussieht. Und nur einen Steinwurf von der einst sündigsten Meile der Welt entfernt ist das Schloß der autonomen Szene zu finden.
Seit der Deutschland-Orgie im Anschluß an den WM-Sieg in Rom werden die Hafenstraßenhäuser stärker in Angriff genommen — doch die Hamburger Polizei scheint inzwischen begriffen zu haben, daß ihr Schutz gefragt ist. Pannen also wie noch vor zwei Jahren zur EM, als die Ordnungsmacht das krawallbereite Fußballvolk zur Hafenstraße gehen ließ, werden mit großem Aufwand vermieden. Am Sonntag wurden 1.500 Polizisten aufgeboten, um es zu „keinerlei Konfrontation zwischen rechtsgerichteten und linken Gruppen“ kommen zu lassen.
Sämtliche Zufahrtswege zur Hafenstraße waren gesperrt — das Fest auf dem Hans-Albers-Platz fand sozusagen in einem Polizeikessel statt. Schon im Stadion siebte die Polizei aus. 400 bis 500 Berliner und Hamburger wurden ausgemacht, die die Polizei zur Hool-Szene rechnete. Und all jenen wurde nach dem Sicherheits- und Ordnungsgesetz die gelbe Karte gezeigt. Soll heißen: Sie bekamen für den ganzen Abend ein „Gebietsverbot“ (Polizeisprecher) für die Reeperbahn.
161 von ihnen Männer bekamen im Laufe des Abends die rote Karte, weil sie sich auf der Reeperbahn erwischen ließen. Sie wurden aus dem Verkehr gezogen — Ingewahrsamnahme heißt dieses Vorgehen in der Juristensprache. Leibesvisitionen, Taschenkontrollen en masse — die Schaulustigen am Rande der Reeperbahn wußten: Hamburg ist eine einzige Live-Inszenierung. Wie die 161 Männer überhaupt identifiziert wurden, teilte die Polizei nicht mit: „Man erkennt sie ja“, erklärte ein Sprecher. Oder auch nicht: Gesehen wurde auch, wie zwölfjährige Buttjes im HSV-Dress einkassiert wurden. Waffen wurden keine gefunden, Leuchtraketen nur in Nähe des zehn Kilometer entfernten Stadions.
In Kreisen der Demonstranten zeigte man sich unzufrieden über den Verlauf des Abends. Kneipenbesitzer und Geschäftsleute nämlich sind ziemlich verunsichert: Sollen sie es nun lieber mit dem bunten Volk oder doch mit den gescheitelten Hooligans halten? Hätte man es lieber zur Konfrontation kommen lassen? Soll die Polizei wieder verschwinden? Peter Koch vom Fangruppenprojekt hat vor kurzem vorgeschlagen, vorhandene Aggressionen nicht zu verleugnen — also keinen Polizeischutz? Er weiß es auch nicht, nur: „Man muß die Gruppen miteinander kommunizieren lassen. Und das geht manchmal nicht ohne Schmerzen ab.“
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