: Haussmann gibt Wirtschaftsressort auf
■ Mit dem ausgezeichneten Wahlergebnis steigt die FDP jetzt mit neuem Selbstbewußtsein in die Koalitionsverhandlungen mit den Christdemokraten ein/ Erstes Direktmandat seit 1957
Berlin (taz) — Das zweistellige Wahlergebnis der Freidemokraten hat offensichtlich wie ein Befreiungsschlag für den kleinen Bonner Koalitionspartner gewirkt. Überraschend kündigte bereits gestern morgen Wirtschaftsminister Helmut Haussmann (47) seinen Rücktritt aus dem Kabinett an und erklärte, er fühle sich jetzt nach zweijähriger Amtszeit in der Nachfolge Bangemanns als „freier Mensch“. Da die 90er Jahre das Jahrzehnt der Unternehmer seien, wolle er selbst jetzt auch Unternehmer werden. Außerdem werde er seinen Lehrauftrag an der Universität Erlangen/Nürnberg ausbauen, sein Bundestagsmandat annehmen und möglicherweise den FDP-Vorsitz in Baden-Württemberg übernehmen.
Der Rückzug galt nicht nur für den IG-Metall-Vorsitzenden Steinkühler als „wirklich gute Nachricht“. Auch in den eigenen Reihen war Haussmann umstritten. Noch ist die Nachfolge offen, auch wenn für die FDP feststeht, daß das Wirtschaftsressort fest in liberaler Hand bleiben soll. Er wolle das Amt nicht herabwürdigen, so Lambsdorff hämisch, aber er selbst stehe nicht zur Verfügung: „Zum Aushilfskellner eigne ich mich auch nicht.“
Im Gespräch sollen der stellvertretende Vorsitzende Otto Solms oder der amtierende Bildungsminister Jürgen Möllemann sein, der allerdings viel lieber auf die Hardthöhe wechseln würde. Dieses Amt ist der FDP allerdings zu heiß. Eher soll dem Fallschirmspringer das Verkehrsministerium schmackhaft gemacht werden — obwohl hierfür bei der CDU angeblich schon der bislang arbeitslose Minister Günter Krause gehandelt wird.
Für den neuen Fraktionsvorsitz ist die Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Irmgard Adam-Schwaetzer, im Gespräch, die gestern mit Genugtuung den „hohen“ Frauenanteil von 20 Prozent in der Fraktion verkündete. Doch wohin mit Wolfgang Mischnick (69), der über die sächsische Landesliste nun doch weiter im Bundestag vertreten sein wird?
Erstmals seit 1957 errang die Partei auch wieder ein Direktmandat. In Genschers Heimatstadt Halle erreichte es die frühere Blockflöte der LDPD, Uwe Lühr (41), mit 34 Prozent der Erststimmen.
Nun wird die FDP, die bislang vier Minister im Kabinett stellt, mit gesteigertem Selbstbewußtsein in die Koalitionsverhandlungen eintreten. Ohne die geforderte Niedrigsteuer in den fünf neuen Bundesländern, drohte Lambsdorff bereits an, werde es keine Kanzlerwahl geben. Als Verhandlungspartner bestimmte das Präsidium am Montag Lambsdorff, Genscher, Möllemann, den hessischen Vorsitzenden Gerhardt sowie den stellvertretenden Bundesvorsitzenden Bruno Menzel.
bg
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