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Twin Tone in den Twin Cities

Die unabhängige Musikszene in Minneapolis/ Zugleich ein Einblick in die Arbeitsweise von Independent-Labels in den USA  ■ Von Michael Ballauff

In den Twin Cities Saint Paul und Minneapolis im US-Bundesstaat Minnesota brachte die heimische Presse zur Zeit des deutschen und Berliner Vereinigungstaumels eine Satire: Die beiden rivalisierenden Nachbarstädte sollten sich nun auch zusammenschließen. Aus Mangel an symbolischen Attraktionen wie einer Mauer könne man ja einfach den beide Städte trennenden Mississippi zuschütten, um die Menschen zusammenzubringen. Wie geschichtsunbewußt dieser Vergleich auch immer sein mag, fest steht, daß die Zwillingsstädte grundverschiedene Images in der Bevölkerung haben. Saint Paul ist als Staatshauptstadt die Verwaltungs- und Finanzmetropole, während Minneapolis als Kulturstadt gilt, deren musikalischer Ruf durch Prince und Hüsker Dü bis in unsere Breiten gedrungen ist. Minneapolis ist die Stadt der 10.000 Bands, von denen über 40 Musikequipment-Läden existieren können. An jedem Tag im Jahr veranstaltet fast jeder der zahllosen Musikklubs Konzerte, von Country über Jazz und Funk bis hin zu alternativen Rock. Bei meist freiem Eintritt kann man sich dort zum abendlichen Bier treffen und den sich abmühenden Bands sein Ohr leihen.

Dieses rege Musikschaffen beschäftigt natürlich eine Reihe von Plattenfirmen, die die Arbeiten nicht nur einheimischer MusikerInnen als Konserve verbreiten wollen. Princes Paisley-Park-Imperium, dessen Soul- und Funk-Produktionen über Warner Brothers weltweit verteilt werden, wäre an erster Stelle zu nennen. Aber in Minneapolis haben sich auch einige Indenpendent-Label etabliert, von denen vier unter einem Dach eng zusammenarbeiten. Die Hausnummer 2.541 an der Nicollet Avenue beherbergt die Büros von Twin/Tone, Red Decibel, Amphetamine, Reptile und Project A-Bomb Records und liegt in der hipsten Gegend von Minneapolis — voller Cafés, Bars, Plattenläden und Musikgeschäften. Eine gute Ausgangslage für Szenearbeit.

Twin/Tone Records ist das größte der dort arbeitenden Label und durch Bands wie The Replacements und Soul Asylum auch über die USA hinaus bekannt. Gegründet wurde das Label Anfang der Achtziger von Paul Stark, um zunächst Singles von einheimischen Kapellen zu veröffentlichen. 1984 erschienen dann die ersten LPs von The Suburbs, eine heute nur noch lokal bekannte Band, und The Replacements. Mit dieser Band wurde das Label groß, bis sie nach dem Erfolg ihrer vierten Platte „Let it be“, von der allein in den USA 50.000 Stück verkauft wurden, zu Warner abwanderte. Heute ist Soul Asylum die größte Verkaufsstütze.

Nach Aussage von Presse- und Promotionfrau Jill Fonaas begreift sich TT als halb regional und halb national orientiertes Label. Das Interesse an der heimischen Szene ist sehr groß. Jill nennt das den Midwest-Ethos, der sich vor allem aus persönlichen Beziehungen nährt.

Für Amis arbeitet es sich mit Freunden anscheinend am angenehmsten. Und die jüngsten Veröffentlichungen von den Noise-Frauen Babes In Toyland, den jazzig schrägen Toadstool oder von den bluesigen Hardrockern Run Westy Run rechtfertigen von der Intensivität und Variabilität den heimatlichen Fokus. Andere TT-Bands wie Skunk, Agitpop oder Das Damen zeigen die große Bandbreite zwischen melodiösem und krachigem Gitarrenrock, auf den sich das Label ausgerichtet hat.

Auch für Jake Wisely, Präsident, Produzent und Promoter von Red Decibel Records, gilt der Midwest- Ethos. Er hält sich zugute, mit seinem erst seit sechs Monaten existierenden Label die regionale Metal- Szene entdeckt zu haben, und will zeigen, daß die Gegend nicht nur Hüsker Dü-Epigonen hervorbringt. RD entstand aus einem Praktikum, das Jake mit 17 Jahren bei TT absolvierte. Paul Stark schlug ihm vor, ein eigenes Label für seine Musikinteressen, den „heavy alternative Rockstyle“ zu gründen. Mittlerweile arbeitet der erst zwanzigjährige Jake mit sechs Bands, unter anderem Coup de Grace und Rapscallion, die beide eine sehr technisch klingende Metal-Variante vertreten.

Tom Hazelmyer, laut Visitenkarte King Ego and Shitworker von Amphetamine Reptile Records, gibt nichts auf die Midwest-Orientierung. „Für mich macht es einzig die Musik aus, und ich gebe einen Fliegenschiß darauf, woher die Bands kommen.“

Er geht nach seinen Vorlieben, und die liegen bei sägender Kopfschmerzmusik von den Lärmverbrechern Cows, God Bullies, Surgery und anderen. Er selbst spielte die Gitarre bei Halo of Flies und Killdozer. Dementsprechend ziert das Logo des Labels das Wörtchen Noise. ARR begann als reines Single-Hobbyprojekt, ist aber nun nach zwanzig veröffentlichten Alben in drei Jahren der Vollzeitjob für seinen Präsidenten, „nicht besser als in einer Fabrik zu arbeiten..., aber ich kriege klar, was ich will.“

Immerhin beschäftigt er mit Tom Greenwood einen Praktiktanten für die Promotion, der nebenbei noch für TT Plattencover entwirft und für seine eigene Band Jonestown das Label Project A-Bomb gegründet hat. Außer einer Jonestown-Single, auf der britische Exzentrik à la The Fall mit Ami-Noise verquickt ist, erschien bei ihm bisher noch eine 7'' der Briten Dogfaced Hermans. PAB begreift sich als Do it yourself-Projekt. Die alte Indie-Idee: „Wir sind Anti-System, you know?!“ Das Label hat keinen Vertrieb, Greenwood organisiert die Touren von Jonestown selbst und packt Promotionsexemplare den Bemusterungspaketen seines Chefs bei.

Der wiederum hängt für den Vertrieb seiner Produkte an dem Deal, den TT mit der US-Filiale des Independent-Vertriebs Rough Trade hat. Seit eineinhalb Jahren läßt TT seine Platten über Rough Trade herstellen und in den USA vertreiben, was laut Jill eine deutliche Verbesserung zur früheren Arbeit mit mehreren Vertrieben ist, wo das Label ständig hinter seinem Geld herrennen mußte. „Wir sehen, daß es in Zusammenarbeit mit Rough Trade leichter ist, bezahlt zu werden. Wir handeln nur mit ihnen, und sie verkaufen unsere Produkte an andere Vertriebe. Sie bezahlen uns wöchentlich, anstatt daß wir alle zwei Monate einen großen Scheck bekommen.“ So ist ein regelmäßiges Einkommen gesichert, das notwendig ist, eigene Rechnungen an Tonstudios oder die Mitarbeiter zu bezahlen sowie eine beständige Promotion zu finanzieren.

TT gibt die Produktionen von AR und RD wie die eigenen an Rough Trade und bezahlt deren Herstellung. Außerdem schießt das Label Gelder zur Produktion an Jake und Hazelmyer vor, und ermöglicht beiden dadurch erst, ein eigenes Label zu führen und davon zu leben. Das Abkommen läuft für alle zufriedenstellend. TT trägt zwar das Risiko eines Mißerfolges, verdient aber mit an den Verkäufen von ARR und RD, die bewegen sich durch diesen Deal in Zahlen zwischen drei- und sechstausend Stück, was im Independentbereich in den USA sehr gut ist. TTs Verkäufe liegen normalerweise im selben Rahmen. Jake und Tom müssen sich im Prinzip nur noch um die Promotion kümmern, die Bemusterung von Presse und interessierten Radiostationen, die bei der unterschiedlichen Auslegung der Label stark differieren. TT unterstützt auch hier mit Postermailing und Erwähnung von neuen ARR- und RD-Releases im hauseigenen Newsletter. Jake: „Ich habe so viel größere Präsenz, dafür daß ich allein arbeite... und in Bezug auf Rough Trade habe ich deren Vertreter, die die Platten in die Läden drücken, anstatt daß ich anrufen muß und jeden einzelnen Laden dazu kriegen muß, für sich zu ordern.“

Die Zusammenarbeit unter einem Dach hat dazu die Vorteile des persönlichen Kontaktes und der Möglichkeit der gemeinsamen Nutzung eines Computerverkaufs- und Adressensystems. Hazelmyer: „So bekomme ich Anleitungen in Dingen, von denen ich vorher keine Ahnung hatte wie Verträge, Computer, damit ich überhaupt in der Lage bin, in einem Büro zu sitzen.“

Um ihr eigenes auf mittlerweile sechs VollzeitmitarbeiterInnen angewachsenes Unternehmen und die Unterstützung der anderen Label zu finanzieren und um mehr für einzelne Bands tun zu können, hat TT ein Abkommen mit dem Major A&M geschlossen. Die Firma übernimmt für drei Jahre insgesamt sechs Produktionen ausgesuchter TT- Bands. Die Produktion bleibt bei TT, A&M stellt die Platten her und vertreibt sie. Das Logo weist beide Firmen auf. So soll Bands, die „so weit sind“, der große Marketing- und Promotionsapparat der Majors zur Verfügung gestellt werden, ohne daß sie verlorengehen, was Independentfirmen mit bekannter werdenden Acts häufig passiert. Jill: „Der Grund für diesen Deal war, daß TT für viele Jahre sehr involviert war in die Arbeit mit den Replacements, und dann verschwanden sie zu Warner Brothers. Als die Band erfolgreich wurde, hatten wir nur noch den Backkatalog. Auch auf persönlicher Ebene ist es hart, die Entwicklung einer Band zu sehen, und dann plötzlich nichts mehr mit ihnen zu tun zu haben.“

Neben Soul Asylum kommen noch die Mekons, eine britische Fake-Country- Combo, die TT für die USA lizensiert, in den Genuß der Zusammenarbeit. Die Bands können so zu fünfstelligen Verkaufszahlen gepusht werden, was für einen Indie in den Staaten aufgrund des teuren Promotionaufwandes in dem riesigen Land mit sehr verstreuten Presse- und Rundfunkorganen fast unmöglich ist. Von den Vertriebsproblemen ganz zu schweigen. In den USA konkurrieren die einzelnen Independent-Vertriebe um einzelne Regionen, anstatt ein organisiertes Verteilernetz über das ganze Land aufzubauen. Bands können meist erst von ihrer Musik leben, wenn sie auf einem Major-Label gelandet sind. Für TT bedeuten die zu erwartenden höheren Verkäufe neue Einnahmen, die in die Produktionen kleiner Acts investiert werden können. Auch die Majors sehen darin die Stärke der Indies und sind deshalb zu solch ungewöhnlichen Arrangements bereit.

Obwohl erst seit einem halben Jahr im Geschäft, hat Jake Wisely schon Kontakte zu Warner Brothers geknüpft. Die Firma unterstützt ihn mit kleinen Summen für die Promotion einzelner Bands, an denen sie interessiert ist. Als Option haben sie dafür das Recht, die zweite Veröffentlichung herausbringen zu dürfen, als Joint-venture Warner-Red Decibel. „Es ist nichts Festgelegtes, ich kann dabei nicht verlieren. Ich bekomme Geld von ihnen, und sie haben die Wahlmöglichkeit, eine Band zu übernehmen, die einen größeren Fankreis hat. Es ist ein neue Strategie der Zusammenarbeit.“ Die Debut-LP von Drophammer ist das erste Projekt, das Warner fördern wird.

Hazelmyer sieht für sein Label keine Veranlassung, nach Majors Ausschau zu halten. Er weiß, daß seine Bands zu extrem sind, um ein Massenpublikum zu interessieren, und nie den Durchbruch schaffen werden. „Ich kann bei keiner Band sehen, daß sie die neuen Pixies werden würden.“

Dafür zeigte das deutsche Label Glitterhouse großes Interesse an den ohrenbetäubenden Kunstwerken auf ARR. Sie lizensierten das gesamte Programm für den europäischen Markt. Hazelmyer schickt ihnen alle Bänder, und die Platten werden dann hier hergestellt und über EFA vertrieben. Glitterhouse hat dabei die freie Entscheidung über Auflagenhöhe und Promotionsaufwendungen — Tom gibt selbst zu, daß er vom europäischen Markt keinen Schimmer hat. Er kann auch nicht einschätzen, wie gut sich seine Musik hier verkauft. Laut Glitterhouse liegen die Zahlen zwischen 1.500 und 5.000 Stück, je nach Veröffentlichung, und sind damit ähnlich den USA-Verkäufen. Glitterhouse hat auch 200 Kopien der Jonestown-Single übernommen.

TT hat seit diesem Jahr einen Lizenzdeal mit dem englischen Vertrieb Southern Studios, der den gesamten Katalog bei kleineren Releases importiert oder bei größeren Stückzahlen selbst herstellt und in Europa über die Federation of European Distributors vertreibt. Die Platten kommen so über den EFA-Vertrieb nach Deutschland. Die LP der Frauenband Babes In Toyland war die erste auch europäische TT-Veröffentlichung und fand durch den Tour-Support hier einige Resonanz. Mit diesem Abkommen will TT beständig auf dem europäischen Markt vertreten sein und seinen Bands hier eine Basis für Tourneen schaffen.

So spinnen sich die Fäden des Enterprises aus. Auf den diesjährigen Berliner Independence Days war keines der Label vertreten, um ihr Konzept der flexiblen Zusammenarbeit und gegenseitigen Unterstützung sowie der Nutzung von Major- Kapazitäten vorzustellen. In den Bemühungen der Independent-Szene, effektivere Organisationsformen zu finden, ist die Arbeit in der Nicollet- Avenue 2.541 in Minneapolis sicher ein gut funktionierendes Beispiel.

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