: „...und dann kommen die Oasen!“
■ Die Bremerin Radmila Dobric ist multivisuell „Auf den Spuren von Isabelle Eberhardt“, Abenteurerin
hierhin bitte die
Frau mit langem
schwarzem Haar
Radmila Dobric, Mit-OrganisatorIn der Galerie Lysistrata, zeigt dieses Wochenende zum zweiten Mal ihre Multivisionsschau über Isabelle Eberhardt, jene Abenteurerin und Schriftstellerin, die mit 27 Jahren in der Wüste ertrank und die sie fasziniert, seit sie selbst — seit zehn Jahren — in Nord-und Westafrika reist.
taz: Wieso Isabelle Eberhardt?
Radmila Dobric: Auf der Suche nach Literatur zu meinen Reisen fielen mir ihre Reise-Texte in die Finger. Und so, wie sie die Dinge beschrieben hat, also z.B. Wüstenstimmungen, so konnte ich das sehr gut nachempfinden. Dann hab' ich recherchiert in Algier, in Aix en Provence: da gibt's ein großes Archiv, wo alle ihre Originalunterlagen liegen, die man in einer Kiste ausgegraben hat. Die hab' ich auf Mikrofilm und bearbeite sie jetzt.
Wer war Isabelle Eberhardt eigentlich?
1877 geboren, Mutter deutsch-jüdischer Herkunft; ihr angeblicher Vater war erst orthodoxer Priester, dann Anarchist, Freund von Bakunin. Die beiden lebten in Genf in wilder Ehe. Isabelle durfte nicht in die Schule und nicht in die Kirche und wurde von ihrem angeblichen Vater unterrichtet. Schon damals hat sie Männerkleidung getragen, das gehörte zur anarchistischen Grundidee — es gibt keinen Unterschied zwischen Mann und Frau. Mit 12 Jahren spricht sie mehrere Sprachen. Mit 20 reist sie mit ihrer Mutter nach Algerien, die ein halbes Jahr später stirbt. Und danach beginnt sie ihr Nomadenleben, beginnt zu schreiben, u.a. in einer französisch-algerischen Zeitung.
Man fragt sich doch immer bei solchen Frauen, woher sie den Mut zu ihrer Extravaganz nehmen?
Ich denke, es kommt aus ihrer Sozialisation, aus dieser Isolation heraus. Auch der Orientalismus und die Mystifikationen waren um 1900 ganz maßgeblich.
Für die Frauenbewegung ist sie eine d e r Vorzeige-Exotinnen.
Die Frauenbewegung zieht sie sehr hoch, ich seh' das nicht so. Wenn man ihre Biographie näher kennt, dann resultiert das Ungewöhnliche auch schon daraus. Und ihre Tagebücher sind sehr depressiv, sehr schwankend. Dieses ständige Unterwegssein ist auch eine Art Flucht. Und die Verschleierung der Frauen hat sie überhaupt nicht interessiert. Sie selbst hat ihr Frausein wohl nie erfahren. Es ist festgestellt worden, daß sie nie eine Menstruation hatte, figürlich retardiert war.
Sind Deine Reise-Erfahrungen auch Grenzerfahrungen?
In Algerien z.B., touristisch kaum erfaßt, gibt es ein großes Aggressionspotential. Ich war jetzt unten mit einem Freund, und es gab sehr oft Grenzsituationen: Einmal sind wir inhaftiert worden, weil ich angeblich militärisches Gebiet fotografiert habe; und einmal haben arabische Jugendliche mit Steinen nach uns geworfen — weil ich keine Kopfbedeckung getragen habe.
Wie haben wir uns Deine Multivision vorzustellen?
Ich habe jetzt über 400 Dias, auch Film, Archivmaterial, das wird hinter-oder übereinander projiziert, und dazu läuft ein Band mit ihren Texten und biographischen Anteilen. Dazu arabische und klassische Musik, nur arabische Musik macht die Leute nervös. Das Ganze hat was Melancholisches, es wird was mit den Leuten gemacht. Und für mich selbst ist es eben auch so faszinierend: Wenn ich nach unten geh', dann reduziert sich dieses Eingebundensein von hier auf ein Minimum, da bist du existentiell abhängig von ganz simplen Dingen: daß du Wasser bekommst, 'ne Decke hast, daß das Auto fährt.
Du brauchst also auch extreme Erfahrungen?
Ich empfinde es nicht als extrem. Ich finde es wichtig für jemanden, der hier lebt, daß der seine Sensibilität im Gefühlsleben behält. Sonst entsteht sowas Stupides, Abgeflachtes, eine geringe Form der Wahrnehmung der nonverbalen Dinge. Du bist hier eben nicht abhängig von Wind und Wetter, vom Kompaß, von einer Abstimmung mit dem, was dich umgibt.
Keine Ängste?
Ich bin sehr fatalistisch. Für mich sind es glückliche Momente intensiver Wahrnehmung, wenn du 500km durch die Wüste fährst und dann kommen Oasen, und dann fährst du rein — und das hast du visuell, das spürst du am Körper, das wird einfach mit dir gemacht, ohne daß du großartig was tust. Fragen: claks
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