: Das Gesundbeten hat nichts genutzt: La festa è finita
Die Rezession hat Italien erwischt/ Warnstreiks und Massenentlassungen bei Olivetti, „Wartestand“ bei Fiat/ Seit Jahren verdrängte Krisenzeichen ■ Aus Rom Werner Raith
Italiens oberstes Wirtschaftsbarometer Gianni Agnelli, der Chef des Fiat-Konzerns, dessen Reden mehr Aufmerksamkeit erregen als Regierungserklärungen und die Neujahrsansprache des Staatsoberhaupts, brachte die Sache schon im Juni auf den Punkt: „La festa è finita“, erklärte er sachlich. „Unsere Wirtschaft schrammt an einer schweren Rezession entlang, weder das Bruttosozialprodukt wird noch steigen noch die Außenhandelsbilanz positiv werden.“ Bumms.
Als er geendet hatte, saßen zwar seine Kollegen vom Industriellenverband ziemlich bleich da, auch einige Bankpräsidenten nickten sorgenvoll. Doch sonst glaubte dem Turiner Patriarchen so ziemlich niemand. Die Politiker verwiesen auf die angeblich noch immer boomende europäische Konjunktur, die Wirtschaftsberater der Regierung erklärten, sie müßten allenfalls hinter dem Komma etwas an den positiven Prognosen korrigieren, und die Gewerkschaften sahen das Ganze als vorbeugende Taktik für anstehende Tarifauseinandersetzungen.
Am Ende der Ferien machte Fiat ernst: 35.000 Arbeiter wurden in die sogenannte „Cassintegrazione“ geschickt, eine Art Wartestand, den der Staat bezahlen muß. Das hatte Fiat vor fünfzehn Jahren, bei der letzten großen Rezession, den Regierenden abgetrotzt: Da es in Italien keine ausreichende Arbeitslosenversicherung gibt, könnten bei Massenentlassungen teuer spezialisierte Arbeiter durch Arbeitsplatzwechsel verloren gehen. Also bekommen sie das Geld nur, wenn sie sich für eine spätere Wiedereinstellung bereithalten. Im Oktober gab es den nächsten Schub: weitere 35.000 Personen wurden ausgekoppelt. Damit hat der größte Privatkonzern Italiens gut ein Viertel seiner Arbeiter und Angestellten weggestellt. Der größte Teil der Reduzierung betrifft den Automobilsektor.
Die Politiker beeilten sich, das schnell der Kuweit-Krise zuzuschreiben — in vornehmer Verdrängung des Umstandes, daß Agnelli bereits lange vor diesem Ereignis das Ende der Fahnenstange angekündigt hatte. Und vor allem in massiver Vernachlässigung der Tatsache, daß Experten wie Notenbankchef Ciampi und Finanzminister Carli seit mehr als zwei Jahren Rezessionssymptome zuhauf nennen und nur in einer radikalen Entschlackung der Staatsausgaben noch Chancen sehen, im Krisenfalls wirklich helfend eingreifen zu können.
Zwar sank das Auftragsvolumen. Zwar verbreitete sich die Erkenntnis, daß viele der in der ersten Jahreshälfte georderten Maschinen und Geräte aus Italien, speziell im High- Tech-Bereich, schön gestylt, aber wenig haltbar und vor allem bar jeglicher Versorgung mit Ersatzteilen waren — Nachfolgebestellungen wurden storniert. Doch das gab den öffentlichen Gesundbetern keinen Anlaß, von ihrer „Wir-strotzen-vor- Gesundheit“-Litanei abzulassen.
Dazu trugen freilich auch die ständigen Erfolgsmeldungen über den angeblich unaufhaltsamen Marsch der Italiener in den „befreiten“, den Marktgesetzen erschlossenen ehemals kommunistischen Osten bei. Bis heute wollen viele nicht an das glauben, was Manager schon früh bemerkten: daß im Osten nahezu kein Geld vorhanden ist, und daß man dort auch kaum geldlose Gegengeschäfte tätigen kann, weder mit Rohstoffen noch mit fertigen Produkten.
So fuhren die Politiker in Rom mit ihrer alten Gewohnheit fort, unbelegte Erfolgsmeldungen bereits als klingendes Geld anzusehen, pumpten großzügig weiter Riesenbeträge in unrentable Staatsbetriebe, halfen maroden Privatunternehmen aus und bedachten eifrig ihre Klientel, bis hin zu mafiosen Gruppen, die ihrerseits über viele zehntausend Wählerstimmen manövrieren können. Das Haushaltsdefizit klafft damit weiter — nur, daß jetzt das Desaster auch mit der schlitzohrigsten Statistik nicht mehr verschleiert werden kann.
Daran gibt es spätestens seit der letzten Woche nichts mehr zu rütteln — da kündigte der Elektronik-Riese Olivetti ebenfalls Massenentlassung an. Mit 7.000 Hinauswürfen (4.000 in Italien, 3.000 im Ausland, vor allem in Südamerika) bei insgesamt 57.000 Beschäftigten hat Olivetti zwar noch nicht die Fiat-Quote erreicht. Doch dafür trifft es mit einem High-Tech-Betrieb einen ansonsten weltweit boomenden Sektor. Zudem schien die hochkomplizierte Verschachtelung — mehr als 220 Firmen gehören weltweit zum Konzern — eine intern stets ausgeglichene Mischung darzustellen, die von vorübergehenden Krisen nicht sonderlich berührt wird. Doch Olivetti- Chef Carlo De Benedetti hat erklärt, er müsse nun, wohl oder übel, sein Unternehmen „gesundschrumpfen“. Ein böses Omen, wie Arbeitsminister Carlo Donat-Cattin sofort erkannte, weshalb er die Elektronik- Oberen diese Woche eiligst mit Gewerkschaftsvertretern zusammenbringen möchte — bevor diese die für Dienstag und Mittwoch ausgerufenen Warnstreiks in einen Dauerausstand umwandeln. Befolgt wurde der Aufruf zum Ausstand jedenfalls zu fast hundert Prozent.
De Benedetti zielt bei seiner „Schrumpf“-Aktion auf eine andere Lösung als die Fiat-Manager: Er möchte die Leute nicht in den Wartestand schicken, sondern ganz loswerden — am liebsten, indem er alle über 50jährigen in Pension schickt; auf Staatskosten natürlich. Da dies aber nach Rechnung des staatlichen Versicherungsbüros I.N.A. pro Kopf an die umgerechnet 400.000 DM kosten würde, möchten die Politiker natürlich lieber eine andere Lösung finden. Industrieminister Adolfo Battaglia will die teilweise hochspezialisierten Frauen und Männer gerne im Arbeitsprozeß halten und hat bereits angekündigt, daß er im Kabinett eine „Grundsatzentscheidung herbeiführen will, wieviel uns dieser aussichtsreichste aller modernen Sektoren denn eigentlich wert ist“. Mit anderen Worten: Olivetti kann sich darauf verlassen, daß nun auch für diese Branche gilt, was Fiat seit Jahrzehnten für sich in Anspruch nimmt: Was gut ist für uns, ist auch gut für Italien.
Dabei werden die Haushaltsexperten ziemlich rechnen müssen. Denn inzwischen droht dem Staat gerade eine Einnahmequelle wieder zu entfleuchen, die er sich eben erst erschlossen hatte: die Kapitalertragssteuer, die Finanzminister Rino Formica unter frommem Bezug auf EG- Normen kürzlich eingeführt hat. Die stößt nicht nur bei Spekulanten und anderen Couponschneidern auf großen Widerstand, sondern vor allem bei den Börsianern selbst. Ihnen, die ihre Mailänder Börse in den letzten zehn Jahren mit mächtigen Umsatzsteigerungen zu einem der drei größten Aktienplätze Europas hochgedient hatten, drohen nun die Anleger scharenweise davonzulaufen; sogar von einer „Massenarbeitslosigkeit bei Maklern“ ist schon die Rede.
Damoklesschwertartig wird die Erfahrung der Bundesrepublik vor drei Jahren beschworen, wo allein die Ankündigung einer möglichen Besteuerung von Wertpapiergewinnen eine solche Kapitalflucht ausgelöst hat, daß sogar die schwächliche Lira monatelang gegenüber der Mark Boden gewonnen hat. Derart bedrohlich scheint den italienischen Maklern die Lage, daß sie in einen dreitägigen Totalstreik traten und die gesamte Aktienbörse damit lahmlegten. Die Regierung versprach daraufhin immerhin Verhandlungen — zunächst vor dem Finanzausschuß des Parlaments —, um die bisher auf 30 Prozent festgesetze Abgabequote zu reduzieren.
Ansonsten suchen sich die staatlichen Finanzhüter wieder nach altbewährtem Muster Mut zu machen — in der Berufung goldener Zeiten für den Fiskus. So hat das Kabinett soeben beschlossen, „auch nach Beendigung der Kuwaitkrise“ — woher der Optimismus dafür stammat, bleibt unklar — die erhöhten Benzinpreise von derzeit umgerechnet über 2,20 DM beizubehalten und die Differenz bei sinkenden Rohölpreisen der Staatskasse zuzuschlagen.
Das aber hat bereits die nächsten Drohungen provoziert: „Wenn die das machen“, haben unisono die Tankstellenbetreiber wie die Transportunternehmer erklärt, „werden wir sofort in einen unbefristeten Streik treten, gegen den der vor drei Jahren ein Klacks war.“
Damals hatten zuerst die Benzinwärter gegen die Freigabe des Treibstoffpreises gestreikt und dann die Lastwagenfahrer gegen höhere Strafen für Verkehrssünder. Nach drei Wochen mit geschlossenen Tankstellen und Straßensperren aus Lkws ging die Regierung in die Knie und ließ die neuen Vorschriften fallen.
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