: Toleranz in Rumänien
■ Studentenführer Marian Munteanu über die Perspektiven in seinem Land INTERVIEW
Marian Munteanu, 28, ist der unbestrittene Führer der oppositionellen rumänischen Studenten. Er war einer der Organisatoren der Dauerproteste auf dem Universitätsplatz von Bukarest im April und Mai dieses Jahres. Die Forderungen: Demokratie und Absetzung der alten Nomenklatura. Staatspräsident Iliescu rief daraufhin die Bergarbeiter, um die Studentenbewegung zu zerschlagen. Am 14. Juni wurde Munteanu mit Gewalt aus der Universität geholt und über eine Stunde lang von den Bergarbeitern brutal mißhandelt. Nach einem mehrwöchigen Aufenthalt in einem Krankenhaus wurde er verhaftet und anschließend in einem Militärhospital weiterbehandelt. Inzwischen freigelassen, wartet er auf seinen Prozeß. Er wird der Anstiftung zur Gewalt bezichtigt wird.
taz: Als wir uns im Mai voneinander verabschiedeten, sagten Sie, „Wenn die Front die Wahlen gewinnt, werde ich verhaftet“. Wie geht es Ihnen jetzt, und hat ihre Freilassung eine politische Bedeutung?
Marian Munteanu:Ich danke Gott, daß ich wieder hier im Büro der Liga der Studenten mit Ihnen sprechen kann. Meine juristische Situation wurde nicht geklärt, obwohl die Militärstaatsanwaltschaft ihre gegen mich erhobene Anklage wegen Anstiftung zur Gewalt inzwischen fallengelassen hat. Andererseits aber wurde mir seitens der zivilen Staatsanwaltschaft ein Verfahren wegen Störung der öffentlichen Ordnung angehängt, was meiner Meinung nach direkt mit der Demonstration auf dem Bukarester Universitätsplatz zu tun hat. Am 2. August wurde ich aus der Untersuchungshaft entlassen. Einzelheiten über die gegen mich erhobene Anklage wurden mir nie mitgeteilt, so daß ich keine Ahnung habe, ob und wann es zu einer Gerichtsverhandlung gegen mich kommt. Nicht einmal mein Anwalt konnte sich über die gegen mich erhobenen Anschuldigungen aufgrund einer Akteneinsicht informieren. Weil gegen mich ein Strafverfahren läuft, wird mir zum Beispiel der Reisepaß verweigert, so daß ich nicht einmal eine Auslandsreise unternehmen kann. Irgendwelche Leute, die ich nicht kenne, sähen mich wahrscheinlich am liebsten wieder hinter Gittern.
Immerhin ist Ihr Fall ja ein Gradmesser für die Glaubwürdigkeit der Justizorgane. Sie selbst sind den Weg der Versöhnung gegangen. Es berührte uns, daß Sie kürzlich in Kronstadt jene Bergarbeiter wiedertrafen und mit ihnen diskutierten, die Sie zusammengeschlagen haben.
Zu meinem Erstaunen mußte ich feststellen, daß die Delegation der Bergarbeiter aus Leuten bestand, die sowohl 1977 an dem großen Streik gegen Ceausescu als auch an dem „Einsatz“ im Juni in Bukarest teilgenommen hatten. Der Sprecher der Bergarbeiterdelegation, Miron Cosma, wollte die Dinge klären. Ich hatte den Eindruck, daß die Grubenarbeiter sich im nachhinein erst Rechenschaft darüber gegeben haben, daß sie manipuliert worden waren und sich zu Handlangern hatten degradieren lassen. Wenn ein Mensch ehrlich seinen Fehler einsieht, dann kann ich ihm doch nur entgegenkommen, oder?
Hat sich auch die Haltung der Regierung geändert?
Sie mußte sich ändern. Das Echo auf die Aktion der Bergarbeiter war, auch im Ausland, verheerend. Ich beziehe mich allerdings nur auf die offiziell eingenommene Haltung! Ich bin aber überzeugt, daß dieser Gesinnungswandel sich nicht in den Seelen dieser Menschen vollzogen hat, wie es bei den Bergarbeitern der Fall ist. Die Ereignisse haben immerhin gezeigt, daß es auch in Rumänien nicht möglich ist, sofort und immer die Knüppel einzusetzen.
Glauben Sie, daß die Regierung wieder zu denselben Mitteln greifen würde, wenn es noch einmal zu einer ähnlichen Demonstration käme, wie die, die auf dem Bukarester Universitätsplatz stattgefunden hatte?
Ja.
Im Mai hatten wir auch über den aufkeimenden Nationalismus gesprochen. Inzwischen hat sich vieles verändert, und die öffentliche Debatte über die Vereinigung Rumäniens mit der sowjetischen Moldaurepublik hat die Wogen des militanten Nationalismus keineswegs geglättet. Im Gegenteil. Stellt, Ihrer Meinung nach, die derzeitige Form des Nationalismus nicht auch eine Gefahr für die Demokratie in Rumänien dar?
In erster Linie muß geklärt werden, was Nationalismus überhaupt bedeutet. Ich bin nicht ganz mit dem Gebrauch des Begriffs „Nationalismus“ einverstanden, denn was unter Ceausescu als Nationalismus praktiziert wurde, war nichts als Mißbrauch. Ich selbst lasse nur das Gefühl des Patriotismus gelten. Jedem Menschen jedoch müssen die fundamentalen Menschenrechte zugestanden werden. So auch in der Moldaurepublik, wo es um die fundamentalen Menschenrechte einer ganzen Bevölkerung geht, die im sowjetischen Staat verletzt werden. Die separatistische Bewegung der Gagausen verletzt dagegen sowohl die individuellen als auch die kollektiven Menschenrechte der Moldauer, die jahrhundertelang in ihren angestammten Gebieten leben und arbeiten. Den Rumänen, also auch den Moldauern, meine ich, kann niemand Intoleranz gegenüber ethnischen Minderheiten vorwerfen.
Es gibt Berichte, aus denen hervorgeht, daß radikale Moldauer mit ähnlichen Methoden wie die Bergarbeiter im Juni in Bukarest gegen Mitglieder der Minderheiten vorgehen...
Vielleicht, ich beharre weiterhin auf meinem Standpunkt und erkläre mich solidarisch mit den Moldauern. In einem demokratischen Staat, so wie ihn ich mir vorstelle, ist Platz für jedwede nationale Minderheit. Was in der auflagenstärksten Zeitung Rumäniens, der 'Romania Mare‘, als Nationalismus aufscheint, ist nichts anderes als Pöbelhaftigkeit, die von sensationslüsternen Leuten auf ihre Art goutiert wird. Ich bin gegen jegliche Gewaltanwendung. Ich selber war ja auch das Opfer von Leuten, die sich als Nationalisten bezeichnen. Und mir kann niemand gegen die rumänische Nation gerichtete Aktionen unterstellen. Wenn es wirklich derartige Vorfälle gegeben haben sollte, dann handelt es sich bestimmt nur um vereinzelte Aktionen, für die doch nicht die ganze moldauische Bevölkerung verantwortlich gemacht werden kann. Der Geist der Toleranz ist eine Grundeigenschaft der Rumänen, auch wenn es irgendwann zu einzelnen derartigen bedauernswerten Auseinandersetzungen gekommen ist. Durch gewisse Diversionen können solche Vorfälle doch auch provoziert werden, um das Antlitz eines ganzen Volkes zu besudeln. Ich kann es nicht glauben, daß Rumänen Leute angreifen, bloß weil sie anderer Nationalität sind oder eine andere Hautfarbe haben.
Sie haben die nationalistische Gruppierung „Vatra Romaneasca“ als eine Kulturorganisation bezeichnet und jegliche Kritik an ihr zurückgewiesen. Ist das auch jetzt noch Ihre Meinung?
Die Idee einer rumänischen Kulturorganisation in Siebenbürgen, wie sie anfangs von der Vatra Romaneasca vertreten worden war, fand und finde ich auch heute noch vertretbar und notwendig. Die schrillen Töne konnte ich eigentlich nicht aus dem Programm dieser Organisation heraushören. Deshalb trete ich den unannehmbaren Tendenzen in dieser Gruppierung entgegen, bin aber nach wie vor zu einem Dialog bereit.
Die Diskussion um die Wirtschaftsreform wird von Angehörigen der ehemaligen Nomenklatura bestimmt. Und auch die Diskussion um die Verfassung wird von solchen Leuten entschieden. Gleichwohl müssen beide Diskussionen auch in der Opposition geführt werden.
Auf die Wirtschaftsreform sind die Menschen unseres Landes nicht vorbereitet. Viele verstehen unter Privatisierung die Errichtung der Macht der Schwarzmarkthändler. Es müßte aber eine öffentliche Debatte über die Reformen geben, gerade weil sie notwendig sind. Ich hoffe auf einen Sieg der Vernunft. Die Mitglieder von Regierung und herrschender Partei müssen sich von bloßen Versprechungen loslösen und endlich zu Taten schreiten. Eine demokratische Verfassung muß nicht nur formuliert, sondern vor allem muß sie respektiert werden. Dieses Bewußtsein muß sich bei uns erst noch durchsetzen, diesem Diktum muß sich auch der Apparat fügen. Dies müßte auch ein König. Persönlich möchte ich anmerken, daß ich aus sentimental-historischen Gründen ein Anhänger einer konstitutionellen Monarchie bin. Interview: William Totok
und Erich Rathfelder
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