: Der eregierte Pfannkuchen
■ Geplanter Neubau der Amerika-Gedenkbibliothek verursacht Ärger im Bezirk Kreuzberg/Gestaltung des umliegenden Blücherplatzes völlig ungeklärt/Bücherei-Neubau wird größer und größer
Kreuzberg. »Das ist eine Sammlung verschiedener Erektionen, die beziehungslos nebeneinander stehen«, wetterte Hardt-Walter »Gustav« Hämer, Chef der Stadterneuerungsgesellschaft S.T.E.R.N. beim Kreuzberger Stadtteilausschuß im Saal der dortigen Heilig-Kreuz-Kirche. Hämer erregte sich über die neueste Variante des geplanten Neubaus der Amerika-Gedenkbibliothek auf dem Blücherplatz. Deutschlands größte Freihand-Bibliothek ist seit der Maueröffnung endgültig überlaufen: 300 Neuanmeldungen muß sie täglich verkraften. Zum Glück ist seit langem geplant, die Fläche der AGB durch einen Neubau zu verdoppeln. Aber die Wünsche der Kreuzberger, den Neubau harmonisch zwischen Heilig-Kreuz-Kirche und Hertie einzubetten, den Blücherplatz zu einem Stadtplatz zu gestalten und die überbreiten Straßen um ihn herum zu verkleinern, fallen wohl unter den Tisch.
Schon seit 1985 basteln die Behörden an der Erweiterung des Fünfziger-Jahre-Baus. 1988 wurde ein Architektenwettbewerb unter Amerikanern ausgeschrieben, drei Bewerber kamen in die engere Wahl. Die Jury unter dem Vorsitz von Hämer empfahl einen Entwurf von Steven Holl, der einen Umbau um die jetzige Bücherei herum plus einen Turm mit gläsernem Ausguck geplant hatte. Dagegen liefen zunächst der Architekt des AGB-Altbaus, Bornemann, und dann Landeskonservator Engel Sturm. So sah Bausenator Nagel eine Chance, sich als starker Mann zu profilieren: 1989 erklärte er vor versammelter Presse in Anwesenheit Holls, er fände den Entwurf der zweiten Siegerin, Karen van Lengen, schöner. Zudem sei er billiger.
Nicht nur die Architektenwelt schäumte, auch die AGB-Mitarbeiter waren unzufrieden: Bei van Lengen hätten die Büchereibenutzer viel längere Fußwege. Die werden sich nun noch verlängern, nachdem Engel verlangte, der Neubau müsse ein Stück weit von der AGB abrücken — ein solch weites Stück, daß ein Gutteil des Blücherparks darunter begraben wird. Kurz darauf beschloß Nagel zudem, daß auf dem Blücherplatz auch noch Wohnungen Platz hätten. Und schließlich stellte die Bauverwaltung beim Nachrechnen gar fest, daß beim van-Lengen-Entwurf 1.000 Quadratmeter Nutzfläche für Bücherregale fehlten. Deshalb mußte die Architektin noch einen etwa mittelgroßen Anbau dazuplanen. So wird das ganze Gebäude einschließlich des bestehenden Umfeldes wohl den von Hämer beklagten Effekt erreichen.
Die neue AGB jedenfalls, spottete Stadtplaner Tibbe beim Treff des Stadtteilausschusses, sei ein »Pfannkuchen, der sich über den ganzen Blücherplatz ausbreitet«. Der Anbau wegen der fehlenden 1.000 Quadratmeter, warb van Lengen-Vertreterin Muda daraufhin, werde nur 1,20 Meter aus der Erde ragen, sei begrünt und störe daher nicht. Er beherbergt auch ein Café und einen Versammlungssaal, ist an der Blücher-/Ecke Zossener Straße geplant und damit weitmöglichst entfernt von den U-Bahnhöfen Hallesches Tor und Mehringdamm.
Mehr jedoch war über die künftige Gestaltung von AGB und Blücherplatz an diesem Abend nicht zu erfahren. Zwar waren die Vertreter sämtlicher Verwaltungen anwesend, von denen jedoch hatte kein einziger einen Plan mitgebracht. Die Verengung von Blücher- oder Zossener Straße habe das Bezirksamt bis 1994 nicht in der Invesitionsplanung angemeldet, kritisierte der Vertreter des Verkehrssenators. Ob die Verengung sinnvoll sei, wußte der Vertreter der Umweltsenatorin nicht zu sagen, denn man müsse die Verkehrsentwicklung nach dem Mauerfall abwarten. Der Vertreter des Bausenators giftete gegen den Landeskonservator. Und die Wasserwerke warfen dem Bausenator vor, den Bau eines dringend notwendigen Regenrückhaltebeckens am Blücherplatz zu hintertreiben. Dies wiederum hängt von den neuen Wohnungen am Blücherplatz ab, die das Bezirksamt nicht will, das aber als Vertreter des sich offenbar in Auflösung befindlichen Bauamtes nur Schulstadtrat Jordan schickte. »Das Verfahren ist nicht hinreichend öffentlich«, stellte Volker Härtig für die AL zum Schluß vor dem etwas ratlosen Publikum fest. Eva Schweitzer
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