Vor der Bonner Großdemonstration gegen den Golfkrieg: Opportunistische Friedensbewegung?
■ Die Kritik der Bundesregierung an der „einseitigen“ Friedensbewegung mag durchsichtige Gründe haben. Aber es gibt auch ernst zu nehmende Mahner aus dem linken Spektrum. Vor allem die Bedrohung Israels zwingt zur Auseinandersetzung.
Die Friedensbewegung, nach dem Kriegsausbruch am Golf zu alter Stärke erwacht, ist ins Fadenkreuz der Politiker geraten und muß ein wahres Trommelfeuer von Vorwürfen über sich ergehen lassen. Antiamerikanismus wirft der Bundeskanzler den Demonstranten vor und schiebt nach, ihn bestürze die „moralische Gleichgültigkeit, die krasse Verdrehung der Tatsachen und das bewußte Aufpeitschen von Emotionen“. Der amerikanische Botschafter und alte CIA-Kämpe Vernon Walters spricht von einer „Saddam-Manie“ und 'FAZ‘-Herausgeber Joachim Fest kommentierte gestern unter dem Titel Auf den Hochsitz der Moral: „Nie gab es einen Protest, der so ohne Argument war.“ Schließlich, so der Tenor all dieser Vorhaltungen, sei der Aggressor in selten eindeutiger Weise klar, nämlich Saddam Hussein. Und warnend wird auf 1938, das Jahr der Kapitulation Europas vor Hitler, verwiesen.
Doch es müssen nicht nur jene Politiker bemüht werden, die man von einer moralischen und politischen Verantwortung für die ungehemmte Aufrüstung des Iraks nicht freisprechen kann. Schließlich ist das irakische Vernichtungspotential durch eine lässige und nach politischer Opportunität ausgerichtete Exportpolitik geschaffen worden. Es sind aber zunehmend auch Stimmen aus dem Lager der Linken zu hören, die vor einem allzu einfachen Weltbild warnen. Besonders die Bedrohung Israels hat einen Prozeß des Nachdenkens ausgelöst.
Konrad Weiss, Bundestagsabgeordneter vom Bündnis 90, der kurz vor Kriegsausbruch nach Israel reiste, hat in der taz von der „Niederlage der Friedensbewegung“ gesprochen. Sie habe keine Antwort gefunden, wie man mit pazifistischen Mitteln der Bedrohung Israels begegnen könnte. Hätte sich der Irak nach einem lang andauernden Embargo aus Kuwait zurückgezogen, wäre dennoch ungeheures Vernichtungspotential eine ständige Bedrohung für die Region und Israel geblieben. Weiss sprach bei den alliierten Angriffen von „Zwangsabrüstung“. In bösartiger Zuspitzung schrieb taz-Autor Henryk Broder gar von einer „wunderbaren Koalition“ der Friedensbewegung und der Rüstungsindustrie: „Die einen unterstützen Saddam moralisch, die anderen finanziell und mit technischen Mitteln.“ Die Deutschen könnten nicht eine Beteiligung am Golfkrieg ablehnen, nachdem sie einen maßgeblichen Beitrag zur Aufrüstung des Iraks und damit zur drohenden Vernichtung Israels geleistet hätten — was bei Friedensaktivisten die wütende Reaktion provoziert, sie seien schließlich nicht für die Lieferung von Giftgas der deutschen Industrie verantwortlich.
Die Friedensbewegung muß sich nun mit dem Versäumnis auseinandersetzen, nicht bereits bei der Besetzung Kuwaits durch den Irak auf die Straße gegangen zu sein. Es fällt ihr schwer, den Vorwurf loszuwerden, nach politischen Opportunitäten zu handeln. War die Besetzung Kuwaits keine Demonstration wert, weil dem morbiden, mittelalterlichen Despotenclan der Kuwaitis keiner eine Träne nachweinte? Unterblieben die Proteste gegen die Bedrohung Israels aus einer ideologischen Verknotung heraus, in welcher das Existenzrecht Israels gegenüber der halsstarrigen und mörderischen Behandlung der Palästinenserfrage durch die israelische Regierung aus dem Blickfeld geriet?
Die Friedensbewegung verbinde antiamerikanische Töne mit einem antiisraelischen Zungenschlag, klagte gestern der Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Heinz Galinski (siehe Seite 4). Der Nahost-Experte der SPD, Wischnewski, hofft zwar, daß die Friedensdemonstrationen das Klima für erneute diplomatische Möglichkeiten schaffe. Er warf der Friedensbewegung aber zugleich vor, sie verwechsle „in gefährlicher Weise Ursache und Wirkung“.
Auf den Demonstrationen des Wochenendes wird es Antworten auf diese Vorwürfe geben müssen. Der hessische Grüne Joschka Fischer hat dazu aufgefordert, das Existenzrecht Israels „nachdrücklich und ohne jede falsche Zurückhaltung“ zu betonen. Das Netzwerk Friedenskoordination will beim Sternmarsch in Bonn das Existenzrecht Israels unterstreichen. Damit werde aber nicht deren Behandlung des Palästinenserproblems gutgeheißen. Die Proteste seien kein Antiamerikanismus, sondern richteten sich gegen eine Politik, die weder Probleme löse noch zu einer besseren Weltordnung führe. Die SPD-Bundestagsabgeordneten Müller und Peter verwahrten sich gegen die vorgeworfene Einseitigkeit. Vielmehr könne sich die Bundesregierung nicht aus einem überholten Konfliktschema lösen. Statt eine kriegerische Lösung zu unterstützen, müsse „endlich die Spirale der stetigen inneren und äußeren Aufrüstung durchbrochen und die Welt als zerbrechliche Einheit begriffen werden“. Gerd Nowakowski, Bonn
Nachzutragen ist der Autor unseres Artikels „Zensur auf beiden Seiten“ im gestrigen Tagesthema: Andreas Zumach schrieb aus Washington.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen