: Weltmacht ohne Geduld
■ Die Rückkehr in das Denken des Kalten Krieges findet in Moskau und Washington statt
Es war keine gute Woche für Amerika. Nach dem Konkurs der traditionsreichsten Fluggesellschaft, dem Zusammenbruch der ersten Großbank zu Beginn der Rezession und der erneuten Erhöhung des kommenden Haushaltsdefizits auf über 400 Milliarden Dollar haben die USA Saddam Hussein nun de facto den Krieg erklärt.
James Wilson, einer der Gründerväter der USA, hatte Ende des 18. Jahrhunderts noch gehofft, die von ihm mitgeschaffene Verfassung werde Amerika das blinde Rennen in einen überflüssigen Krieg nicht erlauben. Der Mann hatte offenbar nicht mit dem kriegerischen Temperament eines George Bush und der Rückgratlosigkeit eines Kongresses gerechnet, so wie er sich in diesen Tagen und Wochen präsentiert.
Als Präsident Bush am 8. November, angeblich aus Gründen der Überzeugungskraft gegenüber Saddam Hussein, die Verdopplung der US-Truppen am Golf verfügte, befand sich der Kongreß in den Parlamentsferien. George Bush erhoffte sich so eine lästige Debatte mit den Parlamentariern zu ersparen. Die Repräsentanten des Volkes waren froh, sich um ihre außenpolitische Verantwortung noch einmal herumdrücken zu können; wo doch der Ausgang des Golfkonfliktes zu unklar war, um darauf eine politische Karriere aufbauen zu können.
An diesem Wochenende nun, unter dem Zeitdruck des völlig willkürlich angezählten Countdowns zum 15. Januar, war der konstitutionelle Streit über Sanktionen oder Krieg dann nur noch eine Scheindebatte. Mit der Ausstellung der Kriegsvollmacht an den Präsidenten ist das „Gleichgewicht der Kräfte“ endgültig zu einer Demokratie der Lemminge verkommen. Wenn Mitte Januar die Kriegshandlungen beginnen, wird jener 8. November als historisches Datum für das Versäumnis des Kongresses in die Geschichte eingehen.
Mit seiner eigenmächtigen Verstärkung der Streitmacht am Golf — die eine Truppenrotation und damit ein Warten auf den Erfolg der Sanktionen ausschloß — ist George Bush endgültig wieder der Idee der militärischen Abschreckung verfallen. Damit wird nicht nur in der Sowjetunion, sondern auch in den USA dem institutionellen Druck zur Rückkehr zum alten Denken des Kalten Krieges nachgegeben.
Der historischen Parallelität von Suezkrise und der Niederschlagung des Ungarn-Aufstandes 1956 entspricht heute die ebensowenig zufällige Gleichzeitigkeit von Golfkrise und dem Konflikt in Litauen. Eine zerfallende Sowjetunion glaubt, sich föderale Toleranz nicht mehr leisten zu können und nutzt die Ablenkung der Weltöffentlichkeit aus. Aber auch die übriggebliebene Weltmacht USA scheint in ihrem langsamen Niedergang nicht mehr die Stärke zur Geduld aufbringen zu können. Rolf Paasch
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