: »Wir können Menschen nicht dem Tod überlassen«
■ Wenn Fixer sich nicht mehr verstecken müssen, gibt es weniger Drogentote/ Interview mit Jugendsenatorin Anne Klein: Liberalisierung bei Heroin ist der einzige Ausweg/ Nur Entkriminalisierung führt aus der Todesspirale INTERVIEW
taz: Verdient Berlin angesichts dieser neuen Zahlen nun wieder den Titel einer »Drogenhauptstadt«, wie dies eine Illustrierte bereits schrieb?
Anne Klein: Wie viele andere europäische Metropolen hat Berlin ein großes Drogenproblem, die Zahl der Todesfälle ist steigend. Ich persönlich lehne es ab, eine solche Bezeichnung »Drogenhauptstadt« an den Todesfällen festzumachen. Die Zahl der DrogengebraucherInnen ist ein wesentlicheres Indiz für eine solche Annahme. Nach meiner Auffassung wären viele Todesfälle vermeidbar, wenn wir eine Liberalisierung des Systems erreichen könnten.
Was kann das Land Berlin nun kurz- und mittelfristig unternehmen, damit die gewaltige Zahl der Drogentoten nicht noch weiter zunimmt — oder vielleicht auch wieder sinkt?
Solange wir die Ursachen nicht kennen, können wir leider nur mittelfristig agieren und denken. Momentan bleibt mensch zum Beispiel die Liberalisierung als einzige Möglichkeit, etwas zu verändern, und der werden aber noch viele Widerstände in den Weg gesetzt. Zum Teil geschieht dies aus Unkenntnis oder auch aus Lobbyismus, es muß noch viel mehr harte Aufklärungsarbeit geleistet werden — auch in dem Teil der Bevölkerung, der zu keiner Fraktion oder Lobby gehört.
Wo wollen Sie da konkret anfangen?
Ich möchte sehr konkret ansetzen, indem wir mit den Möglichkeiten weiterarbeiten, die wir während der Regierungszeit von Rot-Grün jetzt in die Tat umgesetzt haben. Das sind vor allem die niedrigschwelligen Angebote wie Szeneläden, in denen sich Betroffene selbst organisieren und kommunizieren, ohne kriminalisiert zu werden. Die Betroffenen müssen in die Lage versetzt werden, selbst einen Schritt weiter zu kommen.
Sie wollen in diesen Szeneläden das Fixen erlauben?
Ich halte es für eine Möglichkeit. In der Konfliktlage, in der BetreuerInnen und Abhängige sind, muß mensch ihnen beistehen. Mensch muß zur Kenntnis nehmen, daß es offensichtlich keine andere Möglichkeit in dieser Spirale des Todes mehr gibt.
Es muß in ganz bestimmten Fällen erlaubt sein, daß im kontrollierten Raum »ein Schuß gesetzt wird« und der Fixer nicht rausgeworfen wird — der geht dann in die nächste Toilette und spritzt sich ungewollt eine tödliche Überdosis. Dies könnte eine Strategie sein, vor der wir nicht mehr zurückschrecken dürfen und nach der im übrigen in anderen Metropolen wie zum Beispiel Hamburg oder Zürich, schon verfahren wird.
Immer mehr Experten fordern mittlerweile darüber hinaus die staatliche Vergabe von Heroin. Wie stehen Sie dazu?
Ich habe langsam die Einsicht gewonnen, daß es zukünftig nicht mehr zu umgehen sein wird, ganz bestimmte, natürlich dosierte Mengen an nicht rettbare Menschen auszugeben. Im Grunde genommen wird das ein Äquivalent sein zur jetzt schon praktizierten Methadonvergabe. Es gibt ja Experten, die sagen, Heroin selbst führe eigentlich nicht zum Tode und schädige den Körper weitaus weniger als Mischkonsum oder beispielsweise Kokain. Unter bestimmten Bedingungen wäre eine kontrollierte Abgabe eben auch ein Weg, Notsituationen, die eben zu absehbaren Todesfällen führen, zu vermeiden.
Sie meinen damit aber nicht die Freigabe von Heroin als Genußmittel?
Nein, diesen Ansatz kann man nicht vertreten. Das würde auch unseren präventiven Ansatz zunichte machen. Das würde letztendlich bedeuten, man macht Werbung dafür. Ich denke, hier liegt genau die Grenze.
Wir brauchen hier noch viel mehr wissenschaftliche Erfahrung, wir können jedenfalls so stark gefährdete junge Menschen nicht dem Tod überlassen. Der Staat ist jetzt gefordert, über Erlaubnistatbestände in einer bestimmten Konfliktlage von BetreuerInnen und Abhängigen nachzudenken.
Damit setzen Sie sich bewußt zwischen alle Stühle: Boulevardpresse, bürgerliches Publikum mit vielen Tabus, eine immer noch große Fachwelt, die seit Jahren die absolute Drogenabstinenz predigt. Glauben Sie, daß dazwischen überhaupt eine Durchsetzmöglichkeit besteht?
Es gibt ja auch die fachpolitische Seite, die die Liberalisierung, die Entkriminalisierung und möglicherweise auch die Freigabe in bestimmten Bereichen fordert. Ich glaube, daß diese Fachrichtung immer stärker wird. Wir sehen das jetzt auch in der Bundesrepublik, in Hamburg, in Bremen... In Hamburg ist die Szene ja noch sehr viel brutaler und größer.
Je mehr wir Metropolencharakter bekommen, um so mehr haben wir gar keine andere Möglichkeit mehr — zumal jetzt mit der Ausdehnung nach Osten. Die Lobby der Fachexperten hierfür wird immer stärker. Natürlich sitzt auch eine genauso große Fachlobby auf der anderen Seite. Die Therapeuten, die Psychologen, die Projekte, die an die Entzugstherapie alleine glauben und natürlich auch ihre eigene Pfründe an Arbeitsplätzen und staatlicher Unterstützung sichern wollen. Das wäre für mich aber überhaupt kein Grund, diese politische Forderung nicht weiter zu unterstützen und auch öffentlich immer wieder in den Raum zu stellen.
Nur über Entkriminalisierung von Drogen kommen wir aus der momentanen Todesspirale heraus, und dies ist natürlich auch ein machtpolitischer Kampf. Es kann nicht hingenommen werden, daß GebraucherInnen illegaler Drogen in die Kriminalität getrieben werden, und auf der anderen Seite die GebraucherInnen langfristig wirkender und in vielen Fällen zum Tode führender legaler Drogen die staatliche Duldung erhalten. Aus diesem Grunde führt die von mir geleitete Senatsverwaltung in der kommenden Woche eine zweitägige »Drogenkonferenz« im Rathaus Schöneberg zu eben dieser Thematik durch. Interview: Thomas Kuppinger
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