: Darf man Schiffbrüchige im Krieg versenken?
■ Die wahre Geschichte einer Entdreiung der einst befreundeten Familien Klein, Müller und Albert wg. »Soldaten sind Mörder«
Hamburg, Herbst 1988. Der Marzipanvertreter Klein (53) und seine Frau (49) sind bei der befreundeten Ingenieursfamilie Müller zu einer Geburtstagsfeier eingeladen. Zu später Stunde, wenn das Thema Kinder durchdiskutiert ist, wird wie immer die Politik beredet. Quotenregelung, Südafrika, Kriegsdienstverweigerung. Frau Klein nimmt leidenschaftlich links Stellung; seit ihre Tochter nach der Brokdorf-Demo im »Hamburger Kessel« von der Polizei widerrechtlich festgehalten wurde, hat sie sich — mitten im Midlife — von ihren vormaligen sozialliberalen Standpunkten entfernt. Besonders vehement streitet sie sich mit der Ehefrau des ehemaligen Militärrichters Albert aus Kiel. Herr und Frau Albert sind die potentiellen Schwiegereltern der Tochter des gastgebenden Hauses Müller. Frau Albert ist Mitglied der CDU und trauert immer noch wegen des toten Ministerpräsidenten Barschel und dessen schlecht organisierten politischen Intrigen.
Herr Klein und der Militärrichter im Ruhestand Albert beginnen sich am Gespräch zu beteiligen. Das Thema ist jetzt der Zweite Weltkrieg. Weil der Richter Albert bei der Marine war und der Fernsehfilm Das Boot noch allen präsent ist, geht es irgendwann um die Behandlung von Schiffbrüchigen. Müssen die Schiffbrüchigen eines versenkten gegnerischen Schiffes an Bord genommen werden, oder läßt man sie absaufen — oder hält gar, quasi gnadenhalber, das Maschinengewehr drauf? Kann man in einem U-Boot überhaupt »feindliche« Schiffbrüchige mitnehmen? Was hätten sie gemacht, Herr Albert?
»Krieg ist Krieg«, sagt Albert und läßt damit erkennen, daß er auch hilflose, ertrinkende, ums Leben strampelnde Menschen nicht unbedingt schonen würde — das heißt: kaltmachen. Der Marzipanvertreter Klein hält nicht mehr an sich: »Wenn sie so denken, dann sind auch Sie für mich ein potentieller Mörder«, stößt er hervor. Worauf Albert ebenfalls laut wird und »Sie haben ja keine Ahnung vom Krieg, Sie waren zu jung« zurückgibt, denn schließlich hatte der Marzipanmann nicht mehr gedient. Das wiederum regt Frau Klein auf: »Der Vater meines Mannes ist im Krieg gefallen, mein Onkel auch.« Dann ist Funkstille für diesen Abend.
Doch die Ruhe täuscht. Schon vor dem nächsten familiären Ereignis läßt der pensionierte Militärrichter durch die Familie Müller seine Satisfaktionswünsche ausrichten. Wenn sich Herr Klein nicht offiziell »auf der Schwelle meiner Haustür« entschuldige, dann würden er und seine Frau zu keiner Feierlichkeit mehr kommen, zu der auch das Ehepaar Klein oder deren drei Kinder eingeladen seien. Die Kleins sehen jedoch gerade nach diesem erpresserischen Angebot von Albert gar nicht mehr ein, warum sie irgendwelche soldatischen Ehren per Kniefall wiederherstellen sollen. Besonders infam finden sie die Sippenhaft für ihre Kinder.
Der Feierboykott des beleidigten Militärrichters greift. Familie Müller lädt die Kleins und die Alberts nur noch abwechselnd zu Geburtstagsfeiern ein. Auch Weihnachten und Silvester kommt es zu keinem Treffen der nun verfeindeten Familien. Marzipanvertreter Klein und Frau allerdings sind darüber enttäuscht, daß sich ihre Freunde, die Müllers, auf die Erpressung einlassen.
Bis zum Mai 1989 bleibt der Familienkrieg kalt, keine Bewegung auf keiner Seite. Dann jedoch steht die Hochzeitsfeier der Tochter der Müllers mit dem Sohn der Alberts in deren Kieler Haus an. Die Tochter der Müllers, die sich berechtigterweise nur sekundär von dem Konflikt betroffen fühlt, lädt die Famile Klein trotzdem zu ihrer Hochzeitsfeier ein. Daraufhin verzichten die Eltern Klein freiwillig auf die Teilnahme an dem Fest. Die drei Kinder der Kleins, im jugendlichen oder Erwachsenenalter, sehen aber nicht ein, warum sie bei der Hochzeit ihrer langjährigen Freundin nicht dabeisein sollen. Vielleicht kann die junge Generation ja auch erste Versöhnungsschritte einleiten. Doch die Tochter der Müllers und die Kinder der Kleins haben den Militärrichter unterschätzt. Er droht der Hochzeit seines Sohns mit der Tochter der Müllers fernzubleiben, falls sich auch nur ein Kleinscher Sproß blicken lassen sollte.
Dann kommt doch noch die Ausladung der Freunde, einen Tag vor der Hochzeit. Die Tochter der Müllers und ihr zukünftiger Ehemann gestehen unter Tränen am Telefon ein, daß sie sich der väterlichen Erpressung nicht erwehrt haben: »Wir können nicht anders.« Der alte Albert habe sogar seine Frau geschlagen vor Wut, weil die ihn zur Mäßigung aufgefordert hatte. Doch Exmilitär Albert habe keinerlei Einsehen gehabt: »Die Kinder sind ja noch viel schlimmer als die Eltern.«
Die Tochter der Müllers bietet den Kindern der Kleins quasi als Ersatz ein feierliches Essen nach der Hochzeit an. Dazu kommt es nicht mehr, weil das enttäuschte Elternpaar Klein nun auch dem Elternpaar Müller die Freundschaft endgültig aufkündigt. Man verlangt eine Entschuldigung von den Freunden. Auch verhaltene Vermittlungsversuche und Einsprüche der Kinder scheitern. Die Kleins fühlen sich »verletzt«, beklagen die »lasche Haltung« der Müllers gegenüber dem störrischen ehemaligen Militärrichter, die Müllers sehen nicht ein, warum sie sich für die pragmatische Rettung der Hochzeitsfeier entschuldigen sollen. »Wir hatten im Vorfeld doch gar keine Zeit mehr, mit euch darüber zu reden, wir mußten zum Frisör und zum Schuster.« Man beharrt auf diesen Standpunkten und bewegt sich beiderseits kaum einen Millimeter.
Dreimal sehen sich die Eltern Klein und Müller im Laufe des folgenden Jahres noch (auf Initiative der Müllers). Zweimal schweigt man sich nur an, einmal redet man über das neue Haus der Müllers. Beide Paare sprechen das heikle Thema nicht an und nehmen das Ende der jahrelangen Freundschaft in Kauf. kotte
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