: Schwarz-Rot ist dünner als Rot-Grün
■ Die Koalitionsvereinbarung zwischen CDU und SPD umfaßt nur halb soviele Seiten wie die der alten Koalition/ Interessant ist, was nicht drin steht/ Allen Vorhaben droht der Bonner Rotstift
Berlin. Die rot-grüne Koalitionsvereinbarung umfaßte 150 Seiten, SPD und CDU begnügen sich mit 79 Seiten - auch wenn die Präambel noch fehlt. Ein vergleichsweise kurzer Text für die große Koalition: Interessanter als sein Inhalt ist folglich genau das, was fehlt. Das Milliardenloch im Berliner Haushalt zum Beispiel wird zwar erwähnt, konkrete Einsparpläne als Konsequenz daraus fehlen jedoch. Jetzt schon sprechen die Unterhändler davon, daß in nächster Zukunft Nachverhandlungen nötig sein werden, um gemeinsam festzulegen, wo bei den Haushaltsmitteln gekürzt, gespart und gestreckt werden soll. In der Koalitionsvereinbarung werden dafür lediglich »Leitlinien« formuliert. »Infrage stellen« wollen CDU und SPD vor allem »Leistungs- und Ausstattungsvorsprünge gegenüber den anderen Bundesländern«. Alle »Zuwendungsempfänger« des Senats — also auch soziale Projekte, BVG und Hochschulen — sollen sich einer »umfassenden Überprüfung« unterziehen. Und die Koalition will prüfen, ob sich privates Kapital aktivieren läßt, um öffentliche Aufgaben zu erledigen.
Daß die Geldknappheit die Stadt gleichzeitig gegenüber privaten Investoren überaus erpreßbar macht, wird dagegen mit keinem Wort erwähnt. Wie unter diesen Umständen stadtplanerische, industriepolitische oder ökologische Kriterien überleben können, wird in der Koalitionsvereinbarung nicht problematisiert. Nicht nur die Absätze zum Thema Stadtentwicklung bleiben überaus vage, sondern auch die vier Seiten zur Wirtschaftspolitik sind fast reine Lyrik. Ob die Quantität der weit konkreteren und umfangreicheren rot- grünen Koalitionsvereinbarung anschließend in größere Qualität des Regierungshandelns umschlägt, darf sicherlich bezweifelt werden. Der geringere Umfang des schwarz-roten Ehevertrags läßt trotzdem Schlüsse zu: Die Senatoren und Senatorinnen im Kabinett Diepgen haben freiere Hand in der Ausformulierung ihrer Politik.
Das gilt vermutlich besonders für den Sektor der Umwelt- und Energiepolitik. Zahlreiche umweltpolitische Themen wurden ohnehin nicht von den Umweltpolitikern ausgehandelt, sondern in anderen Arbeitsgruppen. Die Energiepolitik beispielsweise verhandelten federführend die Wirtschaftspolitiker beider Parteien. Die SPD-Umweltpolitiker protestierten. Deshalb wird Energie jetzt unter einer eigenen Überschrift geführt, weder bei Wirtschaft noch bei Umwelt, aber mit ökologisch orientierten Forderungen. Weil sich jedoch der voraussichtliche Umweltsenator Volker Hassemer (CDU) den Kompetenzentzug anfangs gefallen ließ, fürchten SPD-Experten nun, daß auch künftig die Energiepolitik der industrieorientierten Wirtschaftsbehörde überlassen wird.
Unter besonders großen Vorbehalten stehen die Koalitionsvereinbarungen im Bereich Gesundheit und Soziales. Hier droht der Rotstift aus Bonn besonders zu wirken, wären doch erhöhte Ausgaben in nahezu allen Bereichen notwendig, um einerseits den Westberliner Standard zu halten, andererseits den Ostteil auf das gleiche Niveau anzuheben. Das ehrgeizige Ziel der »Angleichung der Lebensverhältnisse« wird in den nächsten Jahren kaum zu verwirklichen sein. Zwar wurden Anfang der Woche die Mehrausgaben im sozialen Bereich im Vergleich zum bereits beschlossenen Westberliner Haushalt erhöht. 60 Millionen Mark sollen zusätzlich für Investitionen in Kitas ausgegeben werden, sieben Millionen für den Ausbau von Sozialstationen im Ostteil der Stadt. Alle anderen Vorhaben werden erst einmal warten müssen oder auf ihre »Bedarfsgerechtigkeit« überprüft werden. Der Senat will sich dafür einsetzen, heißt es in der Vereinbarung, daß Renten- und Sozialhilfeempfänger in beiden Teilen der Stadt so bald wie möglich die gleichen Sätze erhalten. Ausgesprochen dürftig bleiben die Ausführungen zu einem der größten Probleme im sozialen Bereich, der ständig wachsenden Obdachlosigkeit. Aufatmen dürfen dafür viele Selbsthilfeprojekte: Das Berliner Modell zur Förderung von Selbsthilfeinitiativen soll weiter gefördert werden. Die CDU hat damit insofern kaum Bauchschmerzen, als sie ohnehin in allen Bereichen auf private Initiativen setzt. Ausgesprochen knapp fällt das Stichwort »Sucht« aus: Die Politik müsse ihren Schwerpunkt auf Prävention und soziale Stabilität legen.
Bis zum letzten Moment stritten CDU und SPD in großer und kleiner Verhandlungsrunde um die Frauenpolitik, insbesondere um den Schwangerschaftsparagraphen 218, obwohl er als Bundesgesetz von der Berliner Landesregierung ohnehin nicht verändert werden kann. Dennoch prallten auch hier die ideologischen Fronten aufeinander. Zwar wurde bereits in der letzten Woche zwischen den Frauen beider Parteien ein Kompromiß erzielt, die CDU- Männer brachten diesen Kompromiß aber wieder ins Kippen. So war buchstäblich bis zur letzten Minute unklar, welche generelle Haltung man hier formuliert, und ob die SPD- Bunderatsinitiative weiter verfolgt werden soll. Die CDU mußte schließlich nachgeben: »Unter Aufrechterhaltung ihrer unterschiedlichen Überzeugungen und Wertungen kommen die Koalitionspartner überein, die laufende Berliner Bundesratsinitiative in der Weise fortzuführen, daß der Entscheidung der Frau eine eingehende Beratung vorgeschaltet sein muß«, wurde schließlich als windelweicher Kompromiß fixiert. Ansonsten wird dem Bereich »Frauen und Erwerbstätigkeit« »besondere Wichtigkeit« bescheinigt. Vergleichsweise ausführlich beschäftigt sich das Koalitionspapier mit Maßnahmen zur Verhinderung von Gewalt gegen Frauen, die Umsetzung dieser hehren Ziele wird ebenso wie die der anderen entscheidend vom Ressortzuschnitt abhängen und davon, welche Partei die jeweilige Verwaltung besetzen wird. Darum streite man sich in den nächsten Tagen... kd/hmt
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen