: Bewältigung durch Vergessen
■ Bischof der evangelischen Kirche von Berlin Brandenburg plädiert für Schließung der Stasi-Akten/ Nach dem Fall de Maizière will er die Dinge auf sich beruhen lassen/ Stasi streute auch Gerüchte
Berlin (dpa/taz) — Die Bewältigung der Stasi-Vergangenheit durch Vergessen hat jetzt einen weiteren prominenten Befürworter: Gottfried Forck, Bischof der evangelischen Kirche von Berlin-Brandenburg, plädierte gestern unter dem Eindruck des Falles de Maizière dafür, „die Stasi-Akten zu schließen und die Dinge auf sich beruhen zu lassen“. Die Suche nach ehemaligen Stasi- Mitarbeitern müsse eingestellt werden. Nötig, so Forck, sei jetzt ein „Neuanfang mit neuem Vertrauen“.
Forck begründete seinen Vorstoß ähnlich wie Ex-DDR-Innenminister Diestel am Vortag: Es sei theoretisch möglich, jedem Bürger der ehemaligen DDR Stasi-Mitarbeit zu unterstellen und ihn damit in der Öffentlichkeit zu diskreditieren. Der Bischof erklärte weiter, er halte es für ein unmögliches Verfahren, daß Beschuldigte in Umkehrung des Rechtsstaatsprinzips faktisch ihre Unschuld beweisen müßten.
Selbst wenn Beschuldigte ihre Unschuld nachweisen könnten, bestehe die Gefahr, daß das Ansehen des Betroffenen dauerhaft beschädigt bleibe. Dies führe auf Dauer zu einem „unerträglichen Klima“ in der Gesellschaft. Früher habe die Stasi selbst häufig gezielt Gerüchte über angebliche Stasi-Mitarbeiter gestreut, um Menschen ins Zwielicht zu rücken. Diese Methode will Forck auch in den jüngsten Enthüllungen wiedererkennen. Auch im Falle de Maizière, dessen „vorzügliche Arbeit“ er schätze, wollte Forck „üble Machenschaften“ nicht ausschließen. Der Bischof wandte sich deshalb dagegen, die hinterlassenen Aktenbestände nochmals systematisch nach Spitzeln zu durchforsten. Auch dürften keinesfalls ehemalige Stasi- Offiziere als Belastungszeugen dienen. Aufgrund ihrer früheren Tätigkeit seien sie dazu gänzlich ungeeignet. Forck mahnte die Vertreter der alten Bundesrepublik zur Zurückhaltung im Umgang mit der Stasi-Problematik. „Es wäre makaber, wenn der Eindruck entstünde, daß nur diejenigen sauber und rein sind, die 40 Jahre in der BRD gelebt haben, während alle Bewohner der früheren DDR verdächtig sind.“
Die Forderung Forcks, jetzt die Verfahren gegen alle Stasi-Opfer neu aufzurollen, um die Betroffenen zu rehabilitieren, widerspricht allerdings der gleichzeitig propagierten endgültigen Schließung der Akten. Wie eine Rehabilitierung der Opfer ohne ausführliches Aktenstudium möglich sein soll, bleibt unerfindlich. Auch scheint eine Rehabilitierung der Opfer, wie sie Forck jetzt fordert, ohne die gleichzeitige Belastung der Täter schwer vorstellbar. Fraglich ist weiter, ob die vom Bischof intendierte Versöhnung ohne vorherige Offenlegung möglich sein kann. Zu bedenken bleibt auch, daß die Kirche in bezug auf die Stasi-Vergangenheit selbst Betroffene ist. Der Beitrag der Kirche zur Aufarbeitung steht noch aus. eis
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