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Tarzangott und König Bleichgesicht

■ Euripides' »Die Bacchen« in einer freien Bearbeitung von Experimental Phönix

Mit den Griechen identifiziert man sich so gerne, daß es auf Details kaum mehr ankommt: Ödipus und Antigone avancieren zu Prototypen des modernen Leidens an sich selbst. Wer aber sind die Bacchen? Nichts weniger als Verkörperungen einer Erlösung von den Qualen, denen man sich in den anderen Stücken ausgesetzt hat. Die AnhängerInnen des Dionysoskultes inszenieren eine Feier der Fruchtbarkeit, die für einige Augenblicke die drohenden Konfliktpotentiale aus Inzest und Vatermord dadurch verschwinden macht, daß sie die Grenzen zwischen den Geschlechtern und Generationen kultisch aufhebt. Ein rituelles Programm der Katharsis wie es sich Ideologen der Kompensation nicht besser ausdenken könnten. So versteht sich auch die Aufführung der Gruppe Experimental Phönix in der Regie von Irene Husung und Rainer Huff: »Die Fremdheit und Faszination gegenüber Stoff und Sprache und die Modernität — wenn nicht Zeitlosigkeit — des Konfliktes setzen das Stück in einen Raum zwischen ferner Vergangenheit und naher Zukunft.« Man inszeniert zeitlos: Ein Unterschied zwischen den klassizistischen Kostümierungen und den Lichteffekten einer schäbigen Diskothek ist ebensowenig zu erkennen, wie die Bacchanalien problemlos in einer zeitgemäßen Tanztherapie aufgehen. All dieses fügt ein goldmetallicfarbener Plastikphallus zusammen, womit verziert Toni Opiela auf der Bühne als fleischgewordener Gott herumspringt.

Wer das Drama als ungeschichtlichen Ausdruck der eigenen Problemprojektionen versteht, muß die historischen Bedingungen seiner Entstehung ignorieren. Nichts lag Euripides ferner, als eine unterhaltsame Therapie sexueller Neurosen darzustellen. Das Stück handelt von dem tragischen Konflikt zwischen staatlicher und theologischer Ordnung, die in dem Zweikampf zwischen König Pentheus und dem verweltlichten Halbgott Dionysos ihre Protagonisten hat. Sieht sich in der Inszenierung ein schwächlicher, vor Angst fast grüner Pentheus der Intrige eines übermenschlichen Gottes ausgesetzt, so verhalten sich beide Figuren im Stück spiegelsymmetrisch. Sie handeln beide in der gewaltsamen Logik von Herrschern, die letztlich keine Sieger kennt, sondern in den sich abwechselnden Politikmodellen von Monarchie und Theokratie einen Prozeß sich einander ablösender Katastrophen auslöst.

Die Auflösung dieses Konfliktes leisten im Drama Teiresias und Kadmos, deren Rollen die Regie für verzichtbar hält, da sie für die Handlung nicht von Bedeutung seien. Nur von ihnen aber wird der überzogene Anspruch beider Parteien — die Alleinherrschaft des Pentheus wie die Göttlichkeit des Bacchos — zurückgewiesen. Pentheus warnend, fordert Kadmos eine republikanische Lösung des Streites: »Wohn uns vereinigt, nicht dem Brauch des Volkes fern! [...] Wenn dieser Bacchos auch kein Gott ist, wie du sagst, laß ihn so heißen, lüge schön, daß er es sei.«

Indem die Inszenierung auf solche Sätze verzichtet, verfälscht sie das Stück zum übergeschichtlichen Mythos eines nur allzumodernen sexuellen Phantasmas. Das Begehren der Macht erscheint als ein homoerotisches Geplänkel. Es bleibt aber nicht nur bei diesem vulgärpsychologischen Klischee. Sado/Maso heißt die Wahrheit in der die Inszenierung mehr verstrickt ist, als daß sie sie aus dem Stoff entwickeln könnte. Zum eigenen Lustgewinn läßt sich Bacchos vom König fesseln, der seinerseits in krampfhaften Verzückungen im Wechselspiel mit einem extatisch hüpfenden Dionysos in den Sexersatz des »dirty dancing« sich hineinträumt. Ein derart verführter Herrscher ist bereit, Frauenkleider anzulegen und dem göttlichen Phallusbesitzer um den Preis des Todes auf einen Tarzan-Kithäron zu folgen. Gesucht wird keine sexuelle Erfüllung, sondern ein phantasmagorischer Wunschkörper. Von denen, die sich ihm hingegeben haben, erzählt man sich Geheimnisvolles: Die Erfüllung sind die Zerstückelung und der Tod. Zurück bleiben klagende Frauen. Die thebanischen Bacchantinnen erkennen, daß sie, in einen Wahn versetzt, wie berauscht, die Arbeit eines Sieges verrichtet haben, der nicht der ihre ist. »Für nie Gehofftes fanden die Götter den Weg. So endete dieses Begebnis.« Das Unglaubliche der Aufführung endet nach 45 Minuten. Thomas Schröder

Die nächsten Aufführungen sind zu sehen im Theater Freunde der italienischen Oper, Fidicinstraße 40, Berlin 61 am 24. bis 27.10., 3. bis 5. und 10. bis 12.11.

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