: Kunst gegen positive Babys
Eine Hannoveraner Ausstellung zeigt amerikanische „Aids-Demo-Graphics“/ Ein Interview mit dem Künstler/Aktivisten Loring McAlpin von der New Yorker Gruppe „Gran Fury“ ■ Von Brigitte Werneburg
Im nächsten Jahr wird die Aids-Epidemie in Amerika mehr Opfer gefordert haben als der gesamte Vietnamkrieg. Die politische Dimension der Aids-Krise wird deutlich an der Zahl der Neuinfektionen, die vor allem unter den Armen in den heruntergekommenen Slums der amerikanischen Großstädte dramatisch ansteigen. Die finanzielle und politische Zurückhaltung der US-Gesundheitsbehörden und das fragwürdige Gebaren der Pharmaindustrie beim Kampf gegen Aids brachten eine Solidarisierung der Betroffenen zustande. Die „Aids Coalition To Unleash Power“ („Act Up“) pflegt, um Druck auf eine Reform des Systems der Gesundheitsversorgung in den USA auszuüben, einen militanten Aktivismus, der innerhalb der verschiedenen Aids-Organisationen und Homosexuellengemeinden, wie etwa in San Francisco, zu kontroversen Diskussionen führte. Das zehnköpfige New Yorker Künstlerkollektiv „Gran Fury“, das Act Up entstammt, unterstützt Demonstrationen und Aktionen mit aggressiven, polemischen Plakataktionen. Während Gran Fury (benannt nach dem viertürigen Plymouth-Modell, das die New Yorker Polizei für ihre Under-cover-Aktionen einsetzt) von konservativer Seite als Propagandisten einer drohenden homosexuellen Revolution denunziert werden, die die heile Welt glücklicher amerikanischer Familien bedroht, erhalten sie wegen ihres intelligenten und innovativen Umgangs mit Bild und Text von seiten der Kunstszene großen Beifall.
taz: Wie entstand Gran Fury?
Loring McAlpin: Ursprünglich brachte uns unser Engagement bei Act Up zusammen. Gran Fury entstand im Januar/Februar 1988, nachdem Bill Oleander, der Kurator des New Museum of Contemporary Art am Broadway in SoHo, zu einer Act- Up-Versammlung gekommen war und um eine Schaufensterinstallation zur Immunschwächekrankheit für das Museum gebeten hatte. Eine Gruppe von 35 bis 50 Leuten gestaltete schließlich das Fenster, das „Let The Record Show“ benannt wurde. Es dokumentierte homosexuellenfeindliche Aussagen über Aids, die von Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens wie Senator Jesse Helms und dem rechten Kolumnisten William F. Buckley kamen. Die Reaktionen auf diese Installation war so positiv, daß sich ein Teil von uns entschied, zusammenzubleiben und Plakate, Graphiken und andere Agitationsmaterialien zu gestalten.
Während der ersten sechs bis acht Monate waren wir eine offene Gruppe, und ganz verschiedene Leute stießen zu uns. Wir stellten dann aber fest, daß es zu schwierig war, als offenes Kollektiv zu arbeiten. Wenn neue Leute kamen, mußten wir sie jedesmal wieder über unsere vorangegangenen Treffen und den Stand unserer Projekte informieren. Da entschieden wir uns — einfach damit die Dinge endlich auch umgesetzt werden konnten —, die Gruppe zu schließen. Sie besteht nun aus zehn festen Mitgliedern.
Aktivismus und Kunst
Gran Fury kommt aus der Act-Up- Bewegung. Seht ihr Act Up als euer primäres Publikum? Beeinflußt eure Arbeit die Diskussionen, Aktionen und „Zaps“ (spontane Aktionen, kleinere Demonstrationen, die innerhalb von einer paar Stunden organisiert werden)?
Wir bemerkten sehr früh, daß wir uns als offizielles Subkomitee von Act Up allen möglichen Entscheidungen der allgemeinen Act-Up- Treffen beugen müßten. Das erschien uns lästig. Wir zogen es aus rein logistischen Gründen vor, unabhängig zu werden.
Jetzt ist die Verbindung sehr viel lockerer. Einzelne Mitglieder von Gran Fury sind noch bei Act Up engagiert. Wir machen auch noch Arbeiten für Act Up; im Moment helfen wir bei der Vorbereitung einer Demonstration in Atlanta, die im Dezember vor dem Center of Disease Control stattfinden soll. Act Up vertreibt umgekehrt einige unserer T-Shirts, Plakate und Sticker; von den Einnahmen erhalten wir einen gewissen Prozentsatz, der unsere Projekte mitfinanziert. Inzwischen ist der Rahmen unserer Projekte aber größer geworden. Wie versuchen sowohl die Act-Up-Gemeinde als auch das große Publikum zu erreichen. Ich denke, was wir letztlich am besten machen, ist, Erkennungszeichen zu produzieren, die die Leute zur Solidarität aufrufen und sie als Aktivisten bestätigen.
Gran Fury sagt: „Kunst ist nicht genug.“ Man kann eure Arbeiten in der Öffentlichkeit, auf Plakatwänden, auf Bussen, auf Stikkern, T-Shirts, an den Menschen sehen. Aufgrund eures innovativen Umgangs mit Bild und Text habt ihr Resonanz und Akzeptanz in der Kunstwelt gefunden. Ihr bekommt Kunstförderungsgelder, eure Arbeiten reisen auf Ausstellungen im In- und Ausland. Habt ihr nicht Angst, von den Institutionen der Kunstwelt vereinnahmt zu werden?
Sicher gibt es diese Probleme. Auf der einen Seite sind wir natürlich Bestandteil der Kunstszene, und unser Erfolg hat uns bestärkt. Auf der anderen Seite versuchen wir natürlich, den Einfluß der Kunstwelt zu benutzen, ohne von ihr vereinnahmt zu werden.
Bis jetzt sind wir so verfahren: Wann immer wir ein Projekt in Verbindung mit einer Kunstinstitution machten, mußte ein öffentlicher Bezug da sein. Es durfte kein reines Galerie-Ereignis sein, sondern sollte auch die Menschen draußen erreichen. Wie eben mit den Schaufensterinstallationen im New Museum oder im Whitney Museum of American Art, wobei das Whitney zusätzlich noch eine Plakataktion in Lower Manhattan sponserte.
Wir tragen unsere Arbeiten nicht einfach in Museumsausstellungen. Kürzlich haben wir zwei Anrufe erhalten, von einem Museum in Atlanta und einem aus der Schweiz, die unser „Kissing Doesn't Kill“-Plakat in ihren Ausstellungen zeigen wollen. Wir verpflichteten sie, 500 Stück einer verkleinerten Version des Plakats in ihrem Museumsladen zu verkaufen. Wir wollen unsere Arbeit unter die Leute bringen.
Über die Kontroverse, die es anläßlich eurer Arbeit auf der diesjährigen Biennale in Venedig gab, wurde in Deutschland kaum berichtet (nur Jeff Koons und Cicciolina waren ein Medienthema). Wie stellt sich die Geschichte für euch dar?
Es war eine harte Entscheidung, eben aufgrund des Problems, über das wir gerade sprachen. Als wir eingeladen wurden, in der offenen Sektion, wo die jüngeren Künstler ausstellen, teilzunehmen, fragten wir nach Möglichkeiten, eine öffentliche Aktion zu machen. Wir wollten eine Reihe von Fahnen überall in Venedig aufhängen oder etwas Ähnliches machen. Von offizieller Seite kam ein entschiedenes Nein. Sie hatten wahrscheinlich Angst, daß dann die anderen 64 Künstler nachziehen und ähnliche Anfragen stellen würden. Da wir allerdings die Biennale auch als eine große Touristenattraktion sahen, die ein breiteres Publikum anzieht als sonstige Kunstausstellungen, nahmen wir dann doch teil.
Nicht Kondome, sondern eine gute Moral
Es ging um unsere Plakatinstallation „Sexismus erhebt sein ungeschütztes Haupt, Männer benutzen Kondome oder sie lassen es bleiben, Aids tötet Frauen“, dem wir ein Plakat gegenüberstellten, das Papst Johannes PaulII. zeigte und Äußerungen katholischer Würdenträger zitierte — wie etwa des New Yorker Kardinals John O'Connor, der ernstlich meinte, nicht Kondome und saubere Nadeln, sondern allein eine gute Moral sei eine sichere Prävention. Die Reaktion darauf war eine merkwürdige Mischung aus echten Zollproblemen, Gerüchten und indirekter Zensur von seiten Giovanni Carandentes, dem Direktor der Abteilung bildende Kunst der Biennale.
Carandente kannte unsere Installation nicht. Er war darüber nur per Gerücht „informiert“ und erklärte daraufhin, daß er zurücktreten würde, wenn Gran Fury ausstellen dürfte. Er weigerte sich, mit uns zu sprechen, und trieb uns damit in eine Situation, in der wir den Konflikt öffentlich machen mußten. Am Morgen der Biennale-Eröffnung hatte uns Carandente mitgeteilt, daß unsere Arbeit wahrscheinlich erst in drei Tagen ankommen würde. Worauf wir entschieden, eine Pressekonferenz in unserer leeren Ausstellungskoje abzuhalten. Diese Aktion und die Presse haben uns geholfen. Denn wie durch ein Wunder kam unsere Arbeit schon drei Stunden später durch den Zoll und konnte gehängt werden.
Eure Arbeiten sind zur Zeit in Hannover zu sehen.
Die Ausstellung will unsere und ähnliche Arbeiten unterstützen. Wir zeigen, was man Gran Fury's Greatest Hits“ nennen könnte. Aber in Hannover wird nicht nur Gran Fury zu sehen sein — innerhalb von Act Up gibt es weitere Personen und Gruppen, die künstlerische Aktionen machen.
Dada, Agitprop, Benetton, Kuß
Kurt Schwitters hat vor dem Zweiten Weltkrieg in Hannover gelebt; Erinnerungen an Dada, Montage und Plakataktionen, an frühe Versuche, Erfahrungen aus Kunst und Werbung für politische und kulturelle Ziele einzusetzen, werden wach. Gibt es bei Gran Fury Bezüge zur Agitprop-Kunst aus dieser Zeit beziehungsweise der politischen Kunst der sechziger Jahre?
Wir haben einen aktivistischen Ansatz, keinen kunsthistorischen. Wir haben ein bestimmtes politisches Ziel vor Augen. Dabei durchforsten wir natürlich unseren Vorrat an bekannten Bildvorstellungen, das kulturelle Inventar eben, das man so mit sich herumschleppt — ob das nun Dada ist oder der Situationismus oder die Werbung der neunziger Jahre.
War es bei „Kissing Doesn't Kill“ eine bewußte Entscheidung, die „United Colors of Benetton“-Kampagne zu benutzen?
Wir kannten die Benetton-Werbung. Wie kommentieren sie eigentlich nur. Wenn schon eine friedliche Vereinigung des Verschiedenen gefeiert werden soll, so dachten wir, dann bitte wirklich, dann auch auf der Ebene des sexuellen Verhaltens. Wir waren amüsiert, als wir einige Monate nach dem „Kissing“-Projekt eine Anzeige für „Esprit“ sahen. Sie war von Toscani, der auch die Benetton-Kampagne fotografiert hatte. Sie hieß „Hugs and Kisses“ und zeigte, natürlich klinisch sauber, gemischtrassige, sich küssende Paare an einem Strand. Natürlich nur heterosexuelle Paare. Ich denke, er muß gesehen haben, was wir machten, und wollte es uns nun zurückgeben.
Der Medienapparat, der zu Beginn dem Thema Aids große Aufmerksamkeit widmete, ignoriert das Problem mehr und mehr. Die 'New York Times‘ bläst den Alarm wie folgt ab: „Die Seuche betrifft immer noch zum größten Teil bestimmte Risikogruppen. Wenn erst einmal alle Mitglieder dieser Gruppen infiziert sind, wird die Zahl neuer Opfer automatisch geringer werden.“ Wie läßt sich ein solcher Standpunkt konterkarieren?
Man kann nicht jede zynische Bemerkung der Presse zum Aids-Problem angreifen. Wir versuchen, die Presse zu beobachten und wenn nötig und möglich gegen falsche Berichterstattung anzukämpfen. Aber man muß sich darüber im klaren sein, daß die Medien nicht kontrollierbar sind, sie widersetzen sich der Kritik, sie wollen letztlich nur den Status quo wahren. Wir können unseren Erfolg auch nicht daran messen, was die Presse über uns schreibt. So war die Pressereaktion anläßlich der Act- Up-Demonstration vor der St.-Patricks-Kathedrale in New York im Dezember 1989 verheerend. Wir hatten Kardinal O'Connors Messe gestört. Act Up blieb dabei, daß die Sache richtig war und daß der Vorwurf eines Sakrilegs geringfügig ist gegenüber dem, was die Kirche anrichtet, indem sie nur ideologisch argumentiert.
Act Up und die ethnischen Minderheiten
Die Act-Up-Gemeinde setzt sich in der Mehrzahl aus weißen, männlichen Homosexuellen aus der Mittelklasse zusammen, aus einer Minderheit unter den Aids/HIV-Betroffenen also. Die Zahlen aus den armen schwarzen und hispanischen Gemeinden sind die wirklich alarmierenden. Wie skandalös die Politik der katholischen Kirche ist, wird ja besonders deutlich, wenn man weiß, daß inzwischen jedes 61. Baby, das in New York geboren wird, HIV-positiv ist. Welche Anstrengungen unternimmt Gran Fury, um die schwarzen und hispanischen Gemeinden zu erreichen, heterosexuelle Männer, Frauen, Drogenhändler?
Die Frage erinnert mich an Diskussionen auf Act-Up-Treffen, wo die Leute sehr allgemein auf die schwarze und hispanische Bevölkerung und die intravenösen Drogenbenutzer verweisen, als ob sie einerseits völlig homogen wären und andererseits völlig verschieden von Act Up. Wenn man sich dann umschaut, sieht man: Ja, es gibt viele weiße, schwule Mitglieder bei Act Up, aber trotzdem ist Act Up gemischt, es gibt auch Frauen, Fixer, Schwarze, Latinos.
Wenn wir für eine breite Koalition von Leuten kämpfen, die sich in der Aids-Krise engagieren, dann müssen die Problemstellungen unterschiedliche Wertigkeit haben in den verschiedenen Gemeinden. Mein Wunsch und meine Hoffnung ist, daß in den verschiedenen Gemeinden ähnliche Gruppen wie Gran Fury entstehen. Das ist sehr schwierig, einfach weil die hispanischen und schwarzen Gemeinden schon unter so vielen Diskriminierungen leiden. Aids ist ja nur ein Teil der vielen Probleme, mit denen sie kämpfen.
Act Ups Hauptmerkmal, das Logo gewissermaßen, ist „Silence=Death“ unter einem rosa Dreieck auf schwarzem Grund. Die Bedeutung dieses Emblems beruht auf seinem Bezug zum „Rosa Winkel“, den die Nationalsozialisten benutzten, um die Schwulen in den KZs zu kennzeichnen. Wird dieses Symbol eigentlich außerhalb der Schwulengemeinde verstanden, ist es übertragbar, erweiterbar auf Frauen, heterosexuelle Männer und Fixer?
Die Allgegenwärtigkeit dieses Stickers führt dazu, daß bestimmte Leute anhalten und fragen, was er bedeutet. Er führt zu Nachfragen über die Aids-Problematik. Für Leute, die wissen, was es beinhaltet, denke ich, ist es ein starkes Logo, fast ein Versammlungsaufruf.
Ich nehme nicht an, daß die Leute es sehen und sagen: Oh, das ist das gleiche Dreieck, das die Nazis benutzten, es geht um die Schwulen; die Leute sehen es heute als Symbol des Aids-Aktivismus. Daher identifizieren sich auch Frauen und Farbige damit. Der historische Bezug gilt heute nur noch auf der zweiten oder dritten Ebene.
Was sind die nächsten Projekte von Gran Fury?
Wir werden Bushaltestellen plakatieren, im Dezember in Los Angeles und im Januar/Februar in New York. Dann wollen wir eine Leuchtdioden-Installation im Stedelijk-Museum in Amsterdam zeigen. Und schließlich gibt es eine Reihe von Videoclips, die wir letztes Jahr produziert haben. 30-Sekunden-Versionen von „Kissing Doesn't Kill“, als eine Art Musikvideo aufgezäumt. Wir hoffen, daß wir sie ausstrahlen können. Aber es ist verdammt schwer, im amerikanischen Network-System sich küssende, gleichgeschlechtliche Paare zu zeigen.
Der „Bilderschock“ von Gran Fury ist in der Bundesrepublik seit dem 1.Dezember, dem Welt-Aids- Tag, im „Pavillon“, Lister Meile 4, 3000 Hannover 1, zu sehen. In Berlin vom 1.2. bis 15.3.1991, Act Up Berlin: Mann-oh-Meter, Motzstraße 5, 1000 Berlin 30 und Druckausgleich, Hobrechtstraße 79, 1000 Berlin 44. Vom 6.4. bis 20.5.1991 Act Up Köln
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen