: Aus eins mach dreieinhalb
■ Maßregelvollzug wird nicht auf Haftdauer angerechnet
Am 29.3.1988 wurde ich wegen minderschweren Raubes als Ersttäter in Haft genommen und neun Monate später zu einem Jahr Freiheitsstrafe und zu einer Zwangstherapie nach Paragraph 64 verurteilt.
Da ich aber schon vor meiner Straftat eine 18monatige Therapie beantragt hatte, diese mir aber vom Gericht abgelehnt wurde, begann ich daraufhin in Stuttgart-Stammheim einen Hungerstreik. Bei diesem Hungerstreik nahm ich Kontakt zu verschiedenen Gruppen draußen auf, da ich früher zu diesen Gruppen auch einen sehr guten Bezug hatte und mich auch bei Demos für politische Gefangene sehr engagiert habe.
Mein damaliger Hungerstreik nahm zunehmend politische Aspekte an und als ich dann noch einen Brief an die damals inhaftierte Eva Haule- Frimmpong schrieb, mißfiel das der Anstaltungsleitung. Daraufhin wurde ich von Schließern bedroht und mußte schließlich wegen meiner Unbeugsamkeit zur Anstaltsleitung.
Dort war auch der Anstaltspsychiater anwesend, der mir nahelegte, mich von meinen Schriften zu distanzieren, denn sonst würde er mich abspritzen lassen und zwar so, daß ich nicht mehr wüßte, wie ich heiße. Da in Stammheim sehr viele Gefangene abgespritzt wurden oder unter sehr starken Medikamenten gehalten werden, gab ich aus Angst um mein Leben meinen Hungerstreik auf!
Dann nach einigen Tagen wurde ich in den Maßregelvollzug Zwiefalten verschleppt, wo ich meine von der Justiz bestimmte Entwöhnungstherapie beginnen sollte!
Aber nach geraumer Zeit stellte sich dieser Maßregelvollzug als eine sehr genau konzipierte Manipulationsfabrik unbeugsamer Gefangener heraus. Hier haben die sogenannten Ärzte nicht den Auftrag, die Sucht der Menschen zu behandeln, sondern nur, sie für die Gesellschaft gefügig zu machen. Will man seine Persönlichkeit nicht manipulieren lassen, muß man entweder damit rechnen wieder geraume Zeit in den Knast zu gehen oder man wird kurzerhand in die Schwerstpsychiatrie nach Wiesloch abgeschoben! Als Gefangener dieses Maßregelvollzuges hat man keine Beschwerdemöglichkeit, denn die zuständigen Behörden wie Strafvollstreckungskammer Tübingen und die Staatsanwaltschaft Stuttgart arbeiten ausschließlich mit den Ärzten hier Hand in Hand!
Beschwert man sich trotzdem über die Behandlungsweise oder über immer wiederkehrende Drohungen der Ärzte gegenüber den Gefangenen, so wird man von der nächst höheren Stelle, wie von Staatsanwaltschaft und Vollstreckungskammer massiv unter Druck gesetzt!
Wegen all dieser Gründe habe ich mich nun nach einem Jahr Maßregelvollzug zwecklos erklären lassen, denn das ist hier das einzige Recht, das man hat!
Doch nun will mir die Staatsanwaltschaft nicht einen Tag von dem Jahr hier auf meine einjährige Freiheitsstrafe anrechnen, obwohl es eine massive freiheitsentziehende Maßnahme darstellte. Das bedeutet, daß meine noch abzusitzende Strafe sieben Monate beträgt; nach Ablauf dieser Zeit wäre ich dann drei Jahre sechs Monate insgesamt inhaftiert gewesen, obwohl ich ursprünglich ein Jahr bekommen habe. Daß ich natürlich nicht gewillt bin, für die Unfähigkeit des Gerichts in Sachen Suchtfragen ein Jahr mehr abzusitzen, liegt auf der Hand und daher blieb mir nur eine winzige Waffe, nämlich der des Hungerstreiks übrig. Jeder Hungerstreik beinhaltet die Verzweiflung, die Ausweglosigkeit und den Überlebenswillen des jeweiligen Menschen. Er ist leider die einzige Waffe für einen Gefangenen gegen die immer faschistischer werdende Justiz. [...] M.S., Zwiefalten
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen