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Konkreter Poet des Setzkastens

■ Der Bremer Victor Malsy hat ein schönes Buch über den Architekten und Typografen El Lissitzky gemacht

hierhin bitte

das Bild von dem

Männergesicht vor

abstraktem

Hintergrund

El Lissitzky, Selbstbildnis: Der Konstrukteur. Fotomontage 1924

Ein schönes Buch ist ein klares Buch ist ein bequemes Buch. Victor Malsy, ausgebildet an der hiesigen HfK, ein Gestalter aus der Eckhard-Jung-Nachfolge, hat jetzt eines gemacht. Ein Buch ist das für Augen zum Flanieren, ein Park mit Bilderteichen und gepflegten Beeten Text, und überall findet man leicht hin, selbst bloß als Lese-Tourist.

Das Buch ist über El Lissitzky. Konstrukteur, Denker, Pfeifenraucher, Kommunist, steht vorn drauf, gleich über dem prominenten roten Spaltkeil, was von dem Plakatmacher Lissitzky vielleicht der geschliffenste visuelle Einfall in die gegnerische Ordnung ist. „Schlagt die Weißen mit dem roten Keil!“ Kennen Sie das Plakat? Roter Keil in weißen Kreis auf schwarzem Grund, und Splitter. Langer Reden kürzester

Sinn, und unwiderstehlich agitproper. Lissitzky, geboren vor zirka hundert Jahren, war einer von diesen vielen Ingenieuren des Neuen Menschen damals, einer mit Zirkel und Lineal, ein Mitkonstrukteur der sowjetischen Revolutionsmaschine, Abt. Visuelles. Der Rote Keil ist sozusagen sein überzeitliches Logo geworden: vier schöne Seiten des Buches sind voll von Abbildungen des Keils, wie er in zeitgenössischen Variationen erscheint, bis hin zum Signet von „Wührmann am Brill“.

Genau, die Reklame. Lissitzky, der Psychotechniker. Werbegrafiker von Pelikan, Hersteller von Büchern, Katalogen, immer auf der Suche nach elementaren Bilder-Alphabeten, nach allerverständlichsten Verkehrs-Zeichen. Majakowskijs Vorlese-Gedichtbuch „Für die Stimme“ hat er, zwecks leichter Orientierung der interessierten Arbeiterschaft, mit Daumenregister gestaltet (1922). Den feierabendlichen Leseverkehr im Buche regelt ein einfaches piktogrammatisches Leitsystem.

Verständlichkeit! Schnelle Blickführung! So lauteten die Parolen von Lissitzky, dem Typografen. Das hat ihn vom Gegenteil nicht abgehalten, vom Hindernis, von der vielfach gestörten Schriftzeile, von freien, poetischen Einzelbuchstaben. Er hat, als Konkreter Poet des Setzkastens, den typogräflichen Eigensinn gleich miterfunden.

Das Buch über ihn dankt ihm viel. Fotos und Grafiken sind aufs Angenehmste verteilt, quasi an Kreuz- und Querachsen variabel aufgehängt. Malsy hat vielerlei Möglichkeiten gefunden, der geometrischen Mitte die optische zu entziehen; die Spannung erzeugt wohlige visuelle Kriechströme, und ganz sanft. Einen Ausgleich schaffen Legendenblöcke und kleinere Bilder in der komfortabel breiten Randspalte. Dort schleppt er auch, notfalls über Seiten, als optische Verweise Bildausschnitte mit, um die es im Text geht. Das erspart das Zurückblättern. Wenn er's nur durchgehalten hätte, ich würde ihn bejubeln.

Sonst finden sich, ach ja, lehrreiche, seltener unterhaltsame Aufsätze über Lissitzky, den unverwirklichten Architekten und multimedialen Dutzendsassa. Und ein Katalogteil über eine derzeit in Darmstadt, seinem gewesenen Studienort, gezeigte Ausstellung. Und Briefe heutiger gestalterischer Persönlichkeiten, betreffend den „Kollegen L.“, kratzfüßig schüchterne und rotzig kumpelhafte, jedenfalls lauter so gut wie entbehrliche, im Faksimile erst recht. Aber ich will jetzt auf den zweiten Blick gar nicht mäkeln. Es ist, wie gesagt, ein schönes Buch. Der erste Blick gewinnt. Manfred Dworschak

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