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Rotarmisten schon vor dem Fest »vergriffen«

■ Wer zum Weihnachtsfest jetzt noch russische Soldaten einladen will, kommt zu spät — alle schon verplant

Berlin. Wer jetzt noch den Wunsch verspürt, einen sowjetischen Soldaten zum Fest einzuladen, wird enttäuscht. Seit gestern sind sie »vergriffen«. Die Deutsch-Sowjetische Freundschaftsgesellschaft (DSF) kann die Einladungen nicht mehr dem Oberkommando Westgruppe in Wünsdorf übergeben, denn die dort gebildete Arbeitsgruppe »Weihnachten« hat ihre Arbeit beendet. Wichtigster Punkt der Wünsdorfer Zentrale war, die rechtlichen Voraussetzungen für die Annahme der Weihnachtseinladungen zu klären. Inzwischen steht fest: Die Soldaten und Offiziere dürfen über die Festtage auch ohne Visa und Sichtvermerk in den Westteil der Stadt fahren. Inzwischen wurden die Einladungen von den Obermilitärs an die Kasernen in Krampnitz, Wünsdorf und Karlshorst weitergeleitet. Dort wiederum wurden die Einladungen sortiert und Soldaten ausgesucht, die den Wünschen der Gastfamilien entsprachen. Die DFS hat am Wochenende alle Ostberliner und gestern alle Westberliner Gastgeber benachrichtigt: Alle Schwierigkeiten wurden überwunden, die Russen kommen — auch nach Dahlem und Zehlendorf.

Insgesamt hat die DFS 187 Weihnachtseinladungen an die Wünsdorfer weitergeleitet. 50 Einladungen kamen aus Ost- und 137 aus West- Berlin. Viele Berliner haben gleich mehrere Soldaten eingeladen. 25 Gastgeber wollen gleich eine ganze sowjetische Familie unter dem Weihnachtsbaum beschenken, 59 mindestens zwei Soldaten und 81 nur einen. Birgitt Dobig, mit der ganzen Organisation in der DFS beschäftigt, hofft, daß auch die alleinstehenden Rotarmisten »genügend Wärme in den Familien erfahren«. Sie hat aber alle Gastgeber genauestens instruiert, militärische Geheimnisse und sonstige Indiskretionen sollten nicht abgefragt werden. Als besonders schöne Idee empfindet Birgitt Dobig die Initative eines Pfarrers in Tiergarten. Der Geistliche greift internationalen Friedensverhandlungen vor. Er hat zum Heiligen Abend gleich mehrere Soldaten aller vier Schutzmächte eingeladen.

Beendet ist auch die Päckchenaktion der »Deutsch-Sowjetischen Gesellschaft«, Landesverband Berlin. Die Spendenbereitschaft, sagt Mitarbeiterin Bettina Zinke, »war im wahrsten Sinne des Wortes überbordend«. Bei Beginn der Aktion »Weihnachtspäckchen für Kinderheime und Kinderkrankenhäuser in Moskau« rechnete man höchstens mit 2.000 Geschenkgaben. Inzwischen stapeln sich in der Mohrenstraße und im Haus der Sowjetischen Kultur zwischen 40.000 und 50.000 liebevoll in Weihnachtspapier eingeschlagene Pakete und Päckchen. Heute wird der ganze Segen von Lastwagen mit Sattelschleppern abgeholt, zum Flughafen Sperenberg gekarrt und mit einem Großflugzeug der Roten Armee nach Moskau geflogen. aku

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