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Mehr als Routine...

■ Brahms-Requiem unter Leitung von Marcello Viotti in der Glocke

Das „Deutsche Requiem“ op.45 von Johannes Brahms hört man heutzutage öfter in der Kirche als im Konzertsaal. Zu Brahms' Zeiten war dies umgekehrt.

Am vergangenen Montag und Dienstag waren in der „Glocke“ einmal keine ambitionierte Kantorei mit „ad hoc-Orchester“, sondern die ehrwürdige Bremer Singakademie (Leitung: Theo Wiedebusch), SolistInnen und das Staatsorchester unter Generalmusikdirektor Marcello Viotti am Werk.

Leider hört man zumindest den Chorpart von einer guten Kantorei oft besser.

Der mit etwa 100 Frauen- und etwa 50 Männerstimmen mehr als üppig besetzte Chor löste seine schwere Aufgabe insgesamt nicht überragend. Große Schwächen wies vor allem der Sopran auf. Die Damen waren permanent die entscheidende Winzigkeit zu tief, die den Chorklang aus der Balance bringt.

Zwar ist gerade der Sopranpart in diesem Werk extrem hoch, der ganze Chorsatz sehr anstrengend. Dann sollte aber zu Anfang nicht so „gebrüllt“ werden, um nicht schon nach Satz III die Kondition zu verlieren.

Viele der Stellen, die von Chorleitern gerne intensiv geprobt werden, eben weil sie so heikel sind, bewältigte der Chor nicht. Dies betrifft vor allem Phrasierung und Klangprobleme (Satz I und II, Chorfuge „Der Gerechten Seelen“).

Manchmal reagierte der Chor nicht auf Zeichen des Dirigenten (Dynamik) — man hatte fast den Eindruck, es herrschte eine leichte Reserviertheit gegenüber Viotti.

Das Orchester hingegen hört man selten so gut wie am vergangenen Montagabend. Klanglich hervorragend musizierten die Holzbläser, warm und blühend die Streicher (Satz V, VII), und der Organist verstand es, so geschickt zu registrieren, daß die Orgel immer mit dem Gesamtklang verschmolz.

Caroline Maria Petrig sang ihren Solopart mit einer bezaubernden klaren Stimme, die ein wenig an die junge Elisabeth Grümmer erinnerte. Heikle Höhen kamen mühelos.

Björn Waag fiel dagegen zumindest in Satz III etwas ab. Das dunkel-mysteriöse „Herr, lehre doch mich“ sang er mit heller Klangfarbe und etwas metallischem Timbre, was hier nicht recht passen mag. Satz VI geriet ihm überzeugender.

Mit intensivem Engagement leitete Marcello Viotti das Ganze. An ihm, den Solisten und dem Orchester lag es sicher nicht, daß zumindest das Montag-Konzert „nur“ eine gute Aufführung brachte.

Meiner Meinung nach ließ es der Chor an jener tiefen inneren Beteiligung fehlen, die die Aussagen des ergreifenden Brahms- Werkes im Konzert entscheidend vermitteln hilft.

Gunnar Cohrs

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