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Nur »Bibi« aus Kreuzberg kam durch

■ Von 71 Direktmandaten konnte die SPD in Westberlin nur eines erobern/ Der kleinste Kandidat ist jetzt der »größte« Abgeordnete der Sozis/ »Bibi« siegte in Mompers ehemaligem Wahlkreis

Kreuzberg. Eigentlich gibt es überhaupt nichts zu lachen. Joachim Günther, von Parteifreunden »Bibi« genannt und nach eigenen Angaben mit 1,58 Meter der kleinste Abgeordnete, versucht seine Siegerlaune auch krampfhaft zu verbergen. »Aber daß ich mal der einzige bin, der hier einen Wahlkreis gewinnt«, strahlt der SPD-Abgeordnete, »wer hätte sich das schon träumen lassen.« Keiner hätte sich das träumen lassen, schon gar nicht die Westberliner SPD. Von 71 Direktmandaten im Westteil der Stadt hat die SPD ein einziges gewonnen: In Günthers Kreuzberger Wahlkreis 2. Raimund Helms (AL) und Otto-Wilhelm Pöppelmeier (CDU) zogen den Kürzeren. Mit 31,8 Prozent der Erststimmen lag »Bibi« knapp vor seinem CDU-Konkurrenten mit 30,5 und Helms mit 30,3 Prozent. Im Ostteil der Stadt, auch das sei ehrenhalber gesagt, waren die GenossInnen erfolgreicher und brachten 37 DirektkandidatInnen durch.

Das Westberliner Ehrentor für die SPD schoß der 39jährige, im bürgerlichen Leben Lehrer für Deutsch und Erdkunde, ausgerechnet im ehemaligen Wahlkreis von Walter Momper. Der hatte ihn 1985 an besagten Herrn Pöppelmeier verloren, bevor Günther ihn 1989 zurückerkämpfte. »Die CDU«, vermeldet er heute noch stolz, »hatte hier das schlechteste Ergebnis in ganz Berlin.« Doch Nostalgie heilt keine Wunden, und Bibi Günther hat durchaus Erklärungen für den Einbruch seiner Partei. Der Koalitionsbruch und das, was Günther dezent als »Vorspiel« bezeichnet, habe mit zum katastrophalen Ergebnis beigetragen — und letztlich der Versuch, im rechten Wählerlager Punkte zu sammeln. Daß die Außenwirkung der rot-grünen Koalition die SPD nicht gerade auf eine Sympathiewelle gesetzt hatte, weiß auch Günther. »Aber man darf sich nicht in letzter Minute plötzlich in die andere Richtung profilieren wollen.«

Wie die anderen linken SPDler, die das Debakel wahlpolitisch überlebt haben, muß sich nun auch Bibi Günther mit dem Gedanken an eine große Koalition anfreunden. Der Abgeordnete, bislang Mitglied des Kultur- und AusländerInnenausschusses, sieht es pragmatisch. Rechnerisch ginge es nunmal nicht anders und »große Koalitionen werden immer gebildet, damit man sie irgendwann wieder auflösen kann.« Dann mischt sich doch ein bißchen Skepsis in den schwarz-roten Ausblick. Ob die kleinen Initiativen in der Kulturlandschaft die neue Finanzpolitik überleben, »kann man jetzt noch nicht sagen.« In der Ausländerpolitik werde sich die CDU überlegen müssen, ob sie auch auf der Regierungsbank weiterhin polarisieren wolle. »Aber viel Spielraum haben wir nicht, schon allein wegen der Bundespolitik.« So schlecht, hofft er, wird es für die SPD nicht werden. »Im Gegensatz zu Rot-Grün kann sie jetzt mal den anderen Part übernehmen« — und die linke Geige spielen. anb

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