Nach den Landtagswahlen in Bayern und fünf ostdeutschen Bundesländern:: Die SPD auf der Suche nach Masse
■ Noch im Frühjahr hatte sich die SPD aus dem traditionell „roten“ Sachsen und Thüringen einen soliden Zugewinn versprochen. Mit der dritten Wahl 1990 festigt sich dort die konservative Mehrheit. Der Griff zur politischen Macht rückt für die SPD in weite Ferne. Aber Lafontaine-Wahlkampfmanager Klimmt will jetzt von Selbstzweifeln nichts wissen, die SPD schaltete in Bonn gestern stur auf „Augen zu und durch“.
Der Kandidat entfleuchte durch die Hintertür. Oskar Lafontaine hatte am Abend des SPD-Wahldesasters in Bayern und in den ostdeutschen Ländern offenbar keine Lust auf die quälenden Fragen, der in der Bonner SPD-Zentrale wartenden Journalisten. Von seinen Mitarbeitern ließ er sich auf Umwegen aus der Baracke schleusen und zur „Bonner Runde“ im ZDF karren. Dort verkündete er lustlos: „Was mich freut, daß wir in der DDR, ähem, in der ehemaligen DDR dazugewonnen haben.“
Selbstkritisch stellten die Sozialdemokraten gestern bei internen Gesprächen in der SPD-Baracke fest, daß die WählerInnen im Osten die sozialdemokratischen Westimporte von Anke Fuchs für Sachsen über Friedhelm Farthmann für Thüringen bis zu Klaus Klinger für Mecklenburg abgelehnt hatten. Fuchs, Farthmann und Klinger werden ihre Mandate nicht annehmen, sondern wieder zurückgehen auf ihre sicheren Posten. Über das politische Schicksal des bayerischen SPD-Spitzenmanns Karl-Heinz Hiersemann, der keinen Posten anderswo hat, darf spekuliert werden: Die „notwendigen Folgerungen“ würden gezogen, orakelte SPD-Chef Jochen Vogel. (Voraussichtlich löst die Nürnberger Bundestagsabgeordnete Renate Schmidt nach der gesamtdeutschen Wahl den bayerischen Landesvorsitzenden Karl-Heinz Hiersemann ab, wird in Bonn spekuliert.)
Auch Oskar Lafontaines schlechtes Standing im Osten war noch einmal Thema. Einzig der Brandenburger Kirchenmann Manfred Stolpe wurde von allen gelobt: Er konnte für die SPD einen Sieg einfahren, eben weil er für die Brandenburger „einer von ihnen ist“. Recht viel weiter reichte die Analyse der Genossen dann aber auch nicht. Sie sind von dem niederschmetternden Wahlergebnis erst mal wie gelähmt.
Der Parteivorsitzende Hans-Jochen Vogel gab bereits am Wahlabend die Parole: „Augen zu und durch“, aus: „Wir haben keinen Anlaß, unseren Weg oder unsere Programmatik für die Bundestagswahl zu korrigieren.“ Der Prozeß der Desillusionierung in der ehemaligen DDR werde schon noch einsetzen, knurrte er in das Mikrophon eines Journalisten.
„Der 14. Oktober stand noch unter der Sonne der Einheitsfeiern, jetzt kehrt der Alltag ein“ — mit diesem Spruch machen sich die Sozialdemokraten nun selbst Mut für den Bundestagswahlkampf. „Es ist uns nicht gelungen, mit unseren Themen durchzukommen“, resümiert ein SPD-Berater das Desaster. Noch in dieser Wochen sollen in Dortmund und Berlin sogenannte Organisationskonferenzen durchgeführt werden. Die Wahlkampfmanager aus der Baracke stehen vor einer undankbaren Aufgabe: Sie müssen die Kandidaten und Bezirksvorsitzenden für den Endspurt im Bundestagswahlkampf auf Trab bringen. Das Hauptproblem lautet für jeden einzelnen: Wie komme ich mit den SPD-Themen bei den Leuten an?
SPD-Präsidium gibt den Wählern die Schuld
Die SPD bleibt dabei: Sie will die Wahlen mit ihrer Kritik an der Schuldenpolitik der Bundesregierung gewinnen. „Das muß den Wählern doch klarzumachen sein“, meint der für die Programmatik zuständige Abteilungsleiter in der SPD-Zentrale trotzig, „daß hohe Schulden zu hohen Zinsen führen und damit für die Wirtschaft verheerend sind.“ Zusätzliches Problem für die SPD-Manager: Die Kandidaten für die Bundestagswahl bieten bislang ihre Alternative — Erhöhung der Einkommensteuer — nur halbherzig an, wohlwissend, daß damit die Wähler nicht zu locken sind.
Die stellvertretende Vorsitzende Herta Däubler-Gmelin setzt auf zwei weitere Themen: soziale Gerechtigkeit für die Familien und Gleichstellung von Mann und Frau. Auch Oskar Lafontaines Lieblingskind, der ökologische Umbau der Industriegesellschaft, soll im Bundestagswahlkampf eine Rolle spielen. Allerdings haben die Sozialdemokraten auch registriert, daß dieser Punkt bei den Wählern im Osten — trotzt des Umweltdesasters — nicht angekam. „Umweltminister Töpfer spielt seine Rolle als Beruhiger zu gut“, ärgern sich denn auch die Parteistrategen.
Im Präsidium versuchten sich die SPD-Oberen gestern nachmittag damit zu trösten, daß trotz der desolaten Organisationsstruktur der SPD im Osten in allen neuen Bundesländern gegenüber der Volkskammerwahl Prozente zugelegt werden konnten. Eindeutig schlecht sei dagegen das Wahlergebnis in Bayern, schimpfte Hans-Jochen Vogel. Er deutete an, man müsse jetzt ernsthaft über das landespolitische Image der bayerischen SPD und ihrer Repräsentanten reden. Schließlich stehe die SPD in den Kommunen gut da, stelle sogar einige Bürgermeister. Landesweit habe sie seit dem Kriege kein solch schlechtes Ergebnis erzielt. Tina Stadlmayer, Bonn
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