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Koalitionäre: Zwei Schritte vor — einen zurück

■ Die Koalitionsverhandlungen zwischen CDU und SPD kommen nur schleppend voran/ In zentralen Punkten besteht immer noch kein Konsens/ Der finanzielle Rahmen des Koalitionsprogramms ist nach wie vor ungeklärt/ Wie weiter mit Paragraph 218?

Berlin. Die Koalitionsverhandlungen zwischen CDU und SPD gingen in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag und gestern vormittag in die sechste und siebte Runde, ohne daß ein Ende absehbar ist. Zwar versicherten die Unterhändler beider Parteien nach den Sitzungen, die Atmosphäre sei »konstruktiv« gewesen und man sei »in der Sache« weitergekommen. Worin der große Fortschritt aber lag, war nicht ersichtlich. Keine Einigung gibt es weiterhin in den zentralen Bereichen Verkehr, Inneres, Ausländerpolitik, Justiz und Verwaltungsreform. Darum geht es morgen erneut.

Zwar einigte man sich Mittwoch abend darauf, die freiwillige Polizeireserve beizubehalten, insgesamt zählt die innere Sicherheit aber immer noch zu den neuralgischen Punkten. In der Verkehrspolitik sind die ideologisch aufgeheizten Streitpunkte Tempo 100 auf der Avus, die Busspuren und die Sperrung der Havelchaussee immer noch ungeklärt, ebenso die Verlängerung der Autobahn in Neukölln und die Untertunnelung des Tiergartens, die die CDU wünscht. In der Ausländerpolitik streiten sich die Parteien um die sogenannte Flüchtlingsweisung: Die CDU will den Erlaß von Innensenator Pätzold, der abgelehnten AsylbewerberInnen nach fünf Jahren Aufenthalt in Berlin ein Bleiberecht garantiert, wieder vom Tisch haben.

Strittig ist auch die angestrebte Verwaltungsreform: Während die SPD politische Bezirksämter einführen will und die nächsten Bezirkswahlen terminlich von den Abgeordnetenhauswahlen abkoppeln will, fordert die CDU das derzeit in West- Berlin praktizierte Proporzsystem für die Bezirksämter — gleichzeitig zu den Parlamentswahlen. Krach gibt es auch beim Abtreibungsparagraphen 218, bei dem die CDU- Männer einen bereits gefundenen Kompromiß zwischen den Frauen beider Parteien torpedierten.

Dennoch, so versicherten CDU- General Landowsky und der Noch- Regierende Walter Momper gestern, seien viele Bereiche abgehakt worden. Landowsky nannte Wirtschaft, Arbeit/Betriebe, Gesundheit und Soziales, Frauen, Stadtentwicklung, Schule und Jugend, ohne Details »preisgeben« zu wollen. Der SPD- Chef wurde nur wenig konkreter und erklärte, im Bereich der Stadtentwicklung sei man sich über die Stellung der Stadt im Umland weitgehend einig geworden. Die Verdichtung der städtischen Bereiche solle Vorrang haben vor einer Zersiedelung des Umlandes. Im Medienbereich habe man sich auf eine Mehrländeranstalt für den öffentlich- rechtlichen Rundfunk und auf die Einrichtung einer Medienabteilung beim Kulturressort geeinigt.

Die Berliner Koalitionsverhandlungen bleiben wegen der ungeklärten Finanzlage der Stadt belastet. Der Regierende Bürgermeister in spe, Eberhard Diepgen, hatte am Rande der Ministerpräsidentenkonferenz am Mittwoch vergeblich versucht, mit dem Bundeskanzler zu sprechen. Auch der Finanzminister zeigt sich weiterhin unnachgiebig: Kaum jemand rechnet noch damit, daß die von Berlin geforderten sechs Milliarden DM Bundeshilfe für den Ostteil der Stadt auch nur im Ansatz bewilligt werden, und auch für die 2,7 Milliarden DM, die das Berliner schwarz-rote Koalitionsprogramm zusätzlich kosten soll, besteht wenig Hoffnung. Gestern nachmittag reiste Diepgen nach Bonn zu einer Sitzung des CDU-Bundesvorstandes. Ob er dort etwas bewegen konnte, war bei Redaktionsschluß nicht bekannt. Kordula Doerfler

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