SPANNUNGSFELD NORD-SÜD: Das Dilemma der Waffenhändler
Abrüstung in Ost und West läßt Waffenexporteure noch mehr als bisher die Dritte Welt umwerben. Militärische Spitzentechnologie wird sich trotz aller gutgemeinten Kontrollen weiter verbreiten. Mit dem Ergebnis, daß die westlichen Staaten immer mehr Waffen in die jeweilige Region liefern müssen, um das militärische Gleichgewicht aufrechtzuerhalten. Am Ende steht die Intervention mit eigenen Truppen – wie in der Golfkrise. ■ VON LAWRENCE FREEDMAN
Im Krieg gegen eine größere Dritte-Welt-Macht müssen westliche Staaten stets damit rechnen, mit Panzern oder Schiffen aus dem eigenen Export konfrontiert zu werden. So ging es Großbritannien im Falkland-Krieg 1982, und so geht es den Staaten der derzeitigen Allianz gegen den Irak. Berücksichtigt man weiterhin, daß mit Produkten aus dem Westen auch dann Krieg geführt wird, wenn keine Herstellerländer direkt beteiligt sind, haben wir gute Gründe, der Waffenindustrie den Vorwurf zu machen, daß sie internationale Konflikte schüre.
Doch der moderne Waffenhandel wird nicht von privaten „Kaufleuten des Todes“ bestimmt, sondern von Regierungen. Da Waffen nicht mit anderen Waren vergleichbar sind, existiert immer eine problematische Spannung zwischen kommerziellen und politischen Interessen.
Das geschäftliche Interesse ist darauf zurückzuführen, daß der Export den Produzenten durch die Höhen und Tiefen der nationalen Rüstung hindurch hilft, indem er die eigene fortgeschrittene Technologie mitfinanziert. Dieses Milliarden- Geschäft wirkt sich zudem positiv auf die Handelsbilanz aus.
Eine besonders wichtige Rolle spielte dies in den siebziger Jahren, in der Folge des Aufstiegs der OPEC und der Vervierfachung des Ölpreises. Ein beträchtlicher Teil westlicher Staatsgelder floß in die ölproduzierenden Länder. Eine der besten Möglichkeiten, einen Teil dieser Gelder zurückzugewinnen, sahen die westlichen Ölkunden im Verkauf der teuersten Waffen aus ihrem Inventar.
Anstatt sich mit den Brosamen vom Tisch der Großmächte zufriedenzugeben, erwarteten und bekamen die Entwicklungsländer, allen voran der Schah von Persien, die modernsten Waffen. Das Geschäft dehnte sich schließlich auf die militärische Infrastruktur aus, als westliche Firmen halfen, komplette Militäranlagen von Grund auf zu entwickeln und aufzubauen.
Das System der Exportlizenzen diente den Regierungen als Argument dafür, daß der Handel unter Kontrolle sei und die Waffen nicht in falsche Hände geraten könnten. In der Praxis war es allerdings sehr schwierig, Privatgeschäfte zu unterbinden, lief man dabei doch immer Gefahr, wichtige potentielle Kunden zu verlieren und das Feld möglicherweise skrupelloseren Konkurrenten zu überlassen.
In den späten Siebzigern versuchte US-Präsident Carter, Kontrollen einzuführen. Er erlegte den Befürwortern des Waffenhandels innerhalb seines Kabinetts die Pflicht auf, jedes einzelne Geschäft zu begründen, und suchte Absprachen mit den Herstellern, keine hochentwickelte Technologie, wie z.B. moderne Kampfflugzeuge, in bisher nicht von ihnen belieferte Regionen zu verkaufen. Die Befürchtungen von Carters Kritikern bestätigten sich: Durch ihre Weigerung, bestimmte Länder – beispielsweise wegen Menschenrechtsverletzungen – weiterhin zu bedienen, verloren die USA eine Reihe von Kunden und zogen sich außerdem den Zorn von Ländern zu, die bis dahin auf US-amerikanische Produkte angewiesen waren.
Eine internationale Zusammenarbeit erwies sich als unmöglich. Obwohl vielen Drittweltländern klar war, daß die Erhöhung der Verteidigungsausgaben eine Beeinträchtigung ihrer Wirtschaft zur Folge haben könnte, wollten sie nicht auf Fabrikate verzichten, die den Industriestaaten zur Verfügung standen. Der Vorschlag, nur die Ausrüstung zu liefern, deren Handhabung die Hersteller ihnen zutrauten, roch nach Neokolonialismus.
Der Waffenmarkt war immer von den Käufern dominiert. Die Industrieländer produzierten ein weitaus größeres Kontingent, als ihre eigenen Armeen einsetzen konnten. So kam es zur massiven Konkurrenz um jeden noch so bescheidenen Auftrag, zu ausgesprochen großzügigen Kreditbedingungen sowie bisweilen verdächtig hohen Vermittlungsprovisionen. Die Attraktivität des Geschäfts zog viele Neueinsteiger wie z.B. Israel und Brasilien an, die mit etablierten Herstellern wie den USA, der Sowjetunion, Frankreich und Großbritannien zu konkurrieren begannen.
Nicht internationale Absprachen, sondern eine neue strategische Gesamtlage ließ den Waffenhandel mit der Dritten Welt während der nächsten Dekade abflauen. Mit der Ölschwemme und den beträchtlichen Schulden einiger wichtiger Waffenkunden aus der Dritten Welt fielen die Preise, so daß weniger Geld für die Rüstung verfügbar war. Die Auftragsbücher der Hersteller waren in der ersten Hälfte der achtziger Jahre dennoch gefüllt: durch die Nato-Aufrüstung.
Der Zusammenbruch des Warschauer Pakts zu Beginn der 90er Jahre und die geplanten umfassenden Kürzungen im Verteidigungshaushalt der meisten Nato-Staaten lassen erwarten, daß die Produktionskapazitäten den zukünftigen Bedarf bei weitem überschreiten. Es sind daher zweifellos intensive Anstrengungen zu befürchten, den Handel mit der Dritten Welt auszubauen. Man muß jedoch auch sehen, daß die Märkte der Dritten Welt den westlichen Ländern dazu dienten, die Produktion am Laufen zu halten, während sie auf Inlandsaufträge warteten. Anders könnte die Waffenindustrie kaum überleben.
Das Ende des Kalten Krieges könnte (abhängig natürlich noch von der Entwicklung am Golf) einen Rückgang des internationalen Waffengeschäfts zur Folge haben, da die Herstellerfirmen sich immer stärker am zivilen Markt orientieren und von Jahr zu Jahr weniger neue Fabrikate herausbringen. Darüber hinaus wird die große Zahl gebrauchter Waffen, wie sie mit der Abrüstung der Großmächte anfallen, für die Exporteure in die Dritte Welt zum Problem werden. Die Erschließung neuer Märkte in Osteuropa wird wahrscheinlich keinen genügenden Ausgleich bieten, weil die meisten ehemals kommunistischen Staaten eine antimilitaristische Politik verfolgen und außerdem knapp bei Kasse sind.
Während der Jahre des Booms wurde der Waffenexport unter anderem damit gerechtfertigt, daß er dem Abnehmer einen gewissen Einfluß auf die Außenpolitik des Anbieters ermögliche. Zwar gibt es dafür kaum Belege, doch die Regierungen behaupten immer noch, daß der Waffenhandel Beziehungen zu bestimmten Ländern stabilisiere. Seit Ägypten sich in den siebziger Jahren von der Sowjetunion lossagte und sich mit dem Westen verbündete, glaubt man, vormals radikale Länder mit Hilfe von Waffenexporten aus der sowjetischen Einflußsphäre herauslocken zu können.
Der Krieg zwischen Iran und Irak macht die Problematik dieser Argumentation deutlich. Die US-amerikanischen Versuche, Irans verzweifelte Suche nach Waffen in Geheimverhandlungen auszunutzen, um die Geiseln im Libanon zu befreien, rächten sich. Als die USA um Unterstützung für Irak warben, um mit dessen Hilfe dem iranischen Einfluß entgegenzuwirken, beteiligten sie sich am Aufbau einer gewaltigen und unkontrollierbaren Macht im Nahen Osten.
Darin zeigt sich das Dilemma der westlichen Welt im Waffengeschäft. Es läßt sich nicht verhindern, daß einige mächtige Drittweltstaaten sich imposante Arsenale zusammenstellen. Fühlt ein anderes Land sich angesichts eines solchen militärischen Potentials bedroht, kann man entweder dessen Verteidigung verbessern – das heißt mehr Waffen exportieren – oder ihm Schutz von außen gewähren – wozu der Westen im allgemeinen nicht bereit war.
Die Golfkrise macht deutlich, daß wir angesichts der unverhohlenen Aggression gegenüber einem Land, an dem der Westen ein beträchliches Interesse hat und das Hauptabnehmer von Waffen gewesen ist – nämlich Saudi-Arabien –, eine Intervention immer noch in Betracht ziehen müssen. Die Mehrzahl der Konflikte ist jedoch wesentlich unklarer, und eine Einmischung des Westens im gegenwärtigen Ausmaß wird eher die Ausnahme bleiben. In den meisten Fällen werden die Saaten der Dritten Welt ihre Streitigkeiten untereinander austragen müssen. Um einen speziellen Freund zu unterstützen, ist es also sinvoller, ihm westliche Waffen zu verkaufen, als Streitkräfte zu entsenden.
Auf diesem Weg förderte der Waffenhandel die „Diffusion der Macht“, die weltweite Streuung fortgeschrittener Kriegstechnologie, die ursprünglich in den Händen der Industriestaaten konzentriert war. Der Prozeß spiegelt die Absicht des Westens, sein Engagement außerhalb des Nato-Territoriums zu reduzieren, und unterstützt gleichzeitig diese Tendenz, da er Interventionen für die westlichen Staaten immer riskanter werden läßt. Allein der Aufwand, den die Konfrontation mit dem Irak derzeit erfordert, zeigt, daß die Großmächte gegenüber weit entfernten, nicht einmal allzu großen Drittweltstaaten die Grenzen ihrer Möglichkeiten erreicht haben.
Bei den Massenvernichtungsmitteln hat es ohne Zweifel internationale Zusammenarbeit gegeben. Der Atomwaffen- Sperrvertrag von 1970 beschränkte die Zahl der ausgewiesenen Atommächte auf fünf, doch die inoffizielle Liste unfaßt inzwischen mehr Staaten. Die Kontrolle der Raketentechnologie war insofern wirksam, als der Verbreitung von ballistischen Langstreckenraketen (einschließlich des irakischen Condor-Projekts) Grenzen gesetzt wurden. Weniger erfolgreich verliefen die langen Verhandlungen über ein mögliches Verbot chemischer Waffen. Das Problem ist, daß die meisten der kritischen Technologien auf dem zivilen Markt erhältlich sind und eine geschickte Koordinierung verdeckte Kapazitäten schaffen kann.
Für die Gegner Iraks war es ein ziemlicher Schock, daß sie sich auf chemische Kriegsführung gefaßt machen mußten. Eine sorgfältigere Überwachung der Geschäfte mit sensiblen Technologien steht zu erwarten. Außerdem sollte die Komplexität der Fabrikation hochentwickelter Waffen nicht unterschätzt werden. Trotz allem ist mit der Verbreitung fortgeschrittener Technologie zu rechnen, nicht nur in bezug auf Massenvernichtungsmittel. Und wenn nicht ein glücklicher Zufall für ausgeglichene Kräfteverhältnisse sorgt, könnte es zu ernsthaften Konflikten kommen, die entweder in einer Katastrophe enden oder auf den Westen dauernden Druck ausüben, durch eigene Intervention ein gewisses Gleichgewicht herzustellen.
Lawrence Freedman ist am Londoner Kings College als Professor für Konfliktforschung tätig.
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