piwik no script img

Des Balkans „demokratische Oase“?

In der jugoslawischen Republik Mazedonien rivalisieren bei den ersten freien Wahlen nationalistische Gruppierungen mit den Reformkommunisten und der „jugoslawischen“ Partei Anke Markovic'  ■ Von R.Hofwiler und E.Rathfelder

Skopje (taz) — Seit Jahren sind sie nicht mehr in der Öffentlichkeit aufgetreten: Die in Jugoslawien legendäre Rockgruppe „Leb i Sol“ (Brot und Salz). Die Band, 1968 gegründet, Ausdruck der damaligen linken Protestbewegung und Wegbereiter des sogenannten Jugorock, ging in den siebziger Jahren nach einer Reihe von Skandalen auseinander. Wer aber glaubte, der gemeinsame Auftritt der Musiker auf dem Tito- Platz in Skopje, der Hauptstadt der südjugoslawischen Republik Mazedonien, sei ein Symbol für den Wunsch nach Einheit in diesem von Nationalitätenkonflikten zerrissenen Land, der irrt. Der für Stunden wieder erklingende Sound der Gruppe wurde vom kommunistischen Bund Mazedoniens, der über 45 Jahre hier regierte, lediglich dazu genutzt, um bei den ersten freien Wahlen sich selbst ein modernes und menschliches Image zu geben.

Zwischen den modernen Hochhäusern der 1963 von einem Erdbeben zerstörten Stadt ist seit einigen Wochen das politische Leben wieder erwacht. Denn nach der von der Bundesregierung unter Ante Markovic forcierten Entscheidung für die Demokratisierung des gesamten Landes im letzten April wurden am Sonntag nun auch hier, in der südlichsten jugoslawischen Republik, die Wähler zu den Urnen gerufen. Etwa 1,3 Millionen Wahlberechtigte (die Bevölkerung beläuft sich auf etwa 1,4 Millionen, dazu kommen 800.000 EmigrantInnen) konnten ihre Wahl zwischen 1.001 Kandidaten für die 120 Parlamentssitze treffen. 16 Parteien warben um die Stimmen der Mazedonier, Albaner, Türken, Bulgaren, Griechen, Serben und Roma, die hier in diesem Land nicht immer friedlich zusammen leben. Die Entwicklung hin zur Demokratie hat, zumindest äußerlich, zuallererst die nationalen Spannungen offen gelegt. Vor allem die mazedonischen Nationalisten benutzen den Wahlkampf, um die mazedonische Mehrheit der Bevölkerung in ihrem Sinne „wachzurütteln“.

In den in einem etwas zerschlissenen Neubau im Zentrum der Stadt gelegenen Büros der Bewegung MAAK (Bewegung der Gesamtmazdonischen Aktion) scheute der Historiker und Vizepräsident der Partei, Iome Kostadinovsci, sich nicht, die Minderheiten im Lande frontal anzugreifen. Mazedonien, so der Geschichtsprofessor, soll wieder zu einem mächtigen, großen, souveränen Staat aufsteigen. Die „Unterwanderung“ des Landes durch Albaner müsse beendet werden. Vor dem Zweiten Weltkriege hätten nur 30.000 Albaner in Mazedonien gelebt. Jetzt seien es schon 800.000. Sein Vorschlag: „All die widerrechtlich eingewanderten Albaner müssen das Land verlassen.“ Und die mazedonischen Minderheiten, die in Griechenland, Bulgarien und Albanien ohne Minderheitenrechte leben, müßten sich wieder an Mazedonien orientieren können. „Die Mauer in Berlin ist gefallen, die Grenzen zwischen den Staaten müssen hier auch fallen“.

Die zweite nationalistische Partei, die IMRO (Innermazedonisch- revolutionäre Organisation) tritt dagegen ohne Wenn und Aber für einen großmazedonischen Staat ein. Tatsächlich gab es zu Zeiten des osmanischen Reiches im 19. Jahrhundert eine großmazedonische Provinz, die vom ägäischen Meer bei Thessaloniki hinauf bis zum Ohrid-See auf westlicher Seite und den Pirin-Gebirge im heutigen Bulgarien reichte. 1893 gründeten Intellektuelle der in diesem Gebiet lebenden Völker eine gemeinsame Widerstandsarmee, die mit unzähligen Attentaten gegen die türkischen Herrscher auf sich aufmerksam machte. Nach den Balkankriegen 1912, als Mazedonien nicht zu einem Staate wurde, splitterte sich die IMRO auf. Guerilla-Führer Goci Delcev bombte als mazedonischer Nationalführer nun gegen seine ehemaligen griechischen, bulgarischen und serbischen Kampfgenossen.

Der bärtige Boris Zmejkovski der einem der Bilder seiner historischen Vorläufer entsprungen sein könnte, die zusammen mit einer Karte Großmazedonien in seiner Wohnung hängen, macht keinen Hehl daraus, daß er die „stolzen Attentäter“ von einst bewundert: „Mein Vater, mein Onkel, mein Großvater, sie kämpften für die mazedonische Freiheit.“ Seit fünfzehn Jahren habe er sich in der Illegalität geschult, gegen die jugoslawischen Unterdrücker, die viele seiner Kampfgenossen ins Gefängnis brachten. Jetzt sehe seine Partei erstmals die Chance, nicht militant, sondern friedlich und auf demokratischem Weg die mazedonische Freiheit zu erreichen. Aber, darauf legt er Wert, niemals habe seine Organisation Terror gegen die Bevölkerung und gegen die Minderheiten ausgeübt, „nur die Herrschenden waren unsere Feinde“. Die Minderheiten im Lande sind für ihn Bürger Mazedoniens, „und als Bürger spielt die nationale Herkunft keine Rolle.“ Folgerichtig müsse man den Minderheiten Rechte zugestehen.

Doch bei den meisten politischen Gegnern fehlt an diesem Punkt der Glaube an die Redlichkeit der Nationalisten, die als „nationaler Block“ in den Wahlkampf zogen. Im trutzigen, von stalinistischer Architektur geprägten Gebäudekomplex des Zentralkomitees des „Bundes der Kommunisten“ stellt Präsidentschaftskandidat Djordje Spasov noch am Wochenende klar: Bürgerrechte stehen für seine Partei, die noch 100.000 Mitglieder haben will, an allererster Stelle. Die Grenzen der jugoslawischen Republiken dürfen nicht angetastet werden. Den Bund der Kommunisten sieht er, der selbst ein moderner Reformkommunist ist und nicht ohne Chancen, nach dem Wahlen Präsident des Landes werden, als Vorkämpfer für den demokratischen Parlamentarismus. Das Parteivermögen sei an den Staat zurückgegegeben, das Machtmonopol der Partei von ihr selbst aufgegeben worden. „Wir waren die treibende Kraft und deshalb vertraut uns die Bevölkerung,“ sagt er und unterliegt vielleicht damit der Illusion aller Reformkommunisten in Osteuropa.

Kaum weniger selbstsicher gibt sich die mazedonische Sektion des „Bundes der Reformkräfte“, eine transjugoslawische Partei, ins Leben gerufen vom Regierungschef Ante Markovic. Der ist bereits im letzten Jahr aus der damals alleinregierenden KP ausgetreten, hat jugoslawisch orientierte demokratische Intellektuelle um sich geschart und im April die neue Partei gegründet. Auch sein Vize und Parteichef in Mazedonien, Djeordji Hadri-Vaskov, glaubt, der Demokrat in Person zu sein: Angesichts der Vergangenheit, während der die Diktatur in Mazedonien manchmal härter als in den nördlichen Republiken vorging, klingt seine Ankündigung, „wir entwickeln die erste demokratische Oase auf dem Balkan“, doch etwas euphemistisch. Er ist davon überzeugt, daß die mazedonischen Wähler die ökonomische Stabilisierungspolitik der Bundesregierung honorieren werden. „In 17 Tagen, seit Gründung der Partei, haben 100.000 Menschen sich uns angeschlossen.“ In zahlreichen Fragen kaum von den Reformkommunisten abweichend, hält er von „konföderativer Kleinstaaterei“ nichts, bekämpft ein Großmazedonien und setzt jedem Nationalismus die drängende Aktualität wirtschaftlicher Reformen entgegen: Europa will ein demokratisches Jugoslawien. Es wird nur investieren, wenn nationalistische Konflikte beigelegt sind. Nur dann wird es uns helfen, den Weg nach Europa zu finden.“

Diese Euphorie könnte aber schon bald ein Dämpfer aufgesetzt werden. Denn in Tetovo, mit 200.000 Einwohnern zweitgrößte Stadt des Landes und Zentrum der albanischen Minderheit, herrscht ebenfalls Optimismus. Im Büro der „Partia Per Prosperitet Demokratik“, die von den Albanern getragen wird, ist man siegesgewiß. „Alle Albaner stehen hinter uns, wir werden in einzelen Landesteilen über 50 Prozent der Stimmen erreichen und stärkste Partei“. Vor dem Hintergrund dieser Konstellation schaut ganz Jugoslawien gespannt auf den Ausgang der Wahlen: Werden die gesamtjugoslawischen Reformkräfte oder die nationalistischen Gruppierungen gewinnen?

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen