: Bundeswehr gegen Heidekraut
■ Bürger von Colbitz in Sachsen-Anhalt wehren sich gegen Übernahme eines Übungplatzes der Sowjetarmee durch die Bundeswehr/ Dazu der Bürgermeister, Hans-Joachim Nahrstedt (CDU)
taz: Sie haben schon massive Probleme mit der Bundeswehr.
Hans-Joachim Nahrstedt: Die Bundeswehr will den Truppenübungsplatz der Sowjetarmee in der Colbitz-Letzlinger Heide.
Dagegen wurde schon mehrfach protestiert, daß die Bundeswehr den 160 Quadratkilometer großen und mit 35 Kilometer längsten Übungsplatz der Sowjetarmee übernimmt.
Wir haben dagegen 33.000 Unterschriften gesammelt. Wir hatten eine Protestkundgebung bei Colbitz mit etwa 2.000 bis 3.000 Teilnehmern.
Wieviel Einwohner hat Colbitz?
3.000 Einwohner, aber es waren damals auch viele Auswärtige da. Die nächste Protestkundgebung ist am 31. Oktober bei Letzlingen. Am Donnerstag verteilten wir Flugblätter und blockierten die Fernstraße Magdeburg-Stendal. Daran beteiligten sich aber nur die Bürgerinitiative und ein paar Auswärtige, insgesamt 50 bis 60 Personen. Aber von der Sache haben wir unseren Zweck erreicht und werden jetzt auf die Antwort des Bundeskanzlers und des Ministers Stoltenberg warten. Beide haben mir schon auf dem CDU-Vereinigungsparteitag eine Entscheidung darüber zugesagt, was nun mit dem Übungsgelände wird.
Durch die Blockade ist es zu einem massiven Verkehrsstau gekommen.
Ja, soweit wir das dann noch erreichen konnten, obwohl die Polizei da ihren Havarieplan hatte und alles umleitete. Um elf Uhr brachen wir die Blockade schließlich ab und verteilten nur noch Flugblätter. Die Autofahrer reagierten vorher zum Teil sehr wütend. Handgreiflichkeiten ist vielleicht etwas übertrieben, aber einige äußerten sich schon sehr aggressiv.
Sie sind Mitglied der CDU.
Auch, ja.
Daß ein CDU-Politiker sich an solchen Blockaden beteiligt, ist doch ungewöhnlich.
Wieso das? Das verstehe ich nicht.
In der alten BRD wäre das schon ungewöhnlich.
Ja sicher, dort sind eingefahrene Gleise. Aber nicht bei uns. Wir haben da noch eine etwas andere Mentalität. Ich habe auf dem Vereinigungsparteitag in Hamburg dem Bundeskanzler und den Ministern Töpfer und Stoltenberg unsere Unterlagen überreicht und eigentlich ein offenes Ohr gefunden. Wir haben jetzt vor allem gegen die Äußerung des neuen Magdeburger Verteidigungskommandochefs, Oberst Jobst von Wagner, protestiert. Für den ist klar, daß dieser Platz für die Bundeswehr da ist, weil die auch Truppenübungsplätze braucht.
Welche Bedeutung hat eigentlich die Colbitz-Letzlinger Heide?
Das ist ein Trinkwasser-Einzugsgebiet für 600.000 Menschen, mit dem klarsten Trinkwasser in Mitteleuropa, das auch in der Magdeburger Börde-Brauerei abgefüllt wird. Die Trinkwasserflaschen sind für stark geschädigte Trinkwassergebiete, wo es eine hohe Nitratbelastung gibt. Durch den Truppenübungsplatz hat die Heide allerdings einen steppenartigen Chrakter bekommen, es gibt weniger Niederschläge. Deshalb wird hier stark nitrathaltiges Wasser aus dem Drömling versickert. Außerdem haben wir bei Colbitz den größten Lindenwaldbewuchs in Europa und viele Eichenwälder. Auf dem Übungsplatz wird alles abgeholzt und kurzgehalten. Alles wegen der Sicht für Schießübungen. Vor zwei Jahren ereignete sich mit einem Panzer ein schwerer Ölunfall. Auch die Bundeswehr könnte solche Gefärdungen nicht auschließen.
Sind sie von der Entscheidung der Bundeswehr, den Platz weiter zu nutzen, enttäuscht?
Auf jeden Fall. Eine Entscheidung ist aber hoffentlich noch nicht gefallen, aber es gibt die Andeutuungen, daß es so werden wird.
Sie hoffen also noch, daß ihre Parteispitze oder besser die CDU-Bundesregierung in ihrem Sinne entscheidet?
Ja, ich bin da voller Hoffnung.
Und wenn nicht, werden Sie dann weiter prostestieren?
Ich glaube ja, denn ich muß hier wohnen und viele Tausende Menschen auch.
Interview: Jürgen Voges
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen