: „Der Irak ist nicht Vietnam“
Der Golfkrieg aus der Perspektive Indochinas: Desinteresse und verhaltene marxistisch-leninistische Schadenfreude/ „Wir bezweifeln, ob die Iraker so gut kämpfen wie wir“/ Mit dem Nahen Osten verbindet Vietnamesen und Kambodschaner nichts ■ Von Michael Sontheimer
Phnom Penh (taz) — „Wir vergessen im Augenblick fast unseren eigenen Krieg“, sagt Chum Bun Rong, der Leiter der Presseabteilung des kambodschanischen Außenministeriums, angesichts der anhaltenden Kämpfe am Golf. Die Kambodschaner, erklärt er, hätten Anfang der siebziger Jahre unter den Bombardements der US-Airforce gelitten. „Wir sind zwar weit weg, aber aus diesem Grunde bedrücken uns die immense Zerstörung und das Leiden der Menschen sehr.“
Sorgen macht der Regierung in Phnom Penh zudem der unkalkulierbare Anstieg des Ölpreises. Die Sowjetunion, der wichtigste Öllieferant Kambodschas, verlangt seit neuestem harte Währung. Hun Sen, der Premierminister des von zwanzig Jahren Bürgerkrieg zerrütteten Landes, hat einen sofortigen Waffenstillstand am Golf gefordert.
Die Zerstörung, welche der letzte große amerikanische Krieg in den sechziger und siebziger Jahren in Indochina angerichtet haben, sind noch allenthalben in Kambodscha, Vietnam und Laos zu sehen, doch die Erinnerungen daran werden gerne verdrängt. Mit Israel und dem gesamten Nahostkonflikt verbindet die Menschen in Indochina historisch und gegenwärtig so gut wie nichts. So interessieren sich eher die wenigen Ausländer als die Kambodschaner oder die Vietnamesen für die Ereignisse am Golf. „Ich hoffe, unsere Jungs legen bald los“, meinte ein Amerikaner, der sich am Abend vor dem Angriff an einer kleinen Straßenschänke im Zentrum von Ho Chi Minh-Stadt respektive Saigon niedergelassen hatte. „Je schneller sie zuschlagen, umso besser. Und ich sage Ihnen, diesmal wird es schneller gehen,und wir werden gewinnen.“
John stellte sich als Geschäftsmann vor, der in Bangkok lebt. Später stellte sich heraus, daß er auf der Suche nach wertvollem Kriegsschrott wie Rotorblättern von Hubschraubern ist. „The times have been changing“,begann er über die Unterschiede zwischen dem Golfkrieg und der Niederlage in Vietnam zu philosophieren. „Heute gibt es nicht mehr diese Hippies, die gegen den Krieg Stimmung machen. Außerdem haben wir eine Berufsarmee. Es werden keine Mittelklasse-Söhne in den Aluminium-Kisten nach Hause geschickt werden, sondern Jungs, die freiwillig dieses Risiko in Kauf genommen haben. Und sie werden gut bezahlt.“
„Den Scheißkrieg hier überleben, um dort draufzugehen“
Eine Vietnamesin, die sich als Fremdenführerin durchschlägt, erzählt von einem Neffen, der 1975 geflüchtet ist, in den USA Asyl fand und bei der Navy anheuerte. „Er wird doch wohl den Scheißkrieg hier nicht überlebt haben, um jetzt draufzugehen“, sagt sie. Ansonsten interessiert es sie nicht besonders, was am Golf passiert. Die Vietnamesen sind so in denf um das tägliche Überleben in einer von sozialistischer Planung ruinierten Wirtschaft verstrickt, daß sie sich kaum für Außenpolitik interessieren. Die Nachrichten fließen zudem nur spärlich in die mehr als fünfzehn Jahre abgeschotteten indochinesischen Lande. 'Agence France Press‘ ist auch für die Regierungen die einzige Nachrichtenquelle über das dramatische Geschehen am Golf. Fernsehbilder gibt es keine, wenige Interessierte hören Voice of America und BBC.
Unter den Kadern und Regierungsvertretern Indochinas hat der Vietnamkrieg einen gemäßigten Antiamerikanismus und Antiimperialismus klassischer marxistisch-leninistischer Prägung hinterlassen. Wenige Stunden nach dem Beginn der Operation „Wüstensturm“, bei einem Mittagessen mit Kadern aus dem Innenministerium wechseln die Vietnamesen von Englisch in ihre Muttersprache, als sie auf die Ereignisse am Golf zu sprechen kommen. Später berichtet einer von ihnen über den Tenor der Diskussion. „Vielleicht werden die Amerikaner wieder geschlagen“, war die Meinung. „Und das wäre gut für Vietnam. Aber wir bezweifeln, ob die Iraker so aufopferungsvoll und gut kämpfen, wie wir das getan haben. Der Irak ist nicht Vietnam.“
Erst zwei Tage nach Kriegsausbruch bringt die Hanoier Volksarmee-Zeitung 'Quan Doi‘ eine offizielle Stellungnahme, die den „grausamsten Krieg seit dem Zweiten Weltkrieg“ als „furchtbare Katastrophe“ verurteilt. „Das Aufflammen des Golfkrieges“, so die zweitgrößte Zeitung Vietnams, „hat ein Licht auf die Kräfte geworfen, die den Konflikt vom Zaun gebrochen haben.“ In den letzten Jahren habe der Imperialismus einige Korrekturen vorgenommen, um sich ein bescheideneres Gesicht zu geben, analysiert das Blatt in klassischer marxistischer Manier. „Gleichwohl zeigt dieser Krieg, daß diese Kräfte nicht zögern, mit kriegerischen Mitteln ihre politischen Ziele durchzusetzen.“
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