: Zwölf haben zu viel Freunde
■ West-Seilschaften bedrohen Konzept für eine kulturelle Vielfalt in der Kinolandschaft
Im Frühjahr berief die Kulturverwaltung des Magistrats eine Findungskommission ein, die über die Vergabe der zwölf Kinos der Bezirksfilmdirektion entscheiden sollte. Ziel des Magistrats war es damals, mittelständische Kinos zu fördern und Programmvielfalt zu gewährleisten. Was eine ziemlich ideale Lösung hätte sein können, wird überraschend durch die Einmischung der Treuhand in Frage gestellt.
Noch im Frühjahr wollte sich die Bezirksfilmdirektion (BFD) Berlin, die als nachgeordnete Einrichtung mit regionaler Beschränkung bislang für Programmgestaltung und Betriebsorganisation der 21 Kinos in Ost-Berlin zuständig war, in eine GmbH umwandeln. Wie auch in manchen anderen Städten der Ex-DDR, hoffte die BFD Berlin auf diese Weise, ihre Kinos entweder in eigener Regie oder unter der Geschäftsführung großer West-Kinoketten weiter wie bisher, nur mit verändertem Programm, weiterführen zu können. Dagegen protestierten engagierte KinomacherInnen aus Ost-Berlin, einige Kinobetreiber aus West-Berlin — und der Magistrat. Durch das BFD-Konzept wären die »alten Seilschaften« am Ruder geblieben: kulturelle Vielfalt wäre in der Zukunft kaum wahrscheinlich.
Der Magistrat unter der Kulturstadträtin Irana Rusta meldete eigenen Anspruch auf jene zwölf Kinos an, die zuvor volkseigene Betriebe waren (die anderen lagen im Zuständigkeitsbereich der Kommunalen Wohnungsverwaltung). Diese Filmtheater gehören, darauf bestand man, in den Zuständigkeitsbereich der Kulturpolitik und nicht der Wirtschaft. (Was selbstverständlich nicht ausschließt, daß sich Kinobetreiber nicht auch unabhängig vom Magistrat um Immobilien oder Baugrundstücke zur Errichtung neuer Kinos kümmern können.) Unter der Maßgabe, daß DDR-Bewerber bevorzugt werden und daß kulturelle Vielfalt gefördert würde, wollte der Magistrat jedoch die vorhandenen Spielstätten in kommunalem Besitz verpachten. »Unser Bestreben war es«, so Ulrike Liedtke, zuständige Magistratsreferentin in Sachen Kino, Theater und Orchester, »mittelständische Kinos zu fördern«.
Im Frühjahr wurde eine Findungskommission einberufen, die über die Vergabe der Kinos entscheiden sollte. Ihr gehörten jeweils vier Ost- und vier West-Fachleute an: Rolf Richter (Filmemacher), Wieland Becker (Interessenverband Filmkommunikation e.V.), Margit Voß (Filmkritikerin, Berliner Rundfunk), Peter Freund (Delta-Filmverleih), Heinz Hinze (Wirtschaftsverband der Berliner Filmtheater e.V.), Robert Backheuer (ehemaliger Filmförderungsanstaltsvorstand).
War es schon auf dem Gebiet der Ehemaligen ungewöhnlich, daß eine Kulturbehörde ihre Ansprüche auf die Kinos angemeldet hatte, so waren die schließlich vom Magistrat gebilligten Vorschläge noch weitergehend: das Babylon-Kino sollte demnach zu einem subventionierten »Kommunalen Kino« werden, die (Ostberliner) »Initiative Freies Kino« wurde mit vier Häusern, u.a. dem »Toni« bedacht, die als »Off«- oder »Bezirkskinos« mit eigenem Profil (und indirekter Subvention durch günstige Pachtverträge) arbeiten sollten. Das Prachtkino International war auf besonderen Wunsch der Ost-Mitglieder der Findungskommission für eine Betreibergemeinschaft aus Progress-Film, Verband der Film- und Fernsehschaffenden (Ost), Cine aktuell (West-Filmvertrieb von Ost-Filmen) und der Kinoleiterin des International zur Pflege dessen, was DDR-spezifische Filmkultur war, vorgesehen. Verdiente mittelständische West-Kinobetreiber — von Sputnik bis Kloster (Yorck und andere) — bekamen vier Filmtheater in Aussicht gestellt. Hans-Joachim Flebbe (Besitzer von rund 100 Kinos in Westdeutschland und Berlin, zukünftiger Betreiber des Zoo-Palasts), der sich zunächst vergeblich um das Kino International bemüht hatte, war mit seiner Bewerbung um das Filmtheater am Friedrichshain und das Forum in Köpenick zumindest bei der Findungskommission erfolgreich.
Mit diesen Vorschlägen der Findungskommission waren viele sehr zufrieden: der Magistrat, engagierte Ost-KinomacherInnen, der Senat und sogar viele West-KinobetreiberInnen. Letztere nicht nur, weil ihnen einzelne Ostberliner Filmtheater in Aussicht gestellt worden waren, sondern auch, weil durch das Konzept der Findungskommission (die ihre Arbeit am 11. September beendet hatte), eine Machtkonzentration verhindert würde, die sich mittelfristig, so der Wirtschaftsverband der Berliner Filmtheater e.V., höchst negativ auf die Westberliner Kinolandschaft ausgewirkt hätte.
Noch vor zwei Wochen, so hörte man damals aus gut informierten Kreisen, wurde damit gerechnet, daß etwa 60 bis 70 Prozent der von der Findungskommission vorgeschlagenen Verträge tatsächlich unterschrieben werden könnten. Doch der mit der Ausarbeitung der Pachtverträge beauftragte Senatsjurist, Dietrich Fischer, brauchte fürs Formulieren viel Zeit. Zuviel Zeit, meint nicht nur Hans Müller vom ehemals staatlichen Progress-Filmverleih, denn als die Verträge schließlich unterschriftsreif waren, meldete sich Detlev Rohwedder persönlich und erhob als Treuhandchef in einem Brief an die Kulturstadträtin Ost Anspruch auf den Verkauf der Kinos. Gerüchte wollen wissen, daß »phantastische Angebote, Millionenbeträge, an denen die Treuhand nicht vorbeisehen konnte«, Rohwedder zu dieser Intervention veranlaßt hätten. »Der Treuhand geht es«, so ein Vertreter des Magistrats für Kultur, »um Profitmaximierung«.
Heinz Riech soll für die drei großen Kinos (Kosmos, International, Colosseum) 25 Millionen geboten haben. Flebbes Angebot soll sogar noch höher sein. Offenbar sind dabei auch — diesmal westliche — »alte Seilschaften« im Spiel: Treuhandchef Detlev Rohwedder und der Parlaments- und Jugendfilmverleihchef Jürgen Wohlrabe sollen Studienkollegen gewesen sein, und sich zur Zeit, alte Freundschaften wieder aufleben lassend, überlegen, wie die Entscheidungsprozesse über die Vergabe der Lichtspieltheater nicht nur in Ost-Berlin, sondern in der restlichen Ex-DDR noch einmal ganz von vorne aufgerollt werden könnten... Dieses neuerliche Engagement der Treuhand ist um so erstaunlicher, als Manuela Miethe (Initiative Freies Kino) sich bereits im Sommer um das »Toni« beworben hatte. Am 3.7. 1990 antwortete die Treuhand (ein Herr Schröder unterschrieb): für die Vergabe der Kinos sei die Treuhand nicht zuständig. In das Puzzle fügt sich auch, daß das Prestigeangebot von Riech erst nach den Brief von Rohwedder an die Kulturstadträtin kam.
Wie dem auch sei: durch die plötzlich geäußerten Ansprüche der Treuhand auf die zwölf Kinos verwandelte sich eine eigentlich kulturpolitische Angelegenheit durch »Geld als dem besseren Argument« in eine Wirtschaftsangelegenheit. Zur Zeit werden die Verhandlungen über die Zukunft der Kinos mit Beteiligung des Ressorts »Wirtschaft und Finanzen« geführt, was zumindest auf eine Machtverschiebung der zuständigen Ressorts im Magisenat schließen läßt. Hans Müller, Geschäftsführer des Progress-Verleih, sieht das als ein Resultat der zu wenig entschlossenen Politik von Kulturstadträtin Irana Rusta, »denn die Ergebnisse der Findungskommission und unsere Bewerbungen lagen schon im Sommer vor. Wenn der Magistrat den Entscheidungsprozeß nicht so lange hinausgezögert hätte, dann wäre der Einspruch von Rohwedder zu spät gekommen. Die unterschriebenen Pachtverträge hätte man schlecht wieder zurücknehmen können.
Ob Kinos nun als normale Wirtschaftsbetriebe — nach mehr oder minder westlichem Vorbild — privatisiert, oder als kulturelle Einrichtungen — in Anknüpfung an östliche Traditionen — von der Kommune verpachtet werden, ist zu einer delikaten Interpretationsfrage geworden. Vorgestern abend wurde darüber erneut in inoffiziellen Gesprächen verhandelt. Ergebnislos. Die Zeit arbeitet gegen die Kulturstadträtin. Kuhlbrodt/Wenner
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