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Vorwärts durch Fleißbilderreiche!

■ Im Vegesacker Museum Schloß Schönebeck sind vielsagende alte Gesellschaftsspiele ausgestellt

Karten, Pläne, Schachteln, bedruckt mit Bildchen, Szenerien und lauter rechten Wegen hindurch: Im Saal des Schlosses Schönebeck nahe Vegesack sind Spiele der letzten gut hundert Jahre ausgestellt, und alle sind appetitlich bunt, bloß das allerschönste nicht: dieses von 1890 hat puttelig bleiche Farben und hat gar kein Bild, sondern heißt Reise in die Ewigkeit.

Ein Spiel ausschließlich mit Wesentlichem, nämlich einer Würfelbahn zum Voranstreben und sonst nix; und von manchen Feldern bleckt gelb das Laster oder grünlich die Tugend, je nach dem stichelschriftlichen Aufdruck heißt es da hinauf, o Mensch, wegen Ertragung der Beleidigungen, oder hinab, du Hund, wegen Zanksucht. Schon Naschen wirft einen letztinstanzlich zurück von 20 auf 7, die Lüge gar von 89 auf 21 (von Bleistifthand noch strafverschärfend mit 10 übermalt), das Feld Ungeduld kostet, hähä, grad extra dreimal Aussetzen; kurzum: hier endigt in Demut unser Tun und findet seine Maßeinheit.

Zahllose Flohmärkte hat die Sammlerin Inge Schwarzwälder abgeweidet; ihre Stücke sind allesamt sehr geschwätzige Splitterchen der jüngeren Geschichte, Abt. Spiele. Da sehen wir schon auch kurzlebige Mutationen, die bloß die Schrullen ihrer Erfinder weitererzählen, z.B. den Zwitter aus Fußball und Schach, wo mit Läufern und Torwächtern usw. per Gitternetz über ein simuliertes Spielfeld gezogen wird.

Die meisten Spiele aber sind Abkömmlige der paar Klassiker, und jeweils zweckgemäß variiert. Seit wir zum Beispiel diesen Kapitalismus haben, gedeihen die Laufspiele mit Würfeln ganz prächtig. Einfach und lehrreich ist ihr Prinzip, und allen erdenklichen Spielwelten ohne weiteres zu implantieren: dem postfeudalen Pferderennen wie auch dem historisch jüngeren Karstadt-Warenpark (mit Preisangaben). Immer wieder durcheilen wir, von passenden Komplikationen behelligt, unser Los, und auf manchen Spielpläne die Pfade entlang den Fleißbildchen-Szenen sind schon ganz abgewetzt, was einen schon schwermütig machen kann.

Neben Domino-, Würfel- und Kartenspielen gibt es auch zahlreiche Abwandlungen der Wissensprüfungs-Lotterie. Um was baten die Samariter zu Sichar Jesum? Das riecht nach ewiger Penne wie die unsterblichen verkehrserzieherischen Spiele nebenan. Aber um 1900 war man durchaus spezieller: da erblühte im Reich, als dessen imperiale Blähungen chronisch wurden, sogleich die nützliche Mode, nach geographischen Kenntnissen zu fragen.

Die Spiele der Nazis sind, wie diese auch, seltsam humorlos: Statt den Hut Fang den Feind, oder wieder ein Laufspiel, diesmal ein kriegswirtschaftliches: Liebe Mutti! Eintopfessen nicht vergessen! Und in ein Seeschlachtpanorama darf man Volltreffer hineinwürfeln.

Die Geschichte des Spiels, sehen wir, ist der endlose Versuch, der alten Kampflust neue verlockende Bilder zu bieten. Weil aber die Handlung nur ermuntert, nicht gestört werden darf, sind die Bilder immer die infantilsten, das heißt eben auch: die geschwätzigsten ihrer Epoche. Manfred Dworschak

Die Ausstellung ist noch bis 20.1. zu sehen. Öffnungszeiten: Di, Mi, Sa 15-17 Uhr, So 10-12.30 Uhr.

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