: Klimazug gegen die deutsche Wetterlage
Mit einer dreitägigen Deutschlandtour im Sonderzug wollen die Grünen gegen die drohende Klimakatastrophe angehen ■ Aus dem Zug G. Nowakowski
Der große Bahnhof für den Klimazug wurde es erst, als die Trommler loslegten. Zuvor war die Ankunft im Hamburger Bahnhof Freitag morgen um halb neun im Gewusel der zur Arbeit eilenden Menschen unbemerkt geblieben. Erst die vom großen Bahnhofsgewölbe verstärkten Samba-Rhythmen der „Terra Brasilis“- Band der Berliner Ufa-Fabrik ließen die eiligen Passanten dann doch für einige Minuten innehalten. Die Trommel rührend für das Klima streiten — das erntete auch ungewohntes Wohlwollen in der Fußgängerzone, bevor der Zug nach eineinhalb Stunden wieder auf Tour ging.
Von Rostock über viele Stationen zur Abschlußveranstaltung am morgigen Sonntag nach Frankfurt — eine große Kurve quer durch Deutschland soll der Klimazug als zentrale Wahlkampfveranstaltung der Grünen ziehen. „Alle reden von Deutschland — wir reden vom Wetter“, hatten die Grünen bereits im Frühling als Wahlslogan beschlossen. Zwischenzeitlich mußte die Partei freilich feststellen, wie leicht man dabei unter die Räder des dominierenden Wahlkampfthemas geraten kann. Auch innerhalb der Partei hat die rund 300.000 DM teure Aktion manchen Widerstand erfahren; gerade von der Parteilinken war die Kampagne als „Komplott“ der „Aufbruch“-Gruppe diskreditiert worden, um die Grünen thematisch auf die Ökologie zu verengen.
Abendveranstaltungen in Rostock, Duisburg, Nürnberg und Frankfurt und ein- bis zweistündige Aufenthalte andernorts an der Strecke — eingelagert in die regionalen Wahlkampfaktivitäten — sieht das Konzept des Klimazugs vor. In der Praxis bleibt das Begleitprogramm mager. In Rostock war zu bemerken, daß sich das Bündnis 90/ Grüne schwertat mit der Organisation. Im Haus der Demokratie liegen zwar Berge von Wahlkampfplakaten, doch in der Stadt blieben die Hinweise auf die Klimazug-Veranstaltung spärlich. Grüne Aktivisten und der von der Westpartei abgestellte Wahlkampfhelfer klagen über Unerfahrenheit, Organisationsmängel und schwerfällige Entscheidungsstrukturen. Die Künstler der grünen Karawane — dem Gegenstück des DDR-Bündnisses 90 zum Klimazug — spielte in der ersten Woche ihres dreiwöchigen Einsatzes nahezu ohne Publikum. So waren für viel Geld Zelte für bis 1.000 Besucher angemietet, aber nicht aufgestellt worden, berichten Musiker und Mitarbeiter der DDR-Wahlkampfleitung.
Auch in Rostock bekannte ein grüner Aktivist im Haus der Demokratie treuherzig, es würde ihn nicht wundern, wenn keiner zur Abendveranstaltung des Klimazugs in den Jugendclub käme. Dabei waren in der Fußgängerzone der Stadt am Nachmittag dem Bündnis 90 die aus der BRD-West herangekarrten Luftballons, Jutetaschen und Windräder aus Pappe fast gierig aus der Hand gerissen worden.
Doch trotz der nebligen, abgasstinkenden Stadt bedurfte es erheblicher Anstrengung, die Ex-DDRler für die drohende Klimakatastrophe zu interessieren. Am Donnerstag abend kommen dann doch noch gut einhundert Menschen im großen Saal zusammen, um den Ufa-Zirkus zu sehen. Der Bundestagskandidat von Bündnis 90/Grüne macht in seinen Eingangsworten aus der Not eine Tugend. Weil man „sparsamer“ plakatiert habe als die anderen Parteien, habe man der örtlichen Energiewende-Gruppe 10.000 Mark spenden können.
In Hannover beschränkte sich die Samba-Gruppe angesichts des nassen Schneetreibens auf den Umzug durch die Bahnhofsebene. Durch die ungewöhnliche Präsentation der Kampagne für ein sofortiges FCKW- Verbot und eine Energie- und Verkehrswende wolle man trotz der drohenden Katastrophe „nicht Hoffnungslosigkeit predigen, sondern Mut machen“, dagegen anzukämpfen, vertritt Maria Heider, Mitglied im Bundesvorstand der Grünen. Daß der Klimazug an den derzeitigen Interessen der Menschen vorbeigehe, wie es nicht nur in Hannover von der Presse gefragt wurde, mag der niedersächsische Bundestagsabgeordnete Helmut Lippelt nicht gänzlich abstreiten, aber nicht akzeptieren. Die Grünen hätten immer den Mut gehabt, im angeblich falschen Moment das Richtige auszusprechen“, hält er entgegen: Weil jetzt die Welt von morgen zerstört werde, müsse man „heute von Klima reden, wenn Kohl von Deutschland redet“. In der Partei hat sich allerdings das nächste Tief gebildet. Weil der Bundesvorstand für eine Wahlsondersendung im Fernsehen als weibliche Kampfrednerin nicht die Parteilinke Jutta Ditfurth, sondern die DDRlerin Marianne Birkler von der Initiative für Frieden und Menschenrechte
aussuchte, will Jutta Ditfurth ihre Teilnahme an der Abschlußveranstaltung des Klimazugs in Frankfurt überdenken. Dort sollte am morgigen Sonntag in einer gemeinsamen Diskussion mit dem Realo Joschka Fischer Einigkeit in der Partei dokumentiert werden.
Der Zug macht am Wochenende noch Station in Trier, Saarbrücken, Ludwigshafen, Nürnberg, Leipzig, Erfurt und Frankfurt am Main
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