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Gerät „Gladio“ zum Putsch von oben?

Italiens Staatspräsident Cossiga drischt wild auf die Opposition ein / Maulkorb für Ermittler und das Selbstverwaltungsorgan der Justiz/ Regierung macht mit  ■ Aus Rom Werner Raith

Droht Italien, nach Jahren mehr oder weniger interner Ruhe, eine neue „heiße Phase“, bei der es auch um eine „neue Republik“ geht? Tatsächlich sind derzeit Töne wie vor einem Staatsstreich keine Seltenheit — nur, daß sie nicht, wie bei Staatsstreichen sonst üblich, von oppositionellen Gruppen oder regierungsinternen Dissidenten kommen, sondern vom höchsten Repräsentanten dieses Staates selbst. Francesco Cossiga, vor fünf Jahren mit der breitesten jemals erreichten Mehrheit (fast 90 Prozent) der Wahlmänner in den Quirinal (Sitz des Staatspräsidenten) gehievt, haut offenbar mit Zustimmung der Regierungsmehrheit derzeit hemmungslos auf jeden ein, der auch nur den Versuch macht, Klarheit in die trüben Machenschaften um die Nato-Geheimorganisation „Gladio“ und andere Untergrundorganisationen zu bringen. Dabei scheut er weder vor Machtmißbrauch zurück noch vor platter Demogagie.

Neuester Streich: in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Obersten Richterrates (das Selbstverwaltungsorgan der gesamten Rechtsprechung) hat er eine von der Fraktion der „Magistratura democratica“ beantragte Diskussion untersagt, in der über den massiven Eingriff von Justizminister Vassalli in ein laufendes Verfahren gesprochen werden sollte. Es geht um die Ermittlungen des Staatsanwaltes Felice Casson in Venedig, der „Gladio“ überhaupt erst entdeckt hat und den Vassalli disziplinarisch belangen möchte. Der Ermittler hatte einige Aufsätze veröffentlicht, die überhaupt nichts mit dem Fall zu tun haben; doch darin wird die — ganz Italien beschäftigende — Frage aufgeworfen, warum der Staatspräsident nie etwas zu den von Parlamentskommissionen erhärteten Beweisen bestimmter Beziehungen zwischen Cossiga und dem Chef der kriminellen Geheimloge „Propaganda 2“ sagt. Vassalli sieht darin eine „Verunglimpfung des Staatsoberhaupts“.

Kurz nach dem Maulkorb für die Juristen nahm sich Cossiga der Opposition an. Auf einer Demonstration, zu der vergangenes Wochenende einige hunderttausend Personen nach Rom gekommen waren und in denen „die ganze Wahrheit über ,Gladio‘ und die Terrorattentate“ gefordert worden war, habe er auch Transparente bemerkt „die aus der Zeit der Roten Brigaden stammen“ (damals wurde Cossiga — seinerzeit Innenminister, danach Ministerpräsident — oft mit zwei Runen-S nach der deutschen SS geschrieben). Und daran sei schuld, wer „mutwillig sich zum Sprecher jener macht, die politische Vorgänge“ — „Gladio“ — „zu instrumentalisieren und Angriffe auf das Staatsoberhaupt zu lancieren suchen“ — die Opposition, speziell die Kommunisten. Daß er hier nicht als Präsident, sondern als ehemaliger Polizeiminister und Aufseher über die Geheimdienste ins Visier geriet, ließ er fromm außen vor.

Die Kommunisten stehen solchen Anwürfen ziemlich verdattert gegenüber. Nichts hilft es ihnen, daß sie ihre Anfragen stets in höchster Bescheidenheit stellen, nichts hilft, daß sie sich von den Initiativen der Linksunabhängigen und der Demo- Proletarier distanziert hatten, die für Rücktritt oder Amtsenthebung Cossigas plädiert hatten, nachdem dieser sein Wissen über „Gladio“ nicht nur zugegeben, sondern sich dessen sogar gerühmt hatte: damit habe er, so die Enthebungsbefürworter, seinen Amtseid gebrochen, weil er die Existenz einer der Parlamentskontrolle und damit dem Souverän entzogenen bewaffneten Geheimstruktur zugelassen und gefördert hat — die allen Informationen zufolge nicht nur dem offiziellen Zweck der Guerilla-Ausbildung gegen Besatzer diente, sondern auch innenpolitisch gewühlt hat, um eine Regierungsbeteiligung linker Parteien zu verhindern.

Cossigas Attacken gelten aber nicht nur „Gladio“-Aufdeckern. Bereits vor zwei Monaten hatte er in eindeutiger Weise sein Amt mißbraucht, indem er, als Staatsoberhaupt, einzelne Bürger namentlich angriff: so etwa den ehemaligen antimafiosen lermitanischen Bürgermeister Leoluca Orlando. Der zieht seit seinem von Regierungschef Andreotti bewerkstelligten Sturz landesweit ein „Netz von Bürgerinitiativen“ auf, mit dem Ziel einer Reinigung der Politik von Korruption: ihn titulierte Cossiga als „braven Jungen, der nicht kapiert, daß er damit das Volk spaltet“. Den ebenfalls für saubere Politik kämpfenden Jesuitenpater Ennio Pintacuda empfahl er seinen Oberen — zur Maßregelung. Der Mann sei zu fanatisch.

Innerhalb der Regierungsparteien — Christ- und Sozialdemokraten, Sozialisten, Liberale und Republikaner — sieht man Cossigas Rundumschläge nicht ungern. Es erspart ihnen die Auseinandersetzung mit Kritikern, hat aber noch weiterreichende Effekte: auf diese Weise wird sichtbar, was sich ein Staatspräsident in Italien alles leisten kann. Bisher galt das Amt wie in anderen parlamentarischen Demokratien vor allem als Repräsentationinstitut, das über den Parteien steht, als Sinnbild der Einheit der Nation. Doch eine Reihe von Politikern, allen voran Sozialistenchef Bettino Craxi, möchte die erste Republik Italiens längst in eine zweite verwandeln — nach dem Muster der Präsidialrepublik de Gaulles.

Da solche Pläne (die unter anderem die Geheimloge „Propaganda 2“ in den 70er Jahren mit ihren putschistischen Ansätzen verfolgte) bisher am Widerstand der Opposition wie breiter Bevölkerungsschichten gescheitert sind, kommt den Aspiranten auf den Quirinal gerade gelegen, daß im Schlagabtausch um Cossiga nun wohl die genaueren Konturen des Amtes abgesteckt werden. Daraus wird man dann ersehen, ob man schon jetzt so etwas wie eine vom Präsidenten und nicht mehr vom Parlament (das die Ministerpräsidenten kontrolliert) bestimmte Politik durchsetzen kann. Sozialistenchef Bettino Craxi hat jedenfalls in den letzten Wochen erstmals sein großes Interesse an einer Wahl zum Staatsoberhaupt angemeldet.

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