: Solidarität mit Dessie Ellis
Nach dem schlappen EM-Qualifikationsspiel zwischen Irland und England (1:1) nahmen Prügeleien zwischen den Fans ein abruptes Ende, als eine politische Demonstration vorüberkam ■ Aus Dublin Ralf Sotscheck
In Dublin waren am Mittwoch früh erstaunlich viele Menschen mit einem tragbaren Fernseher auf dem Arm unterwegs. Das lag jedoch keineswegs am Räumungsverkauf eines Elektroladens, sondern am Fußball: Das Qualifikationsspiel zur Europameisterschaft zwischen Irland und England begann bereits um 13.30 Uhr, und Lehrerinnen und Lehrer hätten eine Meuterei riskiert, wenn sie ohne Fernsehgerät in der Schule erschienen wären. Andere Staatsdiener hatten es besser: Die meisten Büros schlossen zur Mittagszeit, und selbst der öffentliche Busverkehr erlahmte schlagartig. Ab 13 Uhr herrschte Ruhe in der normalerweise hektischen Innenstadt Dublins.
Rund um das Rugbystadion an der Lansdowne Road, wo das irische Team seine Heimspiele austrägt, sah es allerdings anders aus. Schon am frühen Vormittag begann sich das Stadion zu füllen. Schwarzhändler machten das Geschäft ihres Lebens. Für eine Stehplatzkarte mußte man bis zu 300 Pfund (über 800 Mark) hinblättern. Viele Fans hatten in der vergangenen Woche vor den Vorverkaufsstellen übernachtet und dort bis zu 17 Stunden auf Campingstühlen verbracht — die meisten jedoch vergeblich. Der irische Fußballverband hatte nicht mal ein Drittel der 45.000 Tickets in den Handel gebracht. Der Rest ging an Vereine und Sponsoren. Insgesamt nahm der Verband eine halbe Million Pfund ein, Nebeneinnahmen und Gebühren für Fernsehrechte nicht mitgezählt.
Die Fans waren sauer. Ein völlig übermüdeter Jugendlicher, der trotz fünfzehnstündigen Wartens keine Eintrittskarte bekam, sagte zur taz: „Heutzutage siehst du Typen in Maßanzügen auf den Tribünen, und wir, die schon zum Fußball gegangen sind, als diese Arschlöcher das noch für eine barbarische englische Sportart hielten, gehen leer aus. Das ist eine Schweinerei.“
Aber er verpaßte nicht viel. Die Spieler kennen sich zu gut, so daß überraschende Spielzüge ausblieben. Das Los hatte die beiden alten Rivalen schon fast routinemäßig zusammengeführt — wie schon bei den letzten Europameisterschaften und beim Weltcup in Italien. Obwohl Irland seit 22 Spielen zu Hause unbesiegt war, galten die Gäste bei den irischen Buchmachern als Favoriten, was beim englischen Trainer Graham Taylor lautes Kichern auslöste: „Das ist ja wieder typisch irisch. Die Iren haben doch keinen Grund, sich Sorgen zu machen, wenn man die letzten Resultate betrachtet.“ Vorsichtshalber ließ er den schon als Wunderkind gefeierten Paul Gascoigne auf der Ersatzbank und stellte statt dessen einen weiteren Abwehrspieler auf. Das war auch nötig.
Die Iren waren von Anfang an leicht überlegen und hatten die besseren Torchancen. Der Elfmeter, den sie in der 33. Minute forderten, als Townsend sich dramatisch ins Gras geworfen hatte, wurde vom italienischen Schiedsrichter D'Elia jedoch zu Recht verweigert. In der zweiten Halbzeit nahm die Überlegenheit des irischen Teams noch zu. Der holprige Platz sowie Wind und Regen verhinderten jedoch ein flottes Spiel. Allerdings hätte der Wind fast für das irische Führungstor gesorgt, als McCarthy mit einem Schuß aus der eigenen Hälfte nur die Latte traf. Wegen ihrer unglaublich langsamen Abwehr konnten sich die Iren allerdings keine Sekunde sicher fühlen. Drei der vier Abwehrspieler sind bei ihren englischen Vereinsmannschaften nur Ersatz — kaum verwunderlich, wie sie in der 67. Minute bewiesen. Morris und McCarthy säbelten nach einem flachen Paß in den Strafraum über den Ball, und Platt konnte das Tor aus zwei Meter Entfernung unmöglich verfehlen: 0:1. Der verdiente Ausgleich fiel zwölf Minuten später. Der eingewechselte Cascarino erwischte eine weite Flanke Stauntons trotz Bedrängnis und köpfte das Leder in die lange Ecke — ein wunderbares Tor.
Der Punkt nützt den Engländern mehr als den Iren, die nur noch ein Heimspiel haben und auswärts nicht sonderlich stark sind. Die irischen Fans zeigten am Mittwoch, daß auch sie den Anschluß an die europäische Spitze geschafft haben: Nach dem Spiel zettelten sie in der Innenstadt kleine Scharmützel mit ihren englischen Kollegen an, die schließlich in eine zweistündige Keilerei ausarteten, bei der auch die Polizei kräftig mitmischte.
Das Fußballspiel galt bei den „Sicherheitskräften“ als Testfall: Zum ersten Mal wurden die Trevi-Vereinbarungen über polizeiliche Kooperation bei einem Sportereignis in Dublin ausprobiert. Die britische „Football Intelligence Unit“ hatte bereits Wochen vor dem Match die Akten britischer Hooligans zur Nachbarinsel geschickt und die alkoholfreie Anreise überwacht. In den irischen Häfen wurden die Fans dann von den einheimischen Ordnungshütern empfangen, durchsucht und fortan keine Sekunde aus den Augen gelassen. Es nützte alles nichts. Bei der Keilerei verlor die Polizei die Übersicht und hieb auf alles ein, was sich bewegte. Ein Fotograf wurde verhaftet, seine Filme konfisziert.
Als schließlich eine Solidaritätsdemonstration für den hungerstreikenden Republikaner Dessie Ellis, der am Mittwoch an Großbritannien ausgeliefert wurde, um die Ecke bog, machte sich Panik unter den Polizisten breit. Das Chaos löste sich jedoch nach einer Weile auf, als sich viele irische Fans einfach der Demo anschlossen und ihre englischen Kollegen, die sich gerade auf eine lange Schlacht eingerichtet hatten, verblüfft zurückließen.
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