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Der Musik das Mystische nehmen

■ Am 27. Oktober startet in Hamburg neues „Klassik-Radio“/ Durststrecke von drei Jahren eingeplant

Hamburg (dpa) — Noch werkeln die Handwerker, ist das Türschild mit dem Namen des neuen Senders mit einem Filzstift provisorisch geschrieben, wird im Studio experimentiert. In knapp zwei Wochen jedoch, am 27. Oktober, wird es für „Klassik-Radio“ ernst. Dann will der bundesweit einzige digitale Hörfunksender mit klassischer Musik um 9 Uhr in einem alten Hamburger Kontorhaus seinen Kampf auf dem immer dichteren Medienmarkt antreten.

Mitten in Hamburgs Medienviertel, gegenüber von 'Spiegel‘- und 'Zeit‘-Verlag, hat sich der neue Sender angesiedelt, an dem mit 55 Prozent die Bertelsmann-Tochter UFA Film- und Fernsehgesellschaft und mit je 15 Prozent die Plattenfirmen BMG Ariola und Polygram sowie der 'Spiegel‘ beteiligt sind. Die Macher haben sich viel vorgenommen. „Wir wollen den Staub des Mystischen von der klassischen Musik nehmen“, verspricht Musikchef Jürgen Christ. Klassische Musik, ob Beethoven, Mozart oder Hindemith, soll nicht nur dem eingefleischten Fan, sondern auch dem Einsteiger schmackhaft gemacht werden. Der Sender will „lockerer als der öffentlich-rechtliche Rundfunk“ sein, wie Programmdirektor Martin Falk sagt.

Dabei wollen die acht festangestellten Mitarbeiter, darunter fünf Redakteure, den Klassikbegriff recht weit fassen: Miles Davis oder John Lennon sind nicht verpönt. Zweimal in der Woche sieht das 24-Stunden-Programm Klassiker des Jazz vor. Insgesamt steht ein Fundus an 24.000 Titeln auf Compact Discs zur Verfügung. Eine hochmoderne Computeranlage, in die der Moderator ein Musikprogramm einspeisen kann, wechselt dabei die kleinen silbernen Scheiben vollautomatisch. „Damit leisten wir auch noch so etwas wie technische Entwicklungshilfe“, meint Geschäftsführer Manfred Kühn. Die mindestens eine Million D-Mark teure Anlage soll weit und breit die einzige ihrer Art sein.

Das Programm besteht zu 80 Prozent aus Musik- und zu 20 Prozent aus Wortbeiträgen. Von 6 bis 19 Uhr werden stündlich fremdproduzierte Nachrichten gesendet, Nachrichten von der Börse, aus Kultur, Mode oder „Lifestyle“ unterbrechen die Flut von Sinfonien und Opernarien. Auch eine Kindersendung, Tips zum Kauf der besten CDs und ein Hörerwunschkonzert sind vorgesehen.

Die Zukunftsaussichten sehen die Macher naturgemäß recht optimistisch. „Wir sind nicht wieder ein privater Sender mit der gleichen Masche, wir haben uns auf ein besonderes Programm eingelassen“, erklärt Geschäftsführer Kühn. Eine Tendenz zur klassischen Musik auch bei Popfans sei vorhanden. Nach dem Beispiel des Zeitschriftenmarktes will „Klassik-Radio“ den „Special interest“-Markt im Hörfunk erobern. Angesprochen werden sollen laut Werbeprospekt „Menschen mit überdurchschnittlicher Bildung und höherem Einkommen und einem ausgeprägten Sinn für Ästhetik“. Elitär, das weisen alle drei von sich, will das neue Radio aber nicht sein.

Im Jahr stehen dem Sender fünf Millionen D-Mark zur Verfügung. Von den Gesellschaftern werden Verwaltung und technisches Know- how über Dienstleistungsverträge zur Verfügung gestellt. Die laufenden Kosten sollen im Gegensatz zu denen des inzwischen gescheiterten Münchner Klassiksenders „Radio Belcanto“ möglichst klein gehalten werden: Nur zwei Redakteure managen das Musikprogramm, es gibt keine eigene Nachrichtenredaktion. Der Sender rechnet mit einer „Durststrecke von drei Jahren“. Die Finanzierung soll aus Werbung, etwa drei Minuten pro Stunde, und Sponsoring gesichert werden. Das professionelle Marketing übernimmt „Radio Marketing Service“.

Einziges Problem für den Sender zur Zeit noch: Es mangelt an Endgeräten für den digitalen Empfang. Zudem kostet ein Zusatztuner noch rund 2.000 D-Mark. In Hamburg ist „Klassik-Radio“ daher für rund 1,8 Millionen Hörer über normale UKW-Antenne, für 5,5 Millionen Haushalte im Bundesgebiet über Kabel empfangbar. Auf weitere Zuhörer hoffen die Macher in Berlin und der früheren DDR und demnächst in der Schweiz und in Österreich.

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