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DAS KÜNFTIGE EUROPAKSZE – aber wie weiter?

Vier Versalien, die als Zauberformel für ein gesamteuropäisches Friedenssystem gelten. Gerade die neuen sozialen Bewegungen laufen Gefahr, eigene Basisaktionen zugunsten ihrer Hoffnungen auf den Prozeß von oben zurückzustellen. Indessen erweist sich die Nato als auflösungsresistent. Und Osteuropas Länder scheinen vom KSZE-Prozeß nichts mehr zu erwarten – Ungarn und die CSFR harren bereits auf ihren Nato-Beitritt.  ■ VON ANDREAS ZUMACH

Für den KSZE-Prozeß sei „die beste Unterstützung“, schreibt Hanne-Magret Birckenbach, „eine kritische Haltung gegenüber der Selbstbeweihräucherung der KSZE“. Der KSZE drohe das Schicksal, „zu Tode gelobt“ zu werden (siehe nebenstehenden Artikel). Dem ist ebenso uneingeschränkt zuzustimmen, wie Birckenbachs Kritik an der männerdominierten KSZE-Politik/Kultur und ihrer Forderung nach stärkerer Einmischung von Frauen in KSZE-Angelegenheiten.

Doch daß die westlichen Politiker bislang davongekommen sind mit KSZE-freundlichen Lippenbekenntnissen, hinter denen sich alte Macht- und Führungsansprüche prächtig tarnen ließen, liegt auch an der unkritischen Beweihräucherung und mangelnden handfesten Einmischung von unten. Zu oft in den vergangenen Jahren delegierten Gruppen, die sich für Abrüstung-, Menschenrechte, Ökologie oder wirtschaftlichen Ausgleich stark machten, ihre Hoffnungen auf Problemlösungen an die KSZE. Diese Zauberformel genügte, Diskussionen über die Notwendigkeit und Möglichkeiten eigener Aktivitäten zu verhindern. Die Militär- und Rüstungskritik – von Birckenbach zu Recht als eines der Felder notwendiger Einmischung benannt – wurde dabei in den letzten Jahren gerade auch von vormals Aktiven der Friedensbewegung aufgegeben, das Thema „Sicherheitspolitik“ damit wieder der etablierten Politikebene überlassen. Dies zeigte sich gerade auch bei der „Helsinki-Bürgerversammlung“ im Oktober in Prag sehr deutlich.

Zur Abschätzung künftiger Möglichkeiten des KSZE-Prozesses bedarf es einer differenzierten Bewertung der Zeit seit der Helsinki-Schlußakte von 1975. Birckenbachs Feststellung, die KSZE-Politik sei „im Hinblick auf die vergangene Ost-West- Konfliktsituation erfolgreich“ gewesen, trifft lediglich auf die im „Menschenrechtskorb“ festgelegten Ziele zu. Und dies auch nur für die osteuropäischen Staaten. Nur widerwillig akzeptierten diese seinerzeit die von westlichen und neutralen Staaten verlangte Festschreibung menschenrechtlicher Standards. Eigentlich verstanden sie das damals im Grunde als „Einmischung“ in „innere Angelegenheiten“. Das Nato-Mitgliedsland Türkei ist bis heute von seinen westlichen Bündnispartnern unter beschämend wenig Druck geraten, Folter und andere gravierende Menschenrechtsverletzungen abzustellen.

Die Entwicklungen auf dem Gebiet der militärischen Sicherheitspolitik und Rüstungskontrolle haben – mit Ausnahme der Vereinbarungen über vertrauensbildende Maßnahmen wie Manöverankündigungen und –beobachtungen etc. – nicht im KSZE-Rahmen stattgefunden und wären auch ohne die Existenz der KSZE vorstellbar. Das gilt für den INF-Mittelstreckenraketenvertrag zwischen Washington und Moskau sowie für das Start-Abkommen, das voraussichtlich Anfang 1991 von Bush und Gorbatschow unterzeichnet wird. Das gilt aber auch für den anläßlich des Pariser Gipfels unterschriebenen ersten Vertrag über die Reduzierung konventioneller Streitkräfte in Europa (VKSE) zwischen den 22 Nato- und Warschauer Vertragsstaaten. Trotz Auflösung des östlichen Bündnisses und entsprechender Forderungen der zwölf neutralen Länder Europas haben sie auch ihre Ende November begonnene zweite Verhandlungsrunde nicht auf den KSZE-Rahmen der 34 ausgedehnt.

Den bei weitem geringsten „Erfolg“ kann die bisherige KSZE- Politik bei der wirtschaftlichen Kooperation verzeichnen. Das ökonomische Gefälle zwischen West- und Osteuropa ist heute eher größer als vor 15 Jahren. Auf die dramatischen Folgen dieses Gefälles unter den seit einem Jahr veränderten politischen Rahmenbedingungen in Europa (riesige Ost-West-Flüchtlingsströme, gefährliche Verschärfung der wieder aufgebrochenen nationalen und ethnischen Konflikte, Errichtung einer neuen Mauer etc.) haben auf dem Pariser Gipfel vor allem die Regierungschefs der CSFR, Ungarns, Polens und Jugoslawiens hingewiesen. Die Bereitschaft westlicher Regierungen und Unternehmen, auf diese Situation auch unter Risiko und ohne Garantie auf schnellen Gewinn rechzeitig mit zinsgünstigen Krediten und mit Investitionen in der notwendigen Größenordnung zu reagieren, um die Reform der osteuropäischen Ökonomien langfristig sichern zu helfen, ist nur gering ausgeprägt. Das belegen sämtliche Untersuchungen der OECD, der Europäischen Wirtschaftskommission der UNO (ECE) und anderer einschlägiger Organisationen aus den letzten Wochen. Und darüber können auch noch so spektakulär inszenierte kurzfristige Nahrungsmittelhilfen zur Linderung eines Hungerwinters in Osteuropa nicht hinwegtäuschen.

So ist es verständlich, daß „die ehemaligen Warschauer-Pakt- Länder angesichts des sozialen Elends um die Gunst westlicher Staatsmänner konkurrieren“ (Birckenbach). Nur hat dieses auch Einfluß auf die Zukunft der KSZE. Wenn die Regierungschefs Havel (CSFR) und Antall (Ungarn) sich beim Pariser Gipfel für eine gesamteuropäische Sicherheitsordnung auf Basis der KSZE aussprachen, zugleich aber die „wichtige Rolle der Nato“ als Pfeiler einer solchen Ordnung betonten, ließ sich dies noch als unaufgelöster Widerspruch registrieren. Der inzwischen in Prag und Budapest erwogene Antrag zumindest auf assoziative Mitgliedschaft in der Nato zeigt jedoch, daß Ungarn und die CSFR tatsächlich nicht mehr auf die KSZE setzen. Es wird damit gerechnet, daß Warschau demnächst nachziehen wird. Das treibt die Sowjetunion weiter in eine Isolation, die bereits beim Vergleich der Pariser Reden Gorbatschows und der anderen osteuropäischen Regierungschefs deutlich wurde. Oder aber in den Zwang, sich auch zum Antrag auf Aufnahme in die Nato zu entschließen: in ein Militärbündnis, das bislang seine Strategie nicht tatsächlich verändert hat, das auch – soviel ist absehbar – nach einer Revision auf Atomwaffen in (West)-Europa setzen wird und das eine immer stärkere Rolle zumindest bei der logistischen Unterstützung militärischer Interventionen einzelner Mitgliedstaaten in Regionen außerhalb Europas spielt.

Was bleibt für den KSZE-Prozeß, für eine Beteiligung an diesem Prozeß von unten. Auf absehbare Zeit nicht viel mehr – oder besser: nicht viel weniger, als ein sich Stemmen gegen den Trend. Dazu bedarf es vorerst keiner neuen „Helsinki-Bürgerversammlungen“ oder großartiger theoretischer Entwürfe, sondern der konkreten Block- und nationalstaatliche Grenzen übergreifenden Einmischung in drängende Problemfelder. Birckenbach hat in mehr allgemeiner Form fünf wichtige Aufgabengebiete beschrieben. Ein ganz konkretes Problem ist die sich anbahnende Ost-West-Migration. Wenn es hier gelingen sollte, auch nur punktuell „kooperative Lösungen“ (Havel in Paris) zu entwickeln und umzusetzen, die nicht zu einer Aufhebung der gerade erst gewonnenen Freizügigkeit führen, wäre schon ein Stück des KSZE-Anspruchs eingelöst. Dieser Anspruch geht allerdings über die Stabilisierung der Verhältnisse in Europa hinaus, so sehr die Probleme hier derzeit auch auf den Nägeln brennen. Eine Möglichkeit, diesen Anspruch auch praktisch umzusetzen, wäre eine von Gruppen in allen KSZE-Länder gemeinsam getragene Kampagne zur Unterbindung sämtlicher Rüstungsexporte aus der KSZE-Region heraus.

Andreas Zumach ist taz-Korrespondent in Genf mit den Schwerpunkten internationale Organisationen und Abrüstungsfragen.

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