: Und Eric Clapton geht es glänzend
Die lange verstummte Gruppe Gun Cub hat eine neue Platte gemacht und ist auf Deutschlandtournee/ Ein Interview mit Jeffrey Lee Pierce ■ Von Tobias Levin
Vor einer Fußgängerampel in der Kölner Innenstadt grübelt Jeffrey Lee Pierce gerade abwesend über das Ursprungsland seines englischen Vornamens, („Deutschland, Gottfried?“), als ihn ein junger Radfahrer erkennt und anspricht. Es dauert lange, bis sich der Gun Club-Sänger und -Gitarrist aus seiner Gedankenwelt reißen läßt und das Kompliment mit einem Lächeln erwidert. Der offene Umgang sowohl mit Fans als auch mit Journalisten ist eine von vielen neuen und ungewohnten Disziplinen für ihn. Er habe genug davon, den Kult um seine Person mit launischem Geheimnis zu füttern, erklärt Jeffrey Lee Pierce einige Straßenecken weiter. Kein Alkohol, keine Zigaretten, kein Kaffee, nicht einmal mehr Fruchtsäure und kontrollierter Zuckerkonsum waren weitere Voraussetzungen dafür, daß er nun als einer der besten amerikanischen Songwriter aus den Trümmern seiner Karriere heraus die großartige fünfte Gun Club-LP „Pastoral Hide & Seek“ aufnehmen konnte. Was sich in Los Angeles mit dem 81er Debut-Album „Fire of Love“, mit „Miami“ (1982) und „The Las Vegas Story“ (1984) als einzigartiger Neubeginn in der amerikanischen Blues-, Rock- und Country-Tradition dargestellt hatte, schien eigentlich 1987 nach der LP „Mother Juno“ als gesundheitliche und finanzielle Katastrophe beendet.
Jeffrey Lee Pierce: Unsere englische Plattenfirma Red Rhino ging damals pleite, ohne für „Mother Juno“ zu zahlen. Die ganze Band versuchte, den Unterhalt in London mit miesen Jobs aufzubringen. Putzen, Videoshops. Als nichts mehr ging, bin ich zu meinem Vater auf seine kleine Farm nach New Mexico geflüchtet, und meine Freundin und Bassistin Romi Mori schlüpfte bei ihren Eltern in Tokio unter. Nur vom deutschen Label „What's so funny about...“ kamen ein paar Schecks.
Tobias Levin: „The Las Vegas Story“ war die letzte LP, die Ihr in den Staaten auf Chris Steins „Animal Records“ für Chrysalis aufgenommen hattet. Was lief so schief, daß du nach Europa gekommen bist?
Wie alle großen Plattenfirmen fing Chrysalis an, mit irren Ideen zu nerven. Ich sollte es als nächster Eric Clapton versuchen, weil sie lieber verkaufen, was längst Erfolg hat. Und da gibt es in Amerika noch genau vier Kategorien: Heavy Metal, Disco, Blues-Revival und College- Rock wie von den B-52's oder They Might bi Giants. Mit solchen Bands hat die Unterhaltungsindustrie es dort geschafft, aus der facettenreichen Musik der College-Radiostationen einen identifizierbaren Sound und eine bestimmte komödiantische Haltung zu machen. Als Vertreter des Blues-Revivals mochte ich nur Stevie Ray Vaughan ein wenig, alle anderen hatten den alten Platten nichts hinzuzufügen. Aber Stevie ist in Eric Claptons Hubschrauber gestorben, und Clapton geht es glänzend. Gibt es denn keine Gerechtigkeit auf der Welt? McCartney lebt, und Lennon wurde erschossen! Absurd. Aus Europa kamen ohnehin immer die besseren Angebote.
Wieso veröffentlichtest du hier zunächst das Solo-Album „Wildweed“?
Ich hatte einige Rhymthm'n'Blues-orientierte Songs geschrieben. Weil die Leute, mit denen ich spielte, das nicht drauf hatten, suchte ich mir andere. Vor „Wildweed“ mußte ich für die gesamte Rhythmusgruppe mitkomponieren. In dem besonderen Fall von Patricia Morrison (1985 von Andrew Eldritch für Sisters of Mercy abgeworben, inzwischen wieder gefeuert, d. Verf.) wurden die Baßlinien sogar Note für Note von mir angelernt. Mit Romi am Baß und Nick Sanderson am Schlagzeug gibt es nicht mehr so viel Arbeit. Sie wissen, was zu tun ist.
Du sammelst neben alten Blues- und Reggae-Platten der ersten Stunde auch Filme. Beeinflussen sie dein Songschreiben?
Mich interessieren besonders japanische Filme der vierziger und sechziger Jahre. „Mother Juno“ war noch von David Lynch's „Blue Velvet“ beeinflußt, „Pastoral Hide & Seek“ ist von japanischen Filmen geprägt. Sie dauern oft Stunden und erzählen vom Leben in Facetten, die so nirgends zu sehen sind. Der Verleihtitel eines Films von Syuji Tarayama brachte mich auf den LP-Namen. Ohne viel Hintersinn, er ist einfach nur schön. Grundlegend schreibe ich aber vor dem Hintergrund großer Songwriter wie Neil Young, John Lennon oder Sly Stone. Auf der anderen Seite reizte mich vielleicht noch die Zusammenarbeit mit jemandem wie Ryuichi Sakamoto.
Gun Club-Songs klingen 1990 vielschichtiger und transparenter als bisher. Zum ersten Mal hast du auch selber produziert. War das zuvor nicht möglich?
Vor drei Jahren sollte Robin Guthrie von den Cocteau Twins die Gruppe auf „Mother Juno“ mit englischem Pop veredeln. Wir ließen uns überreden, vorbearbeitete Gitarrensounds zu benutzen, weil wir nicht in der Position waren, dagegenzusteuern. Er war Produzent. Es sind zwar nur kleine Dinge, die mich an der Platte stören, aber bei „Pastoral Hide & Seek“ war ich auch körperlich in der Lage, die Arbeit alleine zu machen. Es strengt an, spart aber viel Geld. Wir konnten so in allen Arbeitsschritten digital aufnehmen.
Alkohol steht beim Gun Club für Mythos und Leid. 1982 sollt Ihr das Krankenhaus nur für die Aufnahmen von „Miami“ verlassen haben. Sind Drogen inzwischen aus der Mode?
Ja. Rob Ritter, unser Bassist auf den ersten zwei Platten, ist nicht mehr von der Nadel weggekommen und inzwischen gestorben. Ich erinnerte mich an ein Festival in Holland, auf dem Nico als einzige noch nach Stoff fragte. Die Veranstalter blieben verblüfft auf ihrem Koks sitzen. Es ist aus der Mode, und das ist gut so.
Die aktuelle Gun Club-Besetzung mit Kid Kongo Powers an der Slide-Gitarre beschreibst du als bisher beste, und alle Exzesse sind vorüber. Hat dich noch einmal ein großer Plattenvertrag gelockt?
Bevor wir „Pastoral Hide & Seek“ aufnahmen, habe ich acht Monate damit verschwendet, für die Major-Firma Island Demos aufzunehmen. Sie begannen sofort, überall hineinzureden. Wollten weniger Balladen, baten mich, Rolling Stones-Songs zu schreiben und kamen sogar mit einem Heavy Metal-Gitarristen an, weil ihnen Kid nicht gefiel. Obwohl sie die Band laut Vertrag, „wie sie ist“, zeichneten. Die Cramps bekamen ähnliche Probleme, aber sie wissen genau wie wir zu viel über das Geschäft, und das macht große Firmen unglücklich. Was Debbie Harry 1982 als schlimmste Situation im Rockgeschäft prophezeit hat, ist längst eingetreten: wer entdeckt werden möchte, braucht viel Geld. Andernfalls bist du von vornherein einem Management ausgesetzt. Billy Idol beispielsweise hing lange mit im New Yorker CBGB's herum, bevor er durch Music Television einer der ersten Video-Stars wurde. Er erzählte mir, daß jedes seiner drei Videos zur „Rebel Yell“-LP dreimal so teuer war wie die gesamte Plattenproduktion. Dreimal so teuer! Nur für die Werbespots. Sogar Billy dachte sich, daß da etwas nicht in Ordnung sei.
Empfehlt Ihr, grundlegend kein Video zu machen?
Nein, es wird auch eines zu „St. John's Devine“ von „Pastoral Hide & Seek“ geben. Ein holländischer Filmer drehte es mit bescheidenen Mitteln. Ohne Video und CD ist heute nichts mehr zu machen. So viel habe ich gelernt. Die Plattenbosse wollen schon bei jungen Bands neben vorproduzierten Demos ein Video sehen. Die Musikszene in Los Angeles prägen daher vor allem Reiche- Kinder-Bands wie L.A. Guns oder Poison. Den Eltern ist egal, ob die Kleinen Rechtsanwalt oder Popstar werden wollen. Die Kinder wachsen mit dem Swimming-Pool auf und müssen nur noch zwischen Ferien- Trip und LP-Produktion wählen. Das ist Rock'n'Roll: Ein Reiche- Kinder-Spiel.
Gun Club: „Pastoral Hide & Seek“, What's so funny about (Efa LP 02902/08)
Tourneedaten: 31.10.: Braunschweig; 1.11.: Berlin; 2.11.: Hamburg; 4.11.: Köln; 5.11.: Frankfurt/Main; 6.11.: München
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