: Internierter Nestbeschmutzer
■ Die englische Fernsehserie »The Prisoner« im Eiszeit
In den Siebzigern machte eine Serie namens »The Prisoner« im englischen Fernsehen Furore. Die Geschichte um einen Geheimagenten, der scheinbar grundlos seinen Dienst quittiert, daraufhin in ein hermetisch abgeschlossenes Dorf verfrachtet wird, von wo aus er siebzehn Folgen lang versuchen wird, auszubrechen, wurde bald zum Kultfilm. Das Eiszeit zeigt ihn wieder.
Frühsommer 1968: Sogar als Zwölfjähriger in einem kleinbürgerlichen Vorort von Dublin wußte man, daß die Zeiten sich bewegten. Beim Abendessen kamen die Fernsehnachrichten aus aller Welt, aus den USA und Südostasien, aus Berlin und London. Das Fernsehen hatte endlich die kulturelle Abgeschlossenheit Irlands durchbrochen und der bisher herrschenden katholischen Stille den Garaus gemacht (oder, wie man das heute ausdrücken würde, den Zwangsanschluß an den internationalen Medienmarkt vollbracht). Das Fernsehen war die Tür zu einer Welt, die sich plötzlich meldete, die die erste Unzufriedenheit über das Vertraute einpflanzte; zwischen Mord in Alabama und Aufstand in Paris, zwischen »Top of the pops« und »The Avengers« (»Mit Schirm, Charme und Melone«) wurden die Hausaufgaben gemacht.
Gegen »The Prisoner« reagierten die Eltern von Anfang an ablehnend. Da kein Sex und kaum Gewalt darin vorkamen, konnten sie mir die Sendung schwer verbieten. Ihre Verunsicherung war zuerst überraschend und dann ein zusätzlicher Anreiz. Ich fand die Serie irritierend und faszinierend zugleich: noch heute erinnere ich mich an Bilder und Szenen, die spielerisch und zugleich bedrohlich wirkten. Patrick McGoohan hatte als Ex-Geheimagent »Number 6« eine glänzende Karriere hinter sich, als »The Prisoner« nach der 17. von 26 geplanten Folgen eingestellt wurde. Als erfolgreichster Hauptdarsteller der britischen TV-Serie »Danger Man« Mitte der sechziger Jahre war er sogar im Gespräch für den neuen James Bond gewesen; damals gab es ein reges Gedrängel um die Nachfolge Sean Connerys. Nach »The Prisoner« ist davon sowieso nicht mehr die Rede gewesen. Selber wegen der Serie verschuldet, wanderte McGoohan nach Amerika aus, wo er sich bis heute mit kleinen, aber manchmal auch feinen TV- und Filmrollen (z.B. bei einer berühmten »Colombo«-Folge und bei »Scanners«) anscheinend zufriedengibt.
Viele Gegenstände aus »The Prisoner« wurden zu Ikonen eines Siebziger-Jahre-Alptraums: das entfremdende Urlaubsdorf Port Meirion, als Experiment von dem Architekten Clough Williams Ellis entworfen, das noch heute für die Anhänger der »Prisoner Society« eine quasi-religiöse Bedeutung hat; die Wächterballons »Rover«; die muntere Identitätslosigkeit der anderen Bewohner, gegen die sich Nummer 6 ständig wehrt, obwohl diese Haltung immer Schwierigkeiten mit sich bringt. Nummer 6 wird als Nestbeschmutzer betrachtet, nicht als Rebell. In einem postmodernen Internierungslager schießt Widerstand immer ins Leere.
Und tatsächlich wird ihm immer die Chance angeboten, sich zu befreien. Er braucht nur mitzuteilen, warum er seinen Dienst quittiert hat. Gerade das verweigert er jedoch, und gerade das ist es, was die Herrschenden, wer immer sie sein mögen, herausfinden wollen. Bestechung, Psychoterror, Betrug werden angewendet, um Nummer 6 zum Reden zu bringen, er kann sie aber meistens austricksen, er überlebt. Der Vorschlag, daß er bei einer Wahl für das Amt von Nummer 2, dem Obersten im Dorf, kandidieren solle, weil, wenn er gewinnen würde, wäre die Identität von Nummer 1 kein Geheimnis mehr, ist nur eine von mehreren Stories, die durch eine dunkle Satire gekennzeichnet sind.
»The Prisoner« hat nicht als Ziel gehabt, das Gefüge der Thriller-Serie zu unterminieren. Die Stärken dieser Sendung liegt eben darin, daß die typischen Bestandteile so perfekt eingesetzt worden sind. Sie werden zwar übertrieben, aber niemals über ein gewisses Maß hinaus. Die Zuschauer werden nicht um die Spannung beraubt, was ein Fehler ähnlicher Versuche gewesen ist. Diese Spannung wird auch ständig durch die einzigartige Darstellung von McGoohan intensiviert: die knapp beherrschte Wut, der reduktivistische Satzbau, der schürfende Sarkasmus in der Stimme.
Der Kultstatus war vorherzusehen: trotzdem ist er berechtigt. »The Prisoner« ging unter die Haut des keimenden Überwachungsstaates; die gläserne Gesellschaft von BKA-Herold wurde ein paar Jahre im Voraus vorgestellt, und zwar Samstag abends um 21 Uhr. Die negativen Reaktionen ließen die Fernsehanstalt kalte Füße kriegen, die Amerikaner waren sich plötzlich nicht so sicher, ob die Einschaltquoten nicht gefährlich niedrig würden — the rest ist history.
Die Intensität von »The Prisoner«, die Darstellung einer Gesellschaft, die aus bekannten sozialen Bausteinen besteht, deren Organisationsprinzip jedoch ein Geheimnis bleibt, machen diese Serie zu einem Klassiker der Fernsehgeschichte. Daß sie auch einer der seltsamsten Fernsehkrimis aller Zeiten ist, steht außer Frage. Ob so ein anarchistisches Experiment heutzutage möglich wäre, ist zu bezweifeln. Martin Griffin
»The Prisoner« (»Nummer 6«), zu sehen in der Originalfassung im Eiszeit. Folge 3 und 4 am Sonntag und am Montag jeweils 18.30 Uhr. Im Laufe der nächsten Wochen werden dann die restlichen Folgen gezeigt.
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