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Der Blick hat sich geändert

Zum 13. arabisch-afrikanischen Filmfest in Tunis  ■ Von Michaela Ott

Sein Blick hat sich geändert“, sagt die Portiersfrau am Eingang zum Dampfbad und schüttelt verneinend den Kopf. Nur dank der Überredungskunst der Mutter und Tante, die darauf verweisen, daß der Junge zum Beschneidungsfest seines kleinen Bruders doch ordentlich gereinigt sein müsse, darf Nouri den Hammam ausnahmsweise noch einmal betreten. Seine Mutter will nicht wahrhaben, daß sich der Blick des Jungen tatsächlich geändert hat und daß seine neuerliche erwachte Leidenschaft für das Bad auf einem voyeuristischen Interesse beruht: endlich einen Blick auf die immer verhüllten Stellen des weiblichen Körpers zu erhaschen. Doch selbst im Bad findet er das Gesuchte nicht: Sogar hier tragen die Frauen noch Unterkleider, und wenn sie schon mal nackt aus den Badewannen steigen, halten sie sich noch immer eine Wasserschale oder einen Waschlappen vor die Stelle, die ihn so besonders interessiert. Als es Nouri schließlich gelingt, sich nahe an eine Frau heranzuschleichen, die gerade dabei ist, ihr Tuch zu lösen, wird er ertappt und fliegt aus dem Hammam hinaus.

Dem tunesischen Regisseur Ferid Boughedir ist mit dieser Komödie der Mannwerdung beziehungsweise ihrer wiederholten Verhinderung, die dank der Initiation Nouris durch das Dienstmädchen zuguterletzt doch noch in ein Happy-End mündet, ein Kassenschlager gelungen — der Film Halfaouine ist in Frankreich bereits in 25 Kinos angelaufen und ist damit der erste in Europa erfolgreiche tunesische Film — wofür der Regisseur mit dem ersten Preis der diesjährigen „Journées cinématographiques de Carthage“ in Tunis belohnt wurde.

Sein Film ist paradigmatisch für die Situation des Kinos in den afrikanischen Ländern: Nach dem europäischen Markt schielend, hat sich Bougehdir weit von der Wirklichkeit des populären Altstadtviertels von Tunis entfernt, hat eine beschönigte und ins komödiantische abgedrehte Version zentraler Lebensprobleme wie der Geschlechterbeziehung und der Tabuisierung der Körper geliefert. Von einheimischen Kritikern wird der Verlust sowohl des sozialen Engagements wie der Suche nach einer eigenen Kinoästhetik, wie sie die Anfänge des afrikanischen Kinos kennzeichneten, beklagt: Das Aufgeben des politischen Engagements des afrikanischen Kinos verglich man sogar mit dem „Fall der Berliner Mauer“.

Das Festival in Tunis, das sich nicht nur als Forum des arabischen, sondern auch des schwarzafrikanischen Films versteht, war in seinen Wettbewerbsbeiträgen durch einen auffallenden Überhang arabischer Filme mit jeweils mehreren Beiträgen aus Marokko, Algerien und Ägypten gekennzeichnet. Einige schwarzafrikanische Regisseure riefen aufgrund dieser Benachteiligung sogar zum Boykott des Festivals auf. Offensichtlich will man dem Filmfestival von Burkina Faso, das im jährlichen Wechsel mit Tunis stattfindet, die Alleinvertretungsfunktion des schwarzafrikanischen Kinos zuweisen. Hätte es nicht das Begleitprogramm älterer schwarzafrikanischer Filme gegeben, so hätte man in den wenigen Wettbewerbsbeiträgen aus Guinea, Guinea-Bissao, der Elfenbeinküste, aus Angola und Nigera nicht das finden können, was den afrikanischen Film in der Regel kennzeichnet: den Widerspruch zwischen importierten und traditionellen Lebensformen, seine Leistung als ethnographisches Dokument. Mit Ausnahme des mit Silber ausgezeichneten algerischen Films Louss — Roses des sables von Mohamed Rachid Ben Hadj, der das harte Leben von Oasenbewohnern, besonders einer Frau und ihres verküppelten Bruders, in der Eintönigkeit des Sandes und unter dem engen Zeltdache in wunderbar plastischen Bildern und einer zwischen Komik und Melancholie balancierenden Dramaturgie nahebringt, hat nur der Wettbewerbsbeitrag Mortu Nega von Flora Gomes aus Guinea-Bissao trotz großer dramaturgischer Schwächen so etwas wie eine Anbindung an traditionelle Themen versucht. Der Unabhängigkeitskrieg gegen die Portugiesen wird aus dem Blickwinkel einer Frau erzählt, die sich zu ihrem Mann an die Front durchschlägt und für die auch nach dem Krieg der endlose Kampf nicht zu Ende ist: Sie ist es, die die Trockenheit durch Anrufung der Regengötter abwendet, sie pflegt ihren kranken Mann — in einer Reihe von Überblendungen stellt sich das Leben als ununterbrochene Kette traumatischer Stationen des Überlebenskampfes dar. Der Bronzepreis für Flora Gomes war wohl eine Konzession an das afrikanische Kino und vielleicht auch die Auszeichnung des einzigen weiblichen Beitrags auf diesem Festival.

Auffallend war immerhin die große Zahl von Filmen, die eine weibliche Perspektive in den Vordergrund rückten. Der marokkanische Wettbewerbsbeitrag Badis von Mohamed Tazi wendet sich explizit gegen die Diskriminierung der Frau in der islamischen Gesellschaft und erzählt von zwei Frauen, die aus der Enge eines Fischerdorfes entfliehen wollen und dafür zu Tode gesteinigt werden. Der ägyptische Beitrag Les violeurs von Said Marzouk zeigt mit viel Lärm, in schnellen Schnitten und einer drastischen Dramaturgie die Vergewaltigung einer Frau durch fünf Männer vor den Augen ihres Verlobten. Wenn der Film auch besonders die an der Frau begangene Gewalt und ihre hochdramatischen inneren Kämpfe um Selbstbehauptung gegen die öffentliche Schande betont, so zeugen der harte Schuldspruch für die Vergewaltiger beziehungsweise die beiden Todesurteile nicht vom Versuch einer Enttabuisierung der Sexualität oder einer Aufwertung der Frau innerhalb der Männergesellschaft, sondern nur von der Verdammung der Gewalttat im Zeichen einer gestärkten islamischen Moral.

Sexuelle Gewalt zwischen Mann und Frau in der konventionellen Vernunftsehe, die nur noch der Haß verbindet, war auch Thema des erstmaligen Wettbewerbsbeitrags aus dem Bahrain, dem kleinsten der arabischen Emirate: Der Film L'obstacle des Regisseurs Bassam Dhaouadi endet mit einer körperlichen und zuletzt totalen kommunikativen Verweigerung der Frau und ihrem Selbstmordversuch. Die Verstummung der Frau ist gleichzeitig die der traditionellen Kultur: Als der Mann, der nunmehr eine Liebesbeziehung zu seiner Videokamera unterhält, sie auf seinen alten Vater richtet, erstickt dieser unter dem von ihm als magisch empfundenen Blick.

Der Blick hat sich geändert: Wenigstens in einigen Kurzfilmen deutet sich an, wohin sich die afrikanische Kamera wenden müßte, um der eigenen Wirklichkeit wiederzubegegnen. Aus Boughedirs nostalgischem Blick durch Kinderaugen auf verborgene Frauenkörper ist in dem tunesischen Kurzfilm Ami Ali von Frej Slama ein harter und verzweifelter Blick auf die fleischzeigenden Touristen geworden: Durch einen Maschendrahtzaun beobachtet eine Tunesierin die in einer Badeanstalt versammelten Fremden und ihren Mann, der seine geflochtenen Körbe feilbietet und sich von ihnen zum Narren halten läßt. Während sie vor Beschämung in Träünen ausbricht, lernt er von den Deutschen „ich liebe dich“ sagen.

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