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ZWISCHEN DEN RILLEN VONTHOMASGROSS

Endlich! Die Revolution hat wieder einen Namen. Man darf jetzt „Rave“ zu ihr sagen. „Rave-o-lution“, dichtete das Musikmagazin 'Spex‘ in gewohnt souveräner Manier und machte sich auch gleich zur Speerspitze des Movements. Genauer gesagt: zum Herausgeber eines Samplers, auf dem alle wichtigen Rave- Bands vertreten sind. Die Platte zur Revo gewissermaßen.

Was ist nun aber eigentlich Rave? Damit keiner sagen kann, er habe die Revolution verpaßt, weil sie unerkannt an ihm vorübergeschlichen ist, haben sie ihren Redakteur Hans Nieswandt an die Definitionsfront gehetzt: „Das Wort ,Rockdance‘, die unbeholfene und unkorrekte Umschreibung für den Rave-Sound, bringt doch zwei der essentiellen, ewigen und oft unvereinbaren Kid-Bedürfnisse auf den Punkt, die in Rave-Musik bruchlos vereint werden: das In-einer- Band-Sein und das In-die-Disco-Gehen. Hier verbindet sich das optimal und in einer Weise, die es vorher überhaupt noch nicht gab: von Bands gemachte, von DJs produzierte Tanzmusik, die im Konzert und auf der Tanzfläche happening ist.“

Die Musik, heißt das, ist vor allem anderen Soundtrack zu langen Tanznächten, in denen sowohl die Musiker als auch die DJs als auch die Tänzer Helden sind. „We wanna be free, to do what we wanna do, and we wanna get loaded“, stammelt denn auch die aufgeregte Stimme am Anfang des Drogensongs Loaded von Primal Scream. Es folgt eine siebenminütige Zelebration auf drei Akkorden, die in ihrem Trancecharakter an den endlosen Schluß von Hey Jude erinnert; oder an Sympathy for the Devil. Womit der wichtigste Bezugspunkt des Rave-Happenings genannt wäre: die späten sechziger Jahre mit ihren psychedelischen Schwebemusiken und ihrer positiven Auffassung von Drogen. Zeiten, in denen selbst Machomarionetten wie die Rolling Stones eine „fließende“, geniale Platte hinkriegten (Their satanic Majesties request). Zeiten, die allerdings nicht nostalgisch heraufbeschworen werden. Der Rave-Sound wehrt sich gegen das Zitat, weil er mit dem Anspruch auf Neuheit auftritt. Die Welle, obwohl irgendwie bekannt, will über alle Ufer hinaus.

„Free“ und „motion“ sind die Schlüsselwörter, die in allen Variationen wiederholt werden. „World in motion“, singen New Order, die dienstälteste Gruppe (das Stück war übrigens Fußballweltmeisterschaftssong der Engländer), „I could move, move, move any mountain“ die Shamen. Kein Stillstand — Bewegung, Dabeisein, Berge versetzen, Grenzen aufheben. Papa und Mama nicht umbringen müssen, sondern einfach vergessen. In sein durch out sein. Motion erzeugt natürlich auch der Rhythmus, ein fließendes Post-Acid-House-Geblubber, das weniger auf Dramatik als auf die Widerholung setzt, nicht auf Entladung aus ist, sondern auf das Hinauszögern: noch nicht ins Bett müssen, weitertanzen, die Musik hat's erlaubt.

Rave-Musik fühlt sich nicht nur an wie eine überdimensionale Schmusedecke, sie wirkt offenbar auch wie ein Jungbrunnen. New Order, die Pioniere des Techno-Pop und Besitzer der momentan angesagtesten Disko der Welt (der „Hacienda“ in Manchester), sind wieder eine der Bands der Stunde. Doch auch bei den Jüngeren gibt es seltsame Karrieren. Mit Shaun Ryder von den Happy Mondays ist erstmals seit ewigen Zeiten wieder ein Bukowski-Gesicht Jugendgott geworden. My Bloody Valantine, eigentlich ziemlich graue und wenig rhythmische Gestalten, haben auf diversen Umwegen (konkret heißt das: durch Remixes von einem der momentan erfolgreichen DJs) zum Rave-Sound gefunden. Ebenso die Shamen. Vieles, was vor kurzem noch unentschlossen oder fad wirkte, klingt im Rave-Remix zumindest irgendwie aktuell.

Am wundersamsten wohl die Geschichte von Primal Scream, einer Band, die mittlerweile in ihren dritten Frühling geht. Ihr Kopf Bobby Gillespie, ursprünglich einmal Mitglied von The Jesus & Mary Chain (und schon beim Verlassen der Band für tot erklärt), startete ab 1986 eine erfolgreiche zweite Laufbahn als Sänger zartester Folkweisen. Später verirrte er sich in den Untiefen des Riffrocks, und kein Mensch hätte auch nur einen Pfifferling auf die Zukunft von Primal Scream gegeben. Bis Rave kam, und mit ihm die Erlösung: tanzen, tanzen, tanzen. Heute strahlt Gillespies Stern heller denn je. Es ist, als hätte die Band sich auf einer seltsam verschlungenen und doch irgendwie zwingenden Kurve der Programmatik ihres Namens angenähert: Urschrei (Ich warte jetzt nur noch auf den Remix von „Shout, shout, let it all out!“).

England tanzt sich in den verregneten Herbst. Ob die „Tanzschaffe“ ('Spex‘) aus Manchester hier, im wiedervereinigten Deutschland allerdings ähnliche Begeisterungsstürme auslösen wird, weiß ich nicht. Zu viele Revolutionen in zu kurzer Zeit könnten selbst willigen Seelen aufs Gemüt schlagen (auch wenn diese hier nur in der Disko stattfindet). Gut an Rave ist immerhin, daß er einige Spielregeln außer Kraft setzt, ohne sie gleich wieder verbindlich zu definieren. Zunächst einmal: Jeder darf mitmachen, solange der Beat dabei ist. Abgrenzung und Borniertheit sind out. Gut auch, daß Rave den immer cleaner, muskulöser und pestiger werdenden Sex-Messages der Zeit eine sanfte, egalitäre Variante entgegengesetzt. No offensive sex! Die primären und auch die meisten sekundären Geschlechtsmerkmale verschwinden erst einmal unter XXXL-Kleidergrößen. So können sie vielleicht neu entdeckt werden; ist eben eine sehr kindliche Angelegenheit, diese Rave-o-lution. Weniger gut dagegen ist, daß das so eroberte, noch nicht festgeschriebene Vergnügen gleich wieder mit weltumspannenden, New-Age-ähnlichen Versöhnungsideologien einhergeht. Am kindlichen Wesen wird die Welt nämlich auch nicht genesen

Diverse: Rave On, Rough Trade

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