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»Heute zeigt sich, ob's Berlin gelingt...«

■ Hinter den Parteikulissen: Hans-Georg Lorenz leitet den Wahlkampf der Berliner SPD zum Abgeordnetenhaus

Berlin. Dumm sind nur die Intellektuellen. Immer wieder suchen sie mit ihren Fragen nach dem Sinn der SPD-Plakate — als ob es da etwas zu erklären gebe. Teils mit Entrüstung, teils mit lächelnder Überlegenheit kanzelt Hans-Georg Lorenz, Wahlkampfleiter der SPD, diese komischen Leute ab, die ihn tagtäglich mit Anrufen in der Parteizentrale in der Müllerstraße traktieren.

»Wir wußten, was wir taten, als wir diese Plakate klebten«, erklärt er stolz, und der Stolz wächst sichtlich noch, als er verrät, daß man sich die Motive für die drei Wahlplakate im Wahlkampfstab selbst ausgedacht hat. Nur die graphische Ausführung wurde dann an eine Werbeagentur gegeben. Die Kinderplakate, mit denen es Berlin gelingen und Optimismus verbreitet werden soll, sind in der SPD nicht unumstritten. »Als erstes frage ich jetzt immer nach dem Bildungsstand der Anrufer«, höhnt Lorenz. Dennoch, auf den Vorwurf auch von den eigenen GenossInnen, keinen inhaltlichen Wahlkampf zu machen, reagiert er allergisch: »Das höre ich gar nicht gern, das ist doch Unfug«, poltert er los, um sich in endlosen Ausführungen in schönstem Berlinerisch zu seinem Lieblingsthema zu verlieren, ohne daß man noch eine Nachfrage stellen müßte.

»Hagen« Lorenz, 47 Jahre alt, seit 1961 in der SPD, seit 1982 Kreisvorsitzender von Spandau, Geschäftsführender Landesvorsitzender der hiesigen SPD, Mitglied des Abgeordnetenhauses — kurzum alter Parteisoldat und Politvollprofi, leitet seit der Sommerpause den Wahlkampfstab der SPD für die Wahlen zum ersten Gesamtberliner Abgeordnetenhaus nach 44 Jahren. »Eigentlich eine viel zu kurze Frist«, findet Lorenz, »aber wir sind trotzdem professioneller als beim letzten Wahlkampf.« Die Spitze richtet sich gegen seinen Vorgänger, den jetzigen Bausenator Nagel, der 89 alles gemanagt hatte und auf Grund des Erfolges seiner Partei in seinem Selbstbewußtsein kaum noch zu bremsen war. Wegen seines Amtes mußte der ehrgeizige Nagel wohl oder übel zurückstecken und Lorenz das Feld räumen — aber kräftig mitmischen tut er immer noch. Obwohl Lorenz beteuert, daß der Bausenator sich heraushalte, ist an seiner leicht säuerlichen Miene abzulesen, daß dem wohl doch nicht ganz so ist.

Nagel sorgt auch dafür, daß die taz-Berichterstatterin von der wöchentlichen Sitzung des Wahlkampfstabes in der Müllerstraße ausgeschlossen wird, obwohl sie von Lorenz ausdrücklich eingeladen war. Der Grund: Während der Sitzung, frühmorgens am 14. November, wird gerade die Ostberliner Mainzer Straße geräumt. Niemand weiß, wie es ausgeht, ob es möglicherweise Tote geben wird. »Heute zeigt sich, ob's Berlin gelingt«, frotzelt Lorenz mit für ihn typischem Galgenhumor. Lorenz ist ein ausufernder Redner, der auch vor der Presse von einem Thema zum nächsten assoziiert — oft sehr zum Leidwesen der GenossInnen, die er mit flapsigen und schnoddrigen Bemerkungen in der Öffentlichkeit ins Schwitzen bringt. Es gelingt, wie die Sozis hinterher meinen, nur steigt die AL aus der Koalition aus. Ganz schnell muß jetzt die Generallinie geändert werden, das Thema innere Sicherheit rückt ins Zentrum. Die SPD stellt sich wie ein Mann hinter Walter und die sogenannte Berliner Linie. Flugs wird ein neues Wahlziel formuliert: die Alleinregierung der SPD — obwohl die bei der Vielzahl von Parteien schon rechnerisch kaum möglich ist. Neben Fraktionschef Ditmar Staffelt übernimmt »Hagen« Lorenz nach außen die Rolle, auf AL und CDU einzuprügeln und dem SPD-Spitzenkandidaten den Rücken frei zu halten. Trotzdem will man auch jetzt keinen Personenwahlkampf führen, Momper im Großformat hängt nur im Büro des Wahlkampfleiters.

Mindestens ein Vierzehn-Stunden-Job sei das, stöhnt Lorenz, der aber nebenbei auch noch in seiner Anwaltskanzlei arbeitet, »eigentlich geht es mir nicht besser als dem Regierenden, und ein Wochenende gibt es auch nicht«. Doch, die Familie leide darunter, aber die Partei fordert eben Einsatz. Runde drei Millionen Mark durfte Lorenz ausgeben, für Plakate, Werbespots in Hörfunk und Fernsehen, die sogenannte 'ZAS‘ ('Zeitung am Sonntag‘), die vier Wochen vor der Wahl jeweils am Wochenende verteilt wird, für Faltblätter, das Wahlprogramm in Hochglanz kurzgefaßt und als High-Light einen Brief von Momper an alle Frauen in der Stadt. Besonders konzentriert habe man sich auf den Ostteil der Stadt, mit den Themen Mieten, Umwelt und Arbeit. Dort sei es mit nur knapp 3.000 Mitgliedern sehr schwierig, die Organisation auf die Beine zu stellen. Fast beschwörend redet Lorenz bei der wöchentlichen Sitzung auf die Wahlhelfer aus dem Osten der Stadt ein, die ihre vielfältigen Probleme vortragen. Oft fällt es ihm schwer, geduldig zu bleiben — muß man doch immer wieder bei Adam und Eva anfangen. Die Devise heißt durchhalten, auch während der letzten Woche des heißen Wahlkampfes. Denn wenigstens will man deutlich stärkste Partei werden. Ob's gelingt? Kordula Doerfler

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