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„Es ist schlimmer als vor Vietnam“

■ In den Vietnamkrieg schlitterte US-Amerika allmählich hinein. Nach der Genfer Begegnung ist die Stimmung düster und bedrückt: Über vier Fünftel der US-Bürger glauben nun an Krieg. Aus Washington Rolf Paasch.

Über Nacht hat der Ernst Einzug gehalten. Am Morgen nach dem Scheitern der Genfer Begegnung erwachten die Vereinigten Staaten mit einer alptraumhaften Realität vor Augen: „Es wird Krieg geben“, flüsterten die Leute sich an ihrem Arbeitsplatz zu, so als dürfe noch niemand die furchtbare Wahrheit offen aussprechen.

Plötzlich haben all die abstrakten Debatten für und wider den Krieg eine neue Dringlichkeit bekommen. Die Studenten, die zu Hunderten, manchmal zu Tausenden, auf ihrem Campus demonstrieren, zeigen sich emotional bewegter als noch vor wenigen Tagen. Die Beiträge zu den Talkshows der lokalen Radiostationen klingen plötzlich verzweifelter oder martialischer — je nach dem, auf welcher Seite der Anrufer steht. Die Nation ist gespalten.

Die Führer der amerikanisch-arabischen Gemeinden in Detroit oder Los Angeles, allein wegen ihrer Abstammung suspekt genug, erhalten „präventive“ Visiten von FBI-Agenten. Dabei gelten die bohrenden (und verfassungswidrigen) politischen Fragen durchaus nicht ihrem Schutz, wie die Polizei vorgibt.

So düster und bedrückt war die Stimmung in den USA schon lange nicht mehr, selbst nicht vor Vietnam, in das man ja damals eher unbewußt und langsam hineinschlitterte. Diesmal jedoch bestehen keine Zweifel über die Folgen; auch wenn von gewissen Kreisen wieder die Illusion eines kurzen und schmerzlosen Kriegs verbreitet wird. Die Lage ist so ernst, daß die Abgeordneten im Kongreß — rechtzeitig zu Beginn ihrer Debatte über den Krieg — sogar ihr Gewissen wiederentdeckt haben.

Seit Donnerstag debattieren die 535 Mitglieder von Senat und Repräsentantenhaus verschiedene Resolutionen. Alle drehen sich um eine Frage: Soll der Kongreß, dem die Verfassung unmißverständlich die Entscheidung über eine Kriegserklärung zuschreibt, dem Präsidenten als Oberbefehlshaber der Streitkräfte das Recht zubilligen, nach dem 15. Januar gegen den Irak zu Felde zu ziehen?

In der arroganten Machtanmaßung vieler seiner Vorgänger hatte auch Präsident Bush bis zu Wochenbeginn noch — entgegen der Verfassung — darauf bestanden, er könne das Land mit seinen Truppen auch ohne Einwilligung des Kongresses eigenhändig in den Krieg führen. Erst vor wenigen Tagen hatte das Weiße Haus dann beschlossen, dem Kongreß doch noch eine Entschließung vorzulegen, die sich an der Resolution 678 des Sicherheitsrates ausrichtet; jetzt, nach dem gescheiterten Genfer Treffen, kann er tatsächlich hoffen, die Kriegsbewilligung durch beide Häuser zu bekommen. War diese Dramaturgie etwa beabsichtigt?

Tarik Asis' schlechte Vorstellung

Aller Wahrscheinlichkeit nach wird die Bush-Administration am Samstag oder Sonntag als knapper Sieger aus den Abstimmungen hervorgehen. Denn Tarik Asis' völlig falsch kalkulierte und verbockte Vorstellung in seiner Genfer Pressekonferenz hat in den USA eine Dynamik entstehen lassen, in der sich Kongreß wie Bevölkerung — zwischen Vernunft und Loyalität hin- und hergerissen — am Ende dann doch hinter ihren Präsidenten stellen werden.

Wenn Asis, selbst ohne in der Sache nachzugeben, mit einer symbolischen Geste etwas Entgegenkommen gezeigt hätte, dann würde der Kongreß jetzt möglicherweise dem Präsidenten die Gefolgschaft in den Krieg versagen, und die USA steuerten auf eine Verfassungskrise zu. So aber müssen all jene Demokraten, die Saddam weiterhin mit Hilfe von Sanktionen aus Kuwait herausdrängen wollen, mit ihren Argumenten jetzt auch noch den frischen Eindruck irakischer Sturheit verwischen — eine fast unmögliche Aufgabe.

Dennoch versprach der Auftakt der Debatte im Senat am Donnerstag eine interessante und zur Abwechslung einmal hochseriöse Diskussion. Zu Beginn stellte sich der demokratische Mehrheitsführer im Senat, Mitchell, in einer geschliffenen Rede gegen seinen Präsidenten. Es gehe um die Frage, „ob der Kongreß dem Präsidenten einen Blankoscheck ausstellen will, zu einem nicht näher bestimmten Zeitpunkt in der Zukunft und unter noch unbekannten sowie unvorhersehbaren Umständen einen Krieg beginnen zu können; oder ob die Politik wirtschaftlicher Sanktionen fortgeführt werden soll“.

Bis zum Donnerstag hatte kein Mitglied der Bush-Administration offiziell behauptet, die Sanktionen seien gescheitert. Ausgerechnet zu Beginn dieser Debatte zirkulierte dann plötzlich die angeblich neueste Einschätzung von CIA-Chef Webster im Kongreß, nach der mit einer Schwächung der irakischen Bodentruppen in den nächsten sechs bis zwölf Monaten nicht zu rechnen sei. Noch im Dezember hatte selbst die CIA an die Macht der Sanktionen geglaubt.

Weitere liberale Demokraten folgten mit emotionalen Plädoyers gegen diesen überflüssigen Krieg, wie Senatsneuling Paul Wellstone aus Minnesota, oder mit scharfsinnig-kritischen Analysen der Bush- Politik, wie der alte Fuchs, Senator Moynahan, aus dem aufgeklärten New York. Nachdem sich George Bush bis Anfang November mit seiner Versammlung der UNO-Koalition im Dienste einer neuen Weltordnung vorbildlich verhalten habe, so Moynahan, habe er Anfang November dann „dem institutionellen Druck zurück zum Kalten Krieg“ nachgegeben. „Weil wir noch nicht verstanden haben, wie wir uns anders verhalten können“ — so erklärte Moynahan den diagnostizierten Rückfall in das Denken des Kalten Krieges.

Viele Demokraten stimmen mit Bush

Doch gegen die mächtige Koalition aus zu 95 Prozent loyalen Republikanern, den rechten Demokraten aus den patriotischen Südstaaten und einer kleinen Gruppe liberaler, aber israel-treuer Demokraten von der Ost- und Westküste werden solche Argumente wohl am Ende in der Minderheit bleiben. Auch wenn eine Überraschung nicht völlig ausgeschlossen bleibt. Jedoch mit einer Mehrheit für den Präsidenten befänden sich die Vereinigten Staaten dann zu Beginn der nächsten Woche auf dem Weg in den Krieg. Nach der Genfer Begegnung der sturen Art glauben 86 Prozent aller US-Bürger, daß es diesen Krieg nun geben wird. In Washington kreisen schon Gerüchte über eine frühzeitige Bombenoffensive gleich nach dem 15. Januar, um Saddam zunächst mit „selektiver Gewalt“ (so der Plan) zum Rückzug aus Kuwait zu bewegen.

Nach einer Niederlage der Sanktionsbefürworter und Kriegsgegner im Kongreß wird in den USA die Stimmung des „The President knows best“ (Der Präsident weiß es schon am besten!) kaum noch aufzuhalten sein. Nur noch eine arabische Lösung oder ein direktes Nachgeben Saddam Husseins scheint jetzt den Beginn eines Golfkrieges noch verhindern zu können.

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