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Ex-DDR-Länder wollen Juden nur nach Quote

■ Weil die neuen Bundesländer sich sperren, können jüdische Emigranten aus der Sowjetunion nur nach Ost-Berlin kommen/ Und dort erwarten sie bestenfalls Unterkünfte in Kasernen der ehemaligen Nationalen Volksarmee

Berlin. Das provisorische Aufnahmeheim für Flüchtlinge und Asylbewerber in Hessenwinkel hat einen schlechten Ruf. Die ehemaligen Mannschaftsunterkünfte für NVA- Soldaten sind für die Unterbringung von Familien nicht geplant gewesen und daher auch nicht geeignet. Es gibt keine Badezimmer, keine Küchen, keine Aufenthaltsräume. Trotz alledem: Wenn der Exodus der Juden aus der Sowjetunion nach Deutschland mit gleicher Intensität anhält, wenn weiterhin täglich rund 20 Emigranten bei der »Kontakt- und Beratungsstelle für ausländische jüdische Bürger» in der Otto-Grothewohl-Straße um Wohnung nachsuchen, dann wird es wohl bald so weit sein. Dann werden die Kasernen mit jüdischen Neuankömmlingen belegt werden müssen.

Und sie werden noch Glück dabei haben, denn außerhalb Ostberlins wird es schwerer, auch nur einen einzigen Juden unterzubringen und mit gutem Gewissen, sagt Lutz Basse, Berater in der Kontaktstelle, kann man das auch gar nicht tun.

Wie Lutz Basse und Klaus Pritzkoleit, Mitarbeiter des bis Ende des Jahres existierenden Ausländerbüros von Almuth Berger, gestern auf einer Pressekonferenz von Bündnis 90 erläuterten, sind die jüdischen Emigranten auf dem Gebiet der ehemaligen DDR, mit Ausnahme des Territoriums Ost-Berlin, im Moment rechtlos. Weil im Einigungsvertrag keine Sonderregelung für sowjetische Juden ausgehandelt werden konnte, gilt seit dem 3. Oktober nicht mehr das DDR-Recht — früher konnten die Emigranten aufgrund eines Ministerratsbeschlusses in der DDR »ständigen Wohnsitz« nehmen —, sondern die Rechtsprechung der Bundesrepublik. Und danach fallen die Emigranten zwischen alle Paragraphen. So sind sie weder Vertriebene nach dem Vertriebenengesetz, noch Asylbewerber. Weil die neuen Bundesländer aber ab dem 2. Dezember 20 Prozent der nach Deutschland reisenden Asylbewerber und deutschstämmigen Aussiedler übernehmen müssen, argumentieren die Länder, daß sie keine jüdischen Emigranten aufnehmen können und wollen — es sei denn, sie werden auf die »Quoten« angerechnet.

»Das ist ein politischer Skandal«, sagt Basse, denn: »Asylbewerber werden gegen Juden ausgespielt.« Und Weiter: »Deutschland hat eine besondere Schuld, eine besondere Verantwortung gegenüber den Juden. Deutschland habe deshalb auch die besondere Pflicht, diese Menschen aufzunehmen — und zwar nicht als Asylbewerber, sondern als eigenständige Gruppe«. Insbesondere die Bezirksämter in Sachsen, erzählt Basse, nehmen trotz freier Plätze keine Juden mehr auf und berufen sich dabei auf entsprechende Weisungen des sächsischen CDU- Innenministers Rudolf Krause.

Nur in Ost-Berlin haben die jüdischen Emigranten noch bis zum 31. Dezember 1990 das alte DDR-Recht auf einen ständigen Wohnsitz. Beschlossen wurde dies nach wochenlanger Rechtsunsicherheit erst am vergangenen Dienstag auf einer Ost- West-Sitzung. Praktisch bedeutet dieser Beschluß aber, daß das »Beratungsbüro für jüdische Bürger« all die jüdischen Neuankömmlinge, die sie vordem auf Häuser in der gesamten DDR verteilt haben, in Ost-Berlin konzentrieren müssen.

Hier aber war die Wohnsituation schon immer prekär. Von den insgesamt rund 2.000 jüdischen Bürgern, die seit August in die ehemalige DDR gekommen sind, wurden bisher 800 in Ost-Berlin untergebracht. Die Arbeiterwohnheime in der Köthener und Merseburger Straße im Ortsteil Marzahn waren schon im September völlig überfüllt. Offiziell leben dort 430 Menschen, inoffiziell aber, wie Basse weiß, mindestens 550. Auch das ehemalige Stasi-Heim in Ahrensfelde platzt aus allen Nähten, und trotz aller Anstrengungen konnten bis November erst 30 private Wohnungen in Ost-Berlin besorgt werden.

Beschlossen wurde auf dieser Ost- West-Sitzung auch, daß das bisher für Asylbewerber genutzte Appartmenthaus in Hessenwinkel mit 135 Betten ab sofort für die Unterbringung der jüdischen Emigranten genutzt werden soll. Die Asylbewerber werden im Vorgriff auf die Quotenregelung in andere Bundesländer gebracht werden. Lutz Basse schätzt, daß in knapp zwei Wochen auch dieses Heim überbelegt sein wird, zumal sich rund 600 Familienangehörige von bereits hier lebenden Juden aus der Sowjetunion in den nächsten Tagen auf den Weg nach Berlin machen. Eine Perspektive, meinte Basse, könnte vielleicht die Initiative der orthodoxen Gemeinde Adass Jisroel bieten. Bereits am 1. Oktober beantragte Adass bei den zuständigen Stellen, daß das der Gemeinde gehörende Haus in der Wilhelm- Pieck-Straße 146 für die Unterbringung der sowjetischen Juden genutzt wird. Ein entsprechender Antrag auf Unterstützung bei der »Gemeinsamen Einrichtung der Länder« wurde gestellt. Anita Kugler

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