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Ledernacken auf Soldatenfang

■ In sieben Republiken der Sowjetunion sollen Fallschirmjäger Wehrdienstverweigerer und Deserteure fangen/ Heftige Reaktionen der baltischen Regierungen/ Vorwand für den Ausnahmezustand?

Riga/Vilnius (afp/taz) — Im Windschatten der Golfkrise scheint die sowjetische Regierung entschlossen, die Souveränität der Union in der zentralen Frage der Streitkräfte wiederherzustellen. Entgegen einer Versicherung des Genralstabschefs Moissejew, die Sowjettruppen in den baltischen Staaten würden nicht verstärkt, hat in den letzten beiden Tagen die Verlegung von Fallschirmjägern in doppelter Brigadenstärke, das heißt über 10.000 Mann, begonnen. Gleichzeitig haben neue Panzerverbände in der „Nordstadt“ von Vilnius Quartier bezogen. Der Auftrag der Fallschirmjäger besteht darin, Deserteure und Wehrpflichtige, die der Einberufung keine Folge geleistet haben, zu fangen. Ähnliche Operationen laufen in den transkaukasischen Republiken, in Moldawien und in Teilen der Ukraine. Zur Rechtfertigung führte das sowjetische Verteidigungsministerium aus, daß in diesen Republiken nur ein Bruchteil der Wehrpflichtigen ihren Dienst angetreten habe: in Georgien 10 Prozent, in Litauen 12, in Estland 24,5, in Lettland 25,3, in Armenien 28,1 und in Moldawien 58,9, wobei sich in Estland und Lettland fast nur Angehörige der russischen Minderheit gemeldet hätten.

Während in der Union nur der Entwurf eines Gesetzes vorliegt, das den zivilen Ersatzdienst legalisieren soll, haben im Lauf des letzten Jahres eine Reihe von Republiken neue Wehrpflichtgesetze verabschiedet, die wahlweise den Dienst in der Sowjetarmee, in einer zu bildenden heimischen Landwehr (so in den baltischen Republiken) oder den Zivildienst zulassen. Ingrida Shmite, Sprecherin der lettischen Regierung, teilte mit, daß gegenwärtig in Lettland 2.000 Wehrpflichtige Ersatzdienst leisteten, während 600 weitere sich dem Wehrdienst entzogen hätten. Die sowjetische Zentrale hat ihrerseits per Dekret Gorbatschows im Dezember alle Republikgesetze für nichtig erklärt, die Verteidigungsfragen betrafen. Gorbatschow selbst hatte angedroht, seine Sondervollmachten einschließlich der Einsetzung von Präsidialregimes voll auszuschöpfen.

Die Reaktionen in den baltischen Republiken waren äußerst scharf. Litauens Landsbergis in einer Fernsehansprache: „Kommt zum Parlament und unterstützt die Regierung, sonst könnte es leicht sein, daß ihr mit einer anderen Regierung aufwacht.“ Der estnische Premier Edgar Savisaar stellte fest: „Es geht der sowjetischen Regierung nicht um die Wehrpflicht von einigen tausend jungen Leuten, sondern darum, das Kriegsrecht in der Republik einzuführen.“ Der estnische Außenminister Mori verglich die geplante Einfangaktion mit dem „Pressen“ früherer Zeiten in Söldnerheere und meinte, so etwas habe es in Mitteleuropa seit dem 18. Jahrhundert nicht mehr gegeben. Gegenüber den baltischen Regierungschefs versicherte der Kommandant der sowjetischen Truppen in der Region, Kusmin, daß bis zum 13.Januar die Fallschirmjäger nicht in Aktion treten würden, um den lokalen Erfassungsbehörden die Gelegenheit zu geben, von sich aus tätig zu werden.

Mit einem getrennten Dekret wurde der georgischen Regierung eine Fünftagefrist gesetzt, in der Region der ossetischen Minderheit „Ruhe und Ordnung“ zu gewährleisten. Die Autonomieerklärung der Osseten und das Dekret der georgischen Regierung, das diese Erklärung außer Kraft gesetzt hatte, sind beide von der Zentralregierung für nichtig erklärt worden. Klaus-Helge Donath/Christian Semler

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