GASTKOLUMNE: Kitas oft schon Familien-Ersatz
■ Die Kindergarten-Referentin der Ev. Kirche, Ilse Wehrmann, sieht große Anforderungen bei kleinen Mitteln
Im Bundesgebiet fehlen zur Zeit 500.000 Kindergartenplätze, davon allein in Bremen 4.000. Im nächsten Jahr wird diese Zahl vermutlich auf 4.500 steigen, da in den letzten drei Jahren jeweils 500 Kinder mehr geboren wurden. Ein gesetzlich garantierter Anspruch auf einen Kindergartenplatz, wie es im neuen Kinder- und Jugendhilfegesetz vorgesehen war, ist am Votum der Länder Bremen und Niedersachsen gescheitert. Die Versorgungsquote ist in den einzelnen Stadtteilen Bremens unterschiedlich; sie liegt im Durchschnitt bei 65 Prozent im Vorschulbereich, im Hort bei rund 8,5 Prozent. Angestrebt ist laut Bürgerschaftsbeschluß bis 1995 eine Versorgungsquote von 90 Prozent im Vorschulbereich und 15 % im Hortbereich. Davon sind wir weit entfernt. Allein im evangelisch- kirchlichen Bereich steigen die Absagezahlen kontinuierlich: 1990 haben wir bei 2.700 Plätzen 1.155 Absagen geben müssen, trotz geringfügiger Ausweitung der Kapazitäten.
Der Kindergarten für alle Kinder ist in Bremen schon lange eine Illusion. Aufgrund der Mangelsituation bekommt man fast nur noch mit einer Stigmatisierung einen Platz. Die Folge ist eine soziale Entmischung. Durchschnittlich 40 Prozent der Kinder in den evangelischen Kindertagesstätten haben Eltern, die von Sozialhilfe leben, in einzelnen Einrichtungen ist der Sozialhilfeanteil noch wesentlich höher. Dadurch ergeben sicht wachsende sozialarbeiterische Aufgaben in den Kindergärten und damit auch steigende Anforderungen an die Erzieherinnen. Immer mehr Kinder kommen aus sogenannten Einelternfamilien. Um dem steigenden Bedarf an Versorgung gerecht zu werden, wandeln wir immer mehr Halbtagskindergärten in Einrichtungen mit Mittagessen oder in Kindergärten mit mindestens einer Ganztagsgruppe um.
Der Kindergarten steht nach meiner Auffassung vor einer historischen Neuorientierung, gekennzeichnet auch durch ein anderes Rollenverständnis von Frauen. Nicht nur, weil sie arbeiten müssen, sondern auch, weil sie arbeiten wollen, bekommt der Kindergarten einen neuen, familienergänzenden Auftrag. Dadurch zeichnen sich neue Herausforderungen an pädagogische Arbeit, an die Gestaltung des Tagesablaufes, aber auch an die Angebotsentwicklung außerfamiliärer Erziehung ab.
Der Kindergarten muß nicht immer die alleinige Antwort auf Betreuungsfragen sein, sondern die Vielfalt von Angeboten, sowohl im Kindergarten- als auch im Hortbereich, wie Spielkreise, Mutter-Kind-Gruppen, pädagogischer Mittagstisch für Schulkinder, neue Formen der Schulkinderbetreuung in sogenannten offenen Formen, wie von uns in der Gemeinde Hemelingen schon praktiziert, sollten unsere Antwort sein. Der Kindergarten könnte mehr zu einem Ort der Nachbarschaft werden, der Hilfen wie Tagesmütter koordiniert und begleitet, als Anlaufstelle für Hilfe zur Selbsthilfe.
Natürlich geht dies nicht mit der bisherigen Personalausstattung. Die Anforderungen an Kindergarten- und Hortarbeit haben sich zwar verändert, nicht aber die Bedingungen. Status und Vergütung stehen in keinem Verhältnis zu diesen Anforderungen. Eine Erzieherin, 23 Jahre alt, ledig, eingestuft nach BAT VI b, was gleichzeitig auch die Endstufe für Erzieherinnen ist, wenn sie nicht irgenwann einmal Leiterin werden, verdient netto 1.734 Mark. Bei steigenden Lebenshaltungskosten ist von diesem Gehalt nicht zu leben, schon gar nicht bei den vielen Teilzeitstellen. Immer mehr Erzieherinnen scheiden wegen der wachsenden Überforderung aus, werden krank oder wandern in andere Berufe ab. Nachwuchssorgen wie in den 70er Jahren deuten sich an, wenn sich nicht wesentliche Verbesserungen verwirklichen lassen.
Aber nicht nur an den personellen, auch an den räumlichen Bereich werden neue Anforderungen gestellt, ebenso an die Gestaltung des Außengeländes. Der Kindergarten muß zunehmend Erfahrungslernen ermöglichen, das vorher in den Familien geleistet wurde.
Die Bremische Evangelische Kirche, die für viele Entwicklungen im Kindergartenbereich Vorreiterrolle übernommen hat, wird sich auch der zukunftsweisenden Diskussion um eine betriebliche Kinderversorgung, wenn möglich in Kooperation mit der Wirtschaft, nicht verschließen, da wir alleine nicht alle Angebote schaffen können. Sicher liegen hier noch ungenutzte Chancen, die es zu erschließen gilt. Wir müssen nicht alles selber tun und anbieten, aber wir müssen uns stärker als Anwalt der Betroffenen artikulieren.
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