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Orientalische Tribüne

■ "Die Kolonialzeit ist zurückgekehrt"

Die Lehrerin Sadia Ghelala-Schlinke stammt aus Tunesien und lebt seit 1973 in Bremen.

taz: Du warst am 2. August, dem Tag des Einmarschs des Irak in Kuwait, in Tunesien. War die Stimmung völlig anders, als Du kurz danach nach Bremen zurückkamst?

Sadia Ghelala-Schlinke: Auf jeden Fall. In Tunesien habe ich die ganzen Verhandlungen mitbekommen, die es vor dem Einmarsch des Irak gab. Alles war geklärt, und wir dachten schon, jetzt wäre es glaufen. Und dann im letzten Moment marschiert der Irak doch ein. Und dann war für alle Leute klar, daß der Rückzieher Kuwaits keine spontane Reaktion war, sondern daß die USA dahintersteckten.

Die arabischen Länder hatten nie die Gelegenheit, ihre eigenen Sachen zu regeln. Innerhalb von 24 Stunden waren die USA schon da. Da entstand die Wut in der Bevölkerung.

Die Tunesier waren auf der Seite des Irak?

Ja, eindeutig. Und dann kam ich nach Bremen, und hier wurde von dem „heiligen Krieg“ geredet, und ich dachte: Was soll das? Alle Gespräche gingen um den „verrückten Saddam“. Dann erzählte ich, daß das eine Geschichte hat. Aber diese Geschichte wollte keiner wahr haben.

„Heiliger Krieg“ — Jihad auf arabisch — welche Bedeutung hat dieser Begriff für Dich?

Man kennt das aus der Geschichte, als im Mittelalter die islamischen Eroberungen stattgefunden haben. Aber es ist lächerlich, heute so einen Begriff zu benutzen. Davon war auch nie die Rede.

Was mich nervt ist dieses Bild: Die Menschen in Arabien haben sich nicht weiter entwickelt, die haben noch ein mittelalterliches Denken. Oder wie mir neulich jemand sagte: Die sind doch sowieso alle ungebildet.

Du meinst, Hussein hat den Begriff „Jihad“ überhaupt nicht benutzt?

Nein, das kann er doch gar nicht. Er hat doch eine weltliche Regierung. Er wird mit seiner sozialistischen Baath-Partei doch sowieso als Atheist abgestempelt. Vielleicht hat Saddam gesagt: „Das ist ein Krieg, der die ganze arabische Bevölkerung betrifft, mit Hilfe Allahs werden wir siegen“ oder so etwas. Das bedeutet vielleicht „gerechter Krieg“, aber nicht „heiliger Krieg“.

Ich bin sicher, das wird hier gezielt verfälscht. Denn dann geht es um Christen gegen Moslems. Es gibt ja auch einen Teil der arabischen Bevölkerung, der gar nicht moslemisch ist. Das vergißt man hier.

Glaubst Du, daß es ohne Eingreifen der USA tatsächlich eine arabische Lösung gegeben hätte?

Ich bin sicher. Die Arabische Liga ist doch dafür da, solche Konflikte zu lösen.

Aber hat sie in der Vergangenheit schon einmal einen Konflikt wirklich gelöst?

Ja, zwischen Algerien und Marokko, zwischen Libyen und Tunesien, das haben sie geregelt. Vielleicht wäre die Arabische Liga am Irak auch gescheitert. Aber die UNO ist auch ganz oft gescheitert. Und deshalb sollte man das erstmal den arabischen Ländern überlassen.

Wie geht es Dir jetzt in Bremen, wenn Du jeden Abend im Fernsehen der Berichterstattung aus Sicht der USA ausgeliefert bist?

Mir geht es ganz schlecht. Ich sehe, daß die alten Verhältnisse wiederkommen. Man hat immer geglaubt, die Menschheit entwickelt sich weiter. Und ich habe jetzt den Eindruck: Die Kolonialzeit ist wiedergekehrt. Das ist immer gegen meine Denkweise gewesen, aber jetzt stelle ich fest: Es ist doch noch so. Dieses scheinbar so moderne und hochindustrialisierte Europa hat in seinem Wesen noch immer die gleiche Gewalt wie damals. Da kommen mir die Bilder vom algerischen Krieg, von den ganzen Befreiungskriegen der Kolonialzeit.

Und die Gewaltdrohung des Irak gegen Israel ist für Dich nicht auf der gleichen Ebene?

Ich kann diese Heuchelei überhaupt nicht ab. Wenn ich den Kriegszustand in dieser Region akzeptiere, dann muß ich auch akzeptieren, daß jeder Schlag erlaubt ist.

Du meinst, wenn der Irak heute sagt, wir überziehen Israel mit Giftgas, dann ist das ganz normal?

Nein, das ist nicht normal. Aber die Verantwortung dafür liegt nicht nur beim Irak, sondern auch bei uns. Ich kann die Vorgeschichte nicht abschalten.

1985 ist Israel einfach nach Tunis geflogen und hat das sogenannte PLO-Quartier bombardiert. Das ist ein Ort, zwei Kilometer von wo ich in Tunesien wohne, und dabei sind über 70 Leute gestorben. Darüber hat hier kein Mensch geredet. Das war normal, das gehörte dazu. Mit dieser Falschheit habe ich Probleme. Fragen: Dirk Asendorpf

Der 2. Teil dieses Gesprächs erscheint am Montag in der taz-Bremen.

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