: Bayer gewann gegen peruanische Beschäftigte
■ Niederlassung in Lima braucht entlassene Arbeiter nicht wieder einzustellen/ Gerüchte um Korruption im Arbeitsgericht/ Schwierige nächste Tarifrunde/ Bei der Pelikan-Tochter Carbolan bleibt der komplette Gewerkschaftsvorstand auf der Straße
Lima/Solingen (taz) — Die zweite Instanz des Arbeitsgerichtes in Lima hob jetzt die vor wenigen Wochen gefällten Urteile gegen Bayer Industrial auf. Die peruanische Niederlassung des bundesdeutschen Bayer- Konzerns war darin verpflichtet worden, entlassene Arbeiter wieder einzustellen, da die Entlassungen rechtswidrig seien. Am 28.Dezember wurden Román Vilchez, José Nunez, Alfredo Cadenas und Valeris Sosa vom „Tribunal de Trabajo“, dem Arbeitsgericht, die zweit- und damit letztinstanzlichen Urteile ausgehändigt, die ihre Entlassungen für rechtmäßig erklären. Den Arbeitern war von der Werksleitung vorgeworfen worden, ärztliche Atteste gefälscht zu haben.
Die Umstände dieser Entscheidung haben jedoch Vermutungen über Unregelmäßigkeiten in der peruanischen Justiz laut werden lassen. Der Verteidiger der Arbeiter, Jesús Alarcón, hält die identischen Begründungen der Urteile für „mangelhaft“: Das Tribunal habe vergleichbare Fälle von Entlassungen in peruanischen Textilunternehmen, die zugunsten der ArbeiterInnen ausgefallen waren, nicht berücksichtigt, und berufe sich auf einen nur vorläufigen Bericht der staatlichen Krankenversicherung IPSS.
Und selbst Justizkreise halten die Urteile für das Ergebnis einer „extralegalen“ Verpflichtung des Tribunals. Gerüchte entstanden insbesondere um einen beteiligten Richter und um den von Bayer beauftragten Anwalt, der ausgezeichnete Kontakte innerhalb der Arbeitsjustiz besitzen soll. Vermutungen in dieser Richtung erhalten Nahrung durch die Tatsache, daß Bayer keinen Vertreter zum einzigen Verhandlungstermin am 11.Dezember entsandt hatte, der allein durch die Berufungsanträge des Unternehmens zustande gekommen war. Auch die IPSS, deren Stellungnahme in den Verhandlungen großes Gewicht hatte, gilt allgemein als kurrupt.
Verteidiger Jesús Alarcón kündigte eine Verfassungsbeschwerde gegen die Urteile an, die seiner Ansicht nach gegen drei Verfassungsartikel verstoßen. Während dieses Verfahrens, das mindestens weitere vier Monate in Anspruch nehmen wird, befinden sich die Entlassenen weiterhin in einer prekären sozialen Lage. Ihre noch bei Bayer Industrial beschäftigten KollegInnen unterstützen sie mit geringen Solidaritätszahlungen.
Bayer hatte im August und September 1989 insgesamt 21 Arbeiter ihrer Dralonfabrik mit der Begründung auf die Straße gesetzt, sie hätten ärztliche Atteste gefälscht. Nur acht der Entlassenen besaßen das Standvermögen, ein Jahr lang auf die Verhandlung ihrer Klagen vor dem Arbeitsgericht zu warten. Die fünf im September 1990 gefällten erstinstanzlichen Urteile erklärten die Entlassungen übereinstimmend für rechtswidrig, da den Arbeitern keine Verfehlungen nachgewiesen wurden. Die von Bayer umgehend eingereichten Berufungsanträge hatten dann zur Überprüfung der Urteile vor dem Tribunal de Trabajo geführt.
Am 1.Januar 1991 begann indes eine neue Tarifrunde bei Bayer Industrial in Lima. Die Betriebsgewerkschaft fordert eine Erhöhung des Grundlohns, die die Inflationsverluste des letzten Jahres kompensiert und das Reallohnniveau des letzten Tarifvertrags vom 1.1.90 wiederherstellt. Die peruanische Inflationsrate der letzten zwölf Monate beträgt fast 10.000 Prozent. Die Tarifverhandlungen werden von der Gewerkschaft selbst als außerordentlich schwierig eingeschätzt, denn die neue Regierung unter Präsident Fujimori hat mit Hilfe zahlreicher Dekrete den Streik- und Verhandlungsspielraum der Gewerkschaften stark eingeschränkt.
Pelikan-Gewerkschafter bleiben entlassen
Von den im Herbst nach der gewaltsamen Beendigung eines Streiks (taz vom 9. und 23.11.90) entlassenen ArbeiterInnen der Pelikan-Tochterfirma Carbolan wurden inzwischen 84 vom Unternehmen „freiwillig“ wieder eingestellt. Somit bleiben 37 Belegschaftsmitglieder wegen angeblicher Beteiligung an gewalttätigen Handlungen auf der Straße — darunter alle Mitglieder des Gewerkschaftsvorstands. Die 37 Betroffenen kämpfen gerichtlich um ihre Wiedereinstellung. Einige von ihnen hatten während des Streiks am 15.Oktober im Krankenhaus gelegen. K. Müller/H. Mathews
Weitere Informationen: Coordination gegen Bayer-Gefahren (CBG), Hofstr. 27a, 5650 Solingen 11, Tel.: 01212-334954
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